laut.de-Kritik
Bootleg-Qualität gehört in diesem Dirty Blues zum Handwerk.
Review von Philipp KauseCork, im Süden Irlands, August 1963: Rory Gallagher ist 15 und wird in einem Fachgeschäft auf ein Instrument aufmerksam, ohne das heute kaum mehr eine Bluesrock-Produktion auskommt - die Fender Stratocaster, kurz Strat. Das Exemplar, das Teenager Rory da entdeckt, gilt als das erste, das wohl je den Sprung von der britischen Hauptinsel auf irischen Boden schaffte. Es war teuer, umgerechnet hatten die damals 100 Pfund eine Kaufkraft von heute 2.500 Euro. Rory ist der experimentierfreudigste Kunde und zahlt das gute Stück auf Pump ab, während seine Mutter besorgt ist und unkt, bis zum Ende ihrer Tage würde sie es abstottern müssen. In den '70ern wird ihm diese Investition noch sehr viel Geld einbringen. (Dass er davon einen Großteil versäuft, ist eine andere Geschichte.
Zeitgleich 1963 im Osten von Dallas, Texas: John Peel lernt zwischen Hörspielen, Nachrichten, Sport- und Rathaus-Übertragungen, wie man Radio macht. Der Engländer kann den Amis von der Beat-Musik zwischen Mersey und Themse schon viel erzählen, bevor die Beatlemania ausbricht und die British Invasion das Mutterland des Rock'n'Roll erreicht. Später, nach seiner Rückkehr ins Reich der Queen, fördert John Peel die Bekanntheit der Band Taste und ihres Gründungsmitglieds Gallagher. Dass das Durchpflügen des staatlichen britischen Radioarchivs 18 CDs und zwei BluRays zutage fördert, legt schon nahe, alleine aus diesem Kapitel ein Best Of zu machen: "The Best Of Rory Gallagher At The BBC". Bis heute ist der Kerl mit den Karo-Hemden und dem welligen Haar überaus präsent auf dem Markt der Wiederveröffentlichungen.
Die BBC und der Blues-Komponist gehen eine enge Bindung ein. Regelmäßig schneidet der britische Sender ihn bei Events mit, oder der Rocker besucht die Sendestudios. Die "BBC Sessions" brachten bereits 2018 eine kleine Auswahl. Jetzt wird der ganze Tresor geknackt. Neben der Strat spielt Rory natürlich auch auf manchen dieser Aufnahmen Mandoline, Mundharmonika, andere Gitarren-Modelle und mehr. "The Best Of Rory Gallagher At The BBC" kombiniert einen Konzertmitschnitt, den ich so als Ganzes trotz elektrisierender Genie-Streiche ("Philby - 1979"!) nicht erwählt hätte, mit einem Extrakt aus der Archiv-Fülle von Anfang der 1970er bis Ende der '80er. Dies ist ausdrücklich kein "Best Of Gallagher", sondern bezogen auf die BBC: Auf das, was diese im Nachhinein aus ihrem Fundus am besten fand.
Eine Vielzahl absolut brillanter Perlen des Iren fehlen. Das heißt, "Crest Of A Wave" aus dem ersten, "Laundromat" aus dem zweiten Album, "Cross Me Off Your List" aus dem fünften, "Moonchild" aus dem sechsten Longplayer, also lauter Kracher vermisst man hier. Bei Gallagher ging es aber eh oft um die Stimmung, so dass die A-Ware nicht zwingend für eine reichhaltige Zusammenstellung ist, und die ist hier trotzdem gegeben. "Tattoo'd Lady - 1973" aus der Kracher-Liga funkelt besonders, hier als soulige Nummer mit bluesigem E-Piano und eine die besonders funkelt. Der Klassiker von 1973 dröhnt heavy aus dem Verstärker. Subtiler und gefühlt langsamer als auf dem "Irish Tour"-Mitschnitt wirkt diese BBC-Version. Stimme und Drums fühlen sich satter an als bei "Gallagher Live At Montreux" und weniger 'Cowboy-wirft-Lasso'-mäßig als im Studio auf "Tattoo".
