laut.de-Kritik
Große Songs direkt aus der Scheune.
Review von Michael SchuhRay Lamontagne geht nichts über Aufrichtigkeit. Undenkbar, dass man von ihm einmal Interviews zu lesen bekommt, in denen er sich unterwürfig bei seinen Fans bedankt. Oder dass er auf Druck der Plattenfirma bei "American Idol" auftritt (wo mittlerweile allerdings seine Songs gecovert werden).
Stattdessen sagt er Dinge wie: "Ich habe es immer gehasst, in Clubs zu spielen. Ich brauche einen Freiraum zwischen mir und dem Publikum - je größer, desto besser." Wo anderen Musikern nach solchen Aussagen Größenwahn unterstellt würde, wirkt der scheue Lamontagne einfach nur ehrlich.
Sechs Jahre sind seit seinem Debüt "Trouble" vergangen und noch immer wirkt der Sänger wie aus der Zeit gefallen. Im positiven Sinne: Seine Musik erinnert an eine Zeit, als die Musikindustrie ihren Stars noch absurd hohe Album-Vorschüsse zukommen ließ, mit denen mancher dann einen Lifestyle pflegte, den selbst Ozzy Osbourne heute als ungesund bezeichnet.
Obwohl dem bodenständigen Singer/Songwriter aus Maine mit Familie und eigener Farm nichts ferner läge, dürften zumindest die finanziellen Zuwendungen seitens der Labels allmählich gestiegen sein. Seinem Debüt-Achtungserfolg folgten zwei weitere Alben, die hierzulande zwar erschreckend wenig Aufsehen erregten, in seiner Heimat USA zuletzt aber die Top 5 der Billboard Charts knackten.
Seither hat sich das amerikanische TV-Volk daran gewöhnt, dass der Typ, der da gelegentlich zur besten Sendezeit ins Bild schlappt, nicht etwa eine fehlgeleitete Gebäude-Reinigungskraft, sondern der vollbärtige Ray Lamontagne ist, der in abgewetzten Klamotten mal wieder zu einem seiner herrlich abgewetzten Folksongs ansetzt.
Trotz dieser Erfolge schien die Zeit nun gekommen zu sein, ein paar Dinge zu verändern. So hievte Lamontagne mit den Pariah Dogs erstmals seine langjährige Live-Band neben seinen Namen aufs Cover. Musikalisch wirkt sich dies jedoch genau so wenig auf sein grandioses Songwriting aus wie der Wechsel zu einem anderen Majorlabel und die Demission des bisherigen Stamm-Produzenten Ethan Johns (Kings Of Leon).
Lamontagne quälte sich wie üblich über mehrere Wochen mit dem Songwriting und lud seine Boys dann in die Scheune seines Anwesens in Massachusetts ein, wo gleich nach dem gemeinsamen Frühstück der Aufnahmeknopf gedrückt wurde. Statt der anvisierten zwei Wochen war das Album nach fünf Tagen im Kasten.
Erstaunlich alleine schon deswegen, weil man beim Hören von "God Willin' & The Creek Don't Rise" nicht glauben mag, dass der Chef seinen Angestellten die Songs erst in besagter Scheune vorstellte. Mit dem blinden Verständnis einer eingespielten Tour-Band startet schon die bluesrockige, Creedence-ähnliche Eröffnung "Repo Man", die jedoch keine Signalwirkung auf die kommenden Nummern darstellt.
Schon in "New York's Killing Me" zeigt Lamontagne sich wieder von seiner bewährten Seite: Zarte Akustikgitarren-Arrangements begleiten seinen feinfühligen Vortrag, dessen brüchig-rauhe Stimmfarbe nach wie vor das Faszinosum Lamontagne ausmacht. Nur wenige zeitgenössiche Songwriter integrieren musikalische Reduktion auf so eindringliche Weise wie Lamontagne, etwa wenn in "Are We Really Through" alles um ihn seine Stimme scheinbar verstummt.
"God Willin' & The Creek Don't Rise" beinhaltet wieder einige Höhepunkte dieser sonderbar stillen Kunst. So zählt die soulgetränkte Ballade "This Love Is Over" sicher zu Lamontagnes größten Songwriting-Momenten, ebenso wie das Joni Mitchell ähnliche "Beg, Steal Or Borrow", während das abschließende "The Devil's In The Jukebox" endlich jenen Live-Charakter aufweist, den Lamontagne für sein gesamtes neues Album beansprucht. Den Status eines Geheimtipps sollte der Sänger nunmehr auch hierzulande endgültig verlieren und der Bühnengraben - ganz zu seiner persönlichen Genugtuung - noch größer werden.
2 Kommentare
Yori, Yori!
Einfach nur Klasse-Musik