laut.de-Kritik
Robyn opfert ihren kommerziellen Dance-Pop.
Review von Toni HennigVor einigen Jahren begegnete man Robyns "Dancing On My Own" in der TV-Serie "Girls". Für die finale Staffel der Show komponierte die Schwedin 2016 den Song "Honey". Da anschließend jedoch kein neues Album erschien, schufen ungeduldige Fans den Hashtag #releasehoneydamnit. Doch die 39-Jährige ließ sich nicht beirren. Schließlich etablierte sie sich schon 2005 mit ihrer selbstbetitelten Hit-Platte, die hierzulande mit etwas Verzögerung in die Läden kam, als eigenständige Pop-Künstlerin, die keinerlei Erwartungshaltungen bedient.
2018 versteckt sie ihre Persönlichkeit nicht mehr hinter einer maschinellen und kühlen Pop-Ästhetik, sondern setzt auf weitaus wärmere Töne. "Honey" markiert ihr bislang persönlichstes Werk. Die Single "Missing U" handelt einerseits vom Tod ihres musikalischen Langzeitpartners Christian Falk und andererseits vom Ende ihrer Beziehung mit dem Musikvideoregisseur Max Vitali 2014, der mittlerweile aber ihr Verlobter ist. Die Nummer komponierte die Schwedin an ihrem Laptop mit Drum-Machine und Synth-Software, um sich über das Gefühl von Ohnmacht hinwegzutrösten. Anschließend unterzog sie sich einer Therapie. Da sie zusätzlich noch unter einer Schreibblockade litt, nahm sie den Song zusammen mit Joseph Mount von Metronomy und ihrem Stammproduzenten Klas Åhlund erst 2016 auf.
Musikalisch ist es ein typischer Robyn-Track à la "Dancing On My Own" mit einem geradlinigen 4/4-Disco-Beat und perlenden Synthies, der allerdings nicht die Durchschlagskraft ihrer früheren Hits aufweist. Dafür verleiht sie dem Stück mit ihrer resigniert anmutenden Stimme etwas Melancholisches, das man so von ihr noch nicht kannte. Ebenso nachdenklich gerät ihr Duett mit der kurdisch-schwedischen Pop-Künstlerin Zhala ("Human Being"), eine minimalistisch arrangierte R'n'B-Nummer mit urbanem Feeling, die existenzielle Sinnesfragen behandelt.
In "Because It's In The Music" hellen die tänzerischen Synthies und Robyns souliger Gesang das nächtliche Klangbild um ein paar wenige Lichtstrahlen auf. Dennoch hat sie ihre Trennung noch nicht verarbeitet. Demzufolge erhofft sie sich in "Baby Forgive Me" zu zurückgenommenen House-Klängen von ihrem Verflossenen eine zweite Chance. "Send To Robin Immediately", eingespielt mit dem Engländer Adam Bainbridge alias Kindness, zieht kontinuierlich das Tempo an. Allmählich gewinnt das Album an Stringenz. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass die Skandinavierin die einzelnen Tracks chronologisch angeordnet hat. Somit gestaltet sich das Werk im weiteren Verlauf zuversichtlicher und lebensfreudiger. Auch popmusikalische Zitate finden sich zuhauf.
Im Titelstück, einer zuckersüßen, straighten Dance-Pop-Nummer mit leichtem Autotune-Einschlag, verkehrt Robyn die Aussage des Rolling-Stones-Klassikers "You Can't Always Get What You Want" ins Gegenteil um, wenn es heißt: "No, you're not gonna get what you need / Baby, I have what you want / Come get your honey." In "Between The Lines", das euphorisch der nächsten Peak entgegensteuert, integriert sie geschickt oldschoolige Acid-House-Einflüsse in ihre Musik. "Beach2k20" lässt mit analogen Synths im Stile von Crystal Waters' "Gypsy Woman" und beschwingten Samba-Rhythmen Urlaubsstimmung aufkommen. In "Ever Again", dem einprägsamsten Track, rückt der Schmerz der Anfangsphase in sehr weite Ferne, wenn die Schwedin im Refrain selbstbewusst kündet: "Never gonna be broken hearted ever again." Ein versöhnlicher Schlusspunkt.
"Honey" fehlt vielleicht offensichtliches Hit-Material, dafür präsentiert sich Robyn unabhängiger und erwachsener. Kommerzieller Dance-Pop findet nur noch am Rande statt, ohne dass man auf unbeschwerte Momente verzichten müsste. Nur das trashige Cover hätte nicht sein müssen.
2 Kommentare
Guter, bodenständiger e-pop. Wirkt als Album genossen sehr, Singletracks eher nicht zu finden.
Heißer Anwärter für mein Album des Jahres. Ja, es ist gewöhnungsbedürftig im Vergleich zu "Body Talk", aber wenn man erst mal drin ist, entwickelt das Album mehr und mehr einen unentrinnbaren Sog. Persönliche Highlights sind das grandiose "Baby Forgive Me", sowie "Ever Again" und die beiden Vorabtracks "Missung U" und "Honey". 5/5