Die wesentlich spätere Aufnahme "Live At Cork Opera House" hat ein langes Intro, ist düsterer und richtet sich eher an den Heavy Metal-Fan. Dort agiert der Gitarrenheld zwar spielerisch aufregender, die Tonqualität nimmt dort aber vom Text die Aufmerksamkeit weg. Der BBC-Take aus dem Entstehungsjahr des Liedes hört sich viel frischer an, Rory hat den Song nicht schon tausende Male aufgeführt und lässt die "tätowierte Dame" plastisch vor unserem inneren Auge erscheinen.
In der Edel-Ballade "I Wonder Who - 1974" mutiert die Gitarre zum Bergsteiger. Ein Original dazu findet sich auf keinem Studioalbum, denn als Muddy Waters-Cover gab Gallagher die Nummer lediglich auf Tour zum Besten. Das orgiastische Orgel-Solo seines auch schon lange im Rock'n'Roll-Heaven schwebenden Mitstreiters Lou Martin muss man gehört haben. Muss! An ein paar Stellen nimmt die tolle Interpretation die Abzweigung zur Jazz-Improvisation. Was bei Muddy völlig auf die Klampfe zugeschnitten ist, dreht sich bei Rorys Band in etwas Edles, Urbanes.
Aus dem Radio-Archiv kommt auch eine Fraktion akustischer und ruhiger Aufnahmen ans Licht. "Can't Be Satisfied (with Juan Martin) - 1984" lief im Programm der BBC 1, heute auch eine Welle für hippe junge Elektronik, Afrobeats, R'n'B, damals war Rory dort gefragt, obwohl 1984 bekanntlich nicht der Boom von Bluesrock war. Das zeigt, wie extrem eng die Beziehung zwischen Sender und Künstler war, fast so eng wie zwischen BR und Edmund Stoiber. "Banker's Blues" klimpert akustisch und zurück haltend, ergänzt um eine Mundharmonika, wie im Original.
Bei der BBC serviert der junge Rory in heller freundlicher Stimme die Story, wie die junge Freundin dem reichen Mann sein Geld vom Bankkonto abräumt, von dem er sich eigentlich gern einen Cadillac gekauft hätte. Die ursprüngliche Fassung auf "Blueprint" ist zwar eine Minute länger, büßt aber an Witz ein. Besser ist es, wie schelmenhaft und trocken Rory das rhythmisch komplexe Lied bei der BBC vorträgt. "I walk down to the bank / I draw all my money out", hasserfüllt gegenüber der raffgierigen Schwiegermama, die zu ihrer Göre hält. Die Dominanz der Mundharmonika tritt zurück, und der Akustikgitarre gönnt Gallagher dafür gegen Ende mehr Raum.
"Out On The Western Plain - 1979" und "As The Crow Flies" punkten ebenfalls in der Disziplin Acoustic/Unplugged. Für den 20. September 1979 organisiert die BBC einen Auftritt vor Publikum. In den stolpert die Band mit "Shin Kicker - 1979" hektisch hinein. Purer Rock'n'Roll, dirty und rotzig, bricht sich hier Bahn. Auf Kosten der Verständlichkeit der Songtexte prescht die Band drauflos. Das Konzert liefert auf Rorys persönlichem Peak, gleichzeitig in der großen Zeit von Punk und New Wave mitunter arg puren Stomp-Sound, der nahtlos an Little Richard anknüpft, mit Verstärkern. Dass sich Rory genau zu dieser Zeit parallel durchsetzte, beweist, wie gut er war, wie er fesseln konnte. Es gab keine Bluesrock-Welle, auf der er hätte schwimmen können, sondern er war gegen den Strom unterwegs.
Was es allerdings um ihn herum schon als Trend gab, waren generell lange Gitarren-Soli in anderen Genres, siehe Pink Floyd, und auch dieser typische Irish Pub- und Hardrock Café-AOR-Sound wie in "Follow Me - 1979", dem man eine schmutzige Klang-Qualität verzeiht oder dem sie sogar gut ansteht. Hier strahlt Rorys Charisma durch die manchmal (siehe z.B. bei "Wayward Child - 1979") fragwürdige Bootleg-Qualität, weil der Song warm wie in Trance gespielt, mitreißend wirkt. Highlights sind ein Zitter-Solo in "Follow Me" mit gequetschten Hoch-Ausläufern in der gar nicht so bluesigen Akkordfolge und dann Gallaghers energisches und zügiges Vibrato-Spiel.
