laut.de-Kritik
Hey Ho, Let's Go: Die Geburtsstunde des Punkrock.
Review von Kai ButterweckEs bedurfte ganzer siebzehn Tage des New Yorker Februars 1976, um Musikgeschichte zu schreiben. Während ABBA gerade mit "Fernando" die Welt eroberten, Kiss mit "Destroyer" in die Stadion-Liga aufstiegen, und im fernen Dublin eine Horde Vierzehnjähriger die Band Feedback gründete, die später in U2 umgetauft wurde, erschufen vier schlaksige New Yorker Lederjacken-Träger unter dem Namen Ramones das Punkrock-Genre.
Was sich schon seit Jahren revoltierend in dunklen Kellern und versifften Proberäumen zusammenbraute, sollte endlich ans Tageslicht gefördert werden. Beeinflusst vom derben Garagen-Sound der Stooges und MC5 begeben sich Johnny, Joey, Tommy und Dee Dee Ramone ins Plaza Sound Studio, um dem naiven Idealismus der Hippie-Szene und der aufblühenden Bombastrock-Branche den Stinkefinger zu zeigen.
Innerhalb dieser wegweisenden zweieinhalb Wochen entsteht mit dem Debütalbum der Ramones eine halbe Stunde Musik, die auch heute noch überall auf der Welt Kids dazu bringt, eine Band zu gründen. Vierzehn Mal trommelte sich Tommy dabei im stetig gleichbleibenden 4/4-Takt die Hände wund, während Gitarrist Johnny permanent zwischen vier Powerakkorden hin- und herwechselte.
Die Ramones stellten sich der immer technischer und pompöser werdenden Musik-Entwicklung jener Zeit mit archaischer Einfachheit und Rohheit entgegen und fütterten ihr Revoluzzer-Schaffen zudem mit lyrischem Sarkasmus, satirischen Betrachtungen des "American Way Of Life" und ihrem Hang zu Kontroversen. Dabei dienten schwere Horrorfilm-Kaliber ebenso als Inspiration, wie das unterbewusste Verlangen nach Herzschmerz und Romantik.
Es existiert wohl kein Alternative-Club diesseits und jenseits des Äquators, der nicht auch heute noch mindestens einmal am Abend zum "Blitzkrieg Bop"-Schlachtruf "Hey Ho, Let's Go!" aufruft. Simpelstem Songwriting à la "Beat On The Brat" oder "Judy Is A Punk" stand nicht nur Direktheit und Kompromisslosigkeit zur Seite, sondern auch die entsprechende Attitüde, um einen Stein ins Rollen zu bringen, der so manche vermeintlich eingemeißelte musikalische Richtlinie aus den Angeln hob.
Weniger ist mehr, hieß die Devise des Quartetts, was sich auch bei den Texten bemerkbar machte. Sänger Joey, der mit seinem klaren und vibrierenden Organ wie eine Antilope im Löwenkäfig wirkte und den perfekten Gegenpart zum rüden klanglichen Background darstellte, hielt sich selten mit langen und tiefgründigen Predigten auf. Stattdessen brachte er die Dinge auf den Punkt, was oftmals bereits mit wenigen Worten gelang.
Weder das ungewohnt komplexe "Loudmouth", noch die Klebstoff-Hymne "Now I Wanna Stiff Some Glue" oder "I Don't Wanna Go Down To The Basement" kommen über die Vier-Zeilen-Marke hinaus, und trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, schuf sich die Band mit ihrem Erstlingswerk eine einzigartige Markanz, innerhalb eines immer pompöser werdenden Marktes, der förmlich nach einem ebenbürtigen Gegensatz schrie.
Die Ramones kreierten mit ihrem 1-2-3-4-Punkrock allerdings weit mehr als nur einen künstlerischen Gegenpol zu Disco, Glamrock und Hippietum. Die straighte Rhythmik von Songs wie "53rd & 3rd", "Havana Affair" oder "Today Your Love, Tomorrow The World" boten den Soundtrack für eine massenergreifende Kulturbewegung, die es sich zum Ziel machte, dem Mainstream entgegenzuwirken.
Auch wenn viele Kids, die sich heutzutage einen Ramones-Button an den Rucksack heften, nur um Eltern und chartsabhängige Mitschüler zu schocken, gar nicht wissen, dass es einen großen Unterschied
zwischen "Phase" und "Lebenseinstellung" gibt, so zeigt es dennoch, welch generationsübergreifender Einfluss sich bis heute von vier blassen Punkrockern aus einer Zeit weit vor Facebook und Co. bemerkbar macht.
Natürlich waren "Never Mind The Bollocks, Here's The Sex Pistols" oder "London Calling" großartige, inspirierende und einflussreiche Alben, aber die eigentliche Geburt des Punkrocks fand am 23. April 1976 in New York statt.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
33 Kommentare
Als Lektüre empfehle ich "I slept with Joey Ramone", die Biographie von Joeys Bruder, bietet viele Einblicke, auch wenn es ein bisschen einseitig ist.
Meilenstein? Ramones? Yeah!
5/5
"Beat on the Brat", die Hymne aller frustrierten Kindergartentanten.
@saoulburn
das mit den tshirts ist mir auch schon einmal aufgefallen
Ich rechne ja noch fest mit Meilensteinen von NIN, Ministry und TON. Sonst muss ich leider 2012 auf den großen, roten Knopf drücken.
Schön. Sehr, sehr schön. Wenn die Herren Professoren jetzt noch die Punkrockklugscheißerei aufhören würden, wärs noch schöner. Der Joey wenn das hören tät, er würde im Grab rotieren wie ein Händl beim Wienerwald...