laut.de-Kritik
Disco-Finger in die Luft - und headbangen!
Review von Adrian MeyerIsland ist bankrott. Kalt. Da will man nicht leben, Eyjafjallajökull und so. Das plus völlige Isolation vom Rest der Welt. Kein Wunder eigentlich, klingt isländische Musik anders, als es das kontinentaleuropäische Ohr gewöhnt ist: fremd, faszinierend, nicht wirklich von dieser Welt.
Retro Stefson stammen aus Island. Diese Band macht keine mystisch-sphärische Musik mit Texten in Fantasiesprachen. Retro Stefson machen Afro-Heavy Metal-Disco-Pop mit 8-Bit-Electro-Versatzstücken, Steel-Drum-Einlagen und Dancehall-Beats. Stets tanzbar, nie langweilig. Genreschubladen? Drauf geschissen.
Entgegen gängiger Vorstellungen von isländischer Musik (mystisch, entrückt, atmosphärisch) klingt die Band aus Reykjavik vollkommen unbekümmert. Die knapp 20-jährigen Musiker wirbeln bedenkenlos Stile durcheinander, reihen karibische Rhythmen an Disco-Bassläufe und verblüffen mit überraschenden Breaks. Tanzen soll man, aber immer zum gleichen Musikstil? Wär' doch langweilig.
Nach einem "Intro" gemäß Iron Maiden'schem Vorbild startet "Planetarium" gemütlich mit tropischen Percussions und verspielten Melodien aus der Keyboard-Gitarre. Mit "Mama Angola" liefert die Platte den ersten Killertrack. Hier schwurbeln afrikanische Rhythmen, lässt einem das "Oooh oh oh oh" des Refrains und das "Mama Angola" der Strophe nicht mehr los. Bis man nach drei Minuten jäh aus seinem Tanz gerissen wird: Nach einem Break erstaunen Gitarrenriffs, die man normalerweise in Spaghetti-Western findet.
Unbestrittener Übertrack ist "Kimba", ein Song, der schon länger im Netz kursiert und der Band nicht zuletzt wegen des grundsympathischen Musikvideos Einiges an Aufmerksamkeit eingebracht hat. Man stelle sich folgende Situation vor: Du gehst gemütlich in die Afro-Disse "Tropicana". Bestellst dir erst mal einen Caipi an der Bar. Plötzlich wirst du von einer hermaphroditischen Disco-Queen auf die Tanzfläche gezerrt, auf der gleich darauf die Stirn eines Hair-Metal-Drummers in Spandexhosen in dein Gesicht donnert. Das war keine Absicht, er wollte nur zusammen mit dir headbangen. Du willigst ein, gehst ab zu fast schon proggigen Gitarren-Intermezzi, nur um dann wieder zu oktavierten Bassläufen den Discofinger in die Luft zu strecken.
Anders gesagt: Afrobeat küsst funky Disco und wird gleichzeitig von Progrock-Elementen umarmt. Dazu Gesang in einer schwer definierbaren Sprache (Isländisch?). Oder aber, um es in den Worten eines YouTube-Users zu fassen: "Ich weiß zwar nicht, was hier soeben abging, aber es macht mich glücklich."
Bei so vielen Genrezitaten haftete Retro Stefson von Beginn weg das Label "Weltmusik" an, wobei dieser Begriff alles, aber auch nichts bedeutet. Ihr Label Universal preist die Band gar unter "Esoterik" an. Davon ist nun wirklich gar nichts zu hören. Oder zählt das Tanzen neben Licht-, Bachblüten-, und Reinkarnationstherapie zu esoterischen Heilmitteln?
Das von kindlichen Synthies und Dancehall-Beats geprägte "Karamba" wiederholt im eher nachdenklichen Refrain stetig den Songtitel. Obwohl man keine Ahnung hat, was "Karamba" bedeutet, kann man nicht anders als mitsingen. "Senseni" erinnert zu Beginn an den Wüsten-Blues von Tinariwen und entwickelt sich zu der Tanznummer der Platte schlechthin, nur um dann ab der vierten Minute in uninspirierten Eurodance abzudriften. Hier wäre - ausnahmsweise - weniger mehr gewesen.
Retro Stefson pflanzen einem unweigerlich ein Lächeln ins Gesicht. Vor ihren Auftritten umarmen sich die sieben Teens sogar im Kreise und brüllen Schlachtrufe. Die Shows sind ungezwungen, voller Energie. Es fühlt sich an als ob diese Band wirklich nichts anderes machen will als gerade jetzt, gerade hier und nur für dich Musik zu machen. Retro Stefson sind unverbraucht, jugendlich - und ja, man darf es so sagen: erfrischend anders.
1 Kommentar
Auch wenn ich kein Wort verstehe, wirklich starkes Album!