Ausstrahlung lautet auch das Zauberwort für einige gute Moves in "Do You Read Me? - 1979" Auch wenn mir das Original auf "Calling Card" wesentlich mehr zusagt, muss ich doch einschränken, dass das Stück sonst eine Spur üppig und überladen wirkt. Da hat die BBC-Version etwas Lässiges. Rory improvisiert, das kann er großartig, bekommt man sonst viel zu selten mit, und die Live-Version macht die einzelnen Instrumente transparent, lässt Luft und erschlägt nicht mit Lärm-Verdichtung, trotzdem ist sie schon Blues-Metal. Einen Kick gibt es mir immer, wenn Gallagher mit der Stimme atemlos in den Höhentönen gebricht und Aussagen wie Fragen klingen, das ist hier der Fall.
Manches Gegniedel wie "Hellcat - 1979" erträgt man womöglich nur hackedicht, andernfalls langweilt es schon sehr. Bei bassbetonten Nummern wie "Mississippi Sheiks - 1979" versagt das Venue, das sich einfach The Venue nennt. Es hatte ein Jahr zuvor im Eigentum von Virgin Records eröffnet, kaum Erfahrung mit wilden Blues-Soli und schloss auch bald wieder. Veritable Anspieltipps im Live-Bereich sind "Last Of The Independents - 1979", wo das Publikum richtig frenetisch jubelt und eine Bomben-Stimmung im Saal herrscht, "As The Crow Flies - 1979", wo die Leute aus dem Jubeln zu Recht nicht raus kommen und der vehemente und erdige Disco-Funkrock "Philby - 1979".
Er sticht aus Rorys Gesamtwerk heraus und vereinnahmt mit rhythmischer Schlagkraft, die ihresgleichen sucht. Einzigartig an der Paranoia-Nummer über den Doppelagenten Philby ist eine Sitar. Sie verleiht dem Ganzen live musikalisch noch den Schuss an Absurdität, die eh schon an der Geschichte dran ist. Rory war crazy genug, non-konforme Sounds durchzuziehen. Im Text schildert er die Mischung aus Versteckspiel, Spionage, Schlafentzug, geistigem Durchdrehen an Plätzen, an denen sonst niemand ist. Rory behandelt hier womöglich seinen eigenen Verfall. Denn die Geister von Tabletten und Alkohol verfolgen ihn, er entwickelt sogar ein (wohl anfangs nicht vorhandenes) Lampenfieber.
Gemartert zwischen Burners und Downers, Versuchen die Stimmung zu heben, Abstürzen bei zu viel oder zu wenig Schnaps, und ungesteuerten Wechselwirkungen zwischen Drinks und Pillen ließen ihn wohl ähnlich fühlen wie Kim Philby, der für die Queen die Sowjets observieren sollte, diese aber zugleich mit wertvollen Infos versorgte und später für den KGB als 'Parsifal' zum trinksüchtigen Spitzel wurde. Auch er hatte seinen Konsum nicht unter Kontrolle. "Philby - 1979" kannte das Publikum im The Venue noch nicht, erschien gerade erst zeitgleich auf der "Top Priority"-LP, und so gut ist der Tune im Studio nicht.
Man merkt es an diesen BBC-Aufnahmen oft: Gallagher brauchte stets neue Spielzeuge. Ein Song war im Idealfall unverbraucht, damit er ihn in voller Emotionalität raus schleudern konnte. Traf das zu, dann bekam seine Stimme gern eine für ihn typische Wendung zum halben Verschlucken des Gesangs im Gaumen, und dann wirkt er so, als schreibe er den Song gerade, während er ihn performt.
Oft gejammte Songs nutzten sich für ihn selber hingegen ab. Auch das zeigt ein bisschen seine Labilität und stellt eine Parallele zu Amy Winehouse dar, die Lieder mit jedem Live-Auftritt veränderte. "Shadows falling down / I'm disconnected, but I don't need pity", singt Rory in "Philby". Gallagher war ein einsamer Typ, ohne Verbindung zu irgend jemandem, auch nicht zu sich selbst, am ehesten noch zu seiner Stratocaster. Er nahm die Welt vermutlich verzerrt, voller Angst, mit "herunter fallenden Schatten" wahr. Aber er wollte kein Mitleid, "no pity". Den Niedergang seiner Seele und seiner Leber dokumentiert seit Oktober auch das Buch "The Later Years" auf 450 Seiten. Wer dafür den passenden Soundtrack sucht, könnte die 18 CD-Box in Erwägung ziehen.
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