12. Dezember 2005

"Ich will nicht alleine sein"

Interview geführt von

Ein gut aufgelegter Rufus Wainwright spricht am Rande seines Köln-Konzerts über seinen früheren Spaß an der Zurückweisung durch heterosexuelle Männer, Popsongs als Dinner-Partner und emotionale Steinschleudern bei den Auftritten seiner Eltern.Rufus Wainwright wartet schon in der Garderobe, die der Tourmanager kurzerhand zum Produktionsbüro umfunktioniert hat. Bis zu seinem Konzert im Kölner Gloria Theater dauert es noch eine Weile. Auch Wainwrights Schwester Martha, die pünktlich zum Erscheinen ihres Debütalbums die Deutschlandkonzerte ihres Bruders eröffnet, schwirrt im Backstagebereich umher. Da ist es also wieder beisammen, das Familienunternehmen, zumindest ein Teil davon.

Das Büro ist schmal. Ein Spiegel erstreckt sich fast über die ganze Breite des Raumes, wie eine allgegenwärtige visuelle Metaebene. Etwas kühl ist das Ambiente zwischen Notebooks und Kabeln, aber Wainwright gleicht das mit seiner freundlichen Aufgeschlossenheit schnell aus, beginnt sofort mit Smalltalk und Begrüßung, während das Mikro noch gar nicht an Aufnahme denkt. Doch das ist schnell zu ändern, und der Plausch beim Milchkaffee kann beginnen.

Du hast schon, als du noch sehr jung warst, ziemlich viel verschiedene Musik gehört. Zu deinen Idolen gehören Edith Piaf und Judy Garland, mit dreizehn hast du angefangen, dich für die Oper zu interessieren. Wie bist du so früh mit einer solchen musikalischen Bandbreite in Berührung gekommen?

Rufus Wainwright: Meine Eltern sind beide Musiker (Loudon Wainwright III. und Kate McGarrigle, Anm. d. Red.). Sie sind zwar nicht sehr berühmt, werden aber als Musiker sehr respektiert. Damit waren riesige Plattensammlungen und ein breites Wissen, das sie an ihre Kinder weitergeben wollten, verbunden. Es war ja im Prinzip ein Familienbetrieb. Ich glaube, es war vor allem meine Mutter, die uns ermutigt hat, Dinge zu hören, die anders waren.

Als ich mir dein aktuelles Album "Want Two" angehört habe, kam es mir so vor, als ob eine Menge von diesen verschiedenen Einflüssen in der Musik steckte. Hast du versucht, so viele Stile wie möglich darauf unterzubringen?

Als ich "Want One" und "Want Two" gemacht habe, habe ich gedacht, dass es eine Möglichkeit für mich ist, zu entspannen und die musikalische Reise, die ich mein ganzes Leben lang gemacht habe, noch einmal zu erforschen. Ich mag es sehr, die Einsamkeit auszudrücken, die ich erfahren habe. Ich bin früher alleine in die Oper gegangen, ich hörte mir Piaf-Platten an. Ich musste das rauslassen und mich ausdrücken. Das muss ja für irgendetwas gut gewesen sein (lacht). Die Alben waren eine Chance für mich, fast wie das Erlebnis einer Beichte, nicht nur bezogen auf mein Leben, sondern auch auf meinen Musikgeschmack.

In einer Kritik der New York Times hieß es, "Want Two" sei deine unkommerziellste Platte. Stimmt das in deinen Augen und war das eine bewusste Entscheidung?

Es war keine Entscheidung, die ich getroffen habe. "Want Two" als Album gesehen ist das unkommerziellste Album von mir, auf der anderen Seite enthält es einige der kommerziellsten Songs, die ich je geschrieben habe. Auch wenn das Album im ganzen etwas bizarr ist, sind "The One You Love" und "Crumb By Crumb" Standardpopsongs. Das ist auf den anderen meiner Platten schwer zu finden. Ich denke, es ist ein extremeres Album, mit Sachen, die man nicht in einer Million Jahren im Radio hören wird oder anderen, die extra fürs Radio gemacht sind. Das war meine Strategie: Ich denke mehr in einzelnen Songs, wenn es darum geht, mich zu verkaufen.

"Zurückweisung entsprach meiner romantischen Vorstellung eines Songwriters"

Da du schon eine ganze Weile mit dem Album "Want Two" auf Tour bist, hast du die neuen Songs schon oft spielen können. Wie haben die Zuschauer darauf reagiert?

Es schien so, als würden sie sie mögen. Ich habe ein sehr loyales Publikum. Ich glaube, die schätzen es, dass ich alles versuche, um sie zu unterhalten und ihnen einen interessanten Abend zu bescheren. Sie akzeptieren sehr viel, egal welche Richtung ich einschlage. Wenn bei mir Musik vom Band käme und ich auf schwedisch singen würde, würden sie vielleicht ein wenig aufwachen. Sie sind sehr interessiert an dem, was ich zu sagen habe, es ist wirklich toll.

Ich möchte mit dir über eine Textzeile sprechen, die ich in dem Song "Waiting For A Dream" gefunden habe: "You're not my lover and you never will be/ Cause you've never done anything to hurt me". Ist das dein Bild von Liebe?

(Lacht) Es gibt da definitiv etwas in der Liebe, mit dem ich zu kämpfen habe. Ich habe mich immer schon zu Störungen und unmöglichen Träumen bezogen auf Beziehungen hingezogen gefühlt. Was mir mittlerweile klar wird: Alles ist ein zweischneidiges Schwert. Liebe hat diese liebevolle, besorgte Seite, aber sie hat auch diese sehr gewaltsame und destruktive Natur. Ich habe mein Leben lang immer eher die destruktive Seite gekannt und beginne mittlerweile, auch die liebevolle Seite kennen zu lernen. Das ist etwas, mit dem ich viel kämpfe.

Also besteht die perfekte Beziehung nicht mehr darin, dass der Partner möglichst unzuverlässig ist.

Das war für mich die perfekte Beziehung. Lange habe ich mich nur dafür interessiert, Hetero-Männer zu daten, weil es meiner romantischen Vorstellung eines Songschreibers entsprach. Ich wurde immer zurückgewiesen und habe meine Wunden geleckt, obwohl ich eigentlich das Gesicht von jemandem hätte lecken sollen. Ich hab mich lange auf diese eher schülerhafte Verhaltensweise beschränkt. Jetzt, wo ich 32 bin, frage ich mich, ob ich wirklich allein sein möchte (lacht zaghaft), denn darauf würde es ja hinauslaufen. Und das will ich nicht. Man wird realistischer, wenn man älter wird.

Im gleichen Song - "Waiting For