laut.de-Kritik
Wenig nach viel klingen lassen.
Review von Stefan MertlikRosie Lowes Studio passt in eine Reisetasche: Mikrofon, Sampler, Laptop – mehr braucht sie nicht. Ihr drittes Soloalbum "Love, Other" entstand mit diesem Setup unter anderem in Florenz, Berlin, Barcelona und ihrer englischen Heimat Devon. Die Idee dahinter: Routinen killen, um kreative Prozesse anzuschieben.
Herausgekommen sind 15 Stücke, die klingen wie sie heißen. "Walk In The Park" zum Beispiel. Sanfte Streicher liegen über einem Sample, das sich anhört wie Warteschleifenmusik – es stammt allerdings aus dem Jazzstück "Lero Lero" der brasilianischen Künstlerin Dóris Monteiro. Lowe singt dazu rosarote Zeilen wie diese: "I fear nothing wrapped in your arms / I feel no fear when I'm wrapped in your arms."
Collagenhaft wirkt das Album, in Teilen fast unfertig. Die meisten Lieder kommen auf keine drei Minuten, einige enden schon vor der Zwei-Minuten-Marke. Doch der Reiz liegt im Unperfekten. "In The Morning" nahm Lowe an einem stürmischen Tag in ihrer Wohnung auf. Das Prasseln der Regentropfen hat es sogar auf die Aufnahmen geschafft. Darüber liegt ein spärliches Arrangement bestehend aus Synthie-Fetzen und einem Piano-Loop. "Look at the mess I made / I'm trying my best", haucht sie dazu, nur um in den nächsten Takten festzustellen: "It's in my head, no it's you."
Los ging es bei Lowe 2013, damals veröffentlichte sie noch ausproduzierten R'n'B mit starkem Elektro-Einschlag. Gut gemacht, aber auch ein bisschen langweilig. Dass es ohne Hochglanz geht, bewies sie 2021 zusammen mit Duval Timothy auf dem Kollabo-Album "Son". Ein paar karg gesetzte Soundeffekte und Synthie-Flächen, der Fokus lag auf dem Gesang – die Platte klingt aus heutiger Sicht wie die Blaupause zu "Love, Other".
Lowes Musik ist also nur noch irgendwas zwischen Schmusen und Meditation? Keineswegs. Die 34-Jährige, die bereits mit den Rap-Schwergewichten Jay Electronica und Little Simz zusammengearbeitet hat, zieht auf "Love, Other" immer dann das Tempo an, wenn der Hip Hop in ihre Musik findet. Und das geschieht in wohldosierten Häppchen: In "Bezerk", das bis auf den Beat heruntergestrippt wurde, presst sie ihren Gesang in den Rhythmus der 808s. "Something" fegt mit Bummtschack über die Tanzfläche, als wären die 1980er in den Gummibärensaft geplumpst. Und dass die Britin Weltmusikraritäten per SP-1200 und SP-303 samplet, sagt im Grunde alles.
Mehrstimmiger Gesang, Samples, Field Recording, Piano – die Zutatenliste von "Love, Other" besteht aus wenigen, dafür aber fruchtbaren Elementen. Für die Selbstverwirklichung, die Lowe zum ersten Mal weitestgehend ohne Fremdproduzenten meistert, mischt sie diese paar Zutaten zu einem erstaunlich prallen Paket. "I'm truly worth every penny you spend", heißt es in "Mood To Make Love". So ist es.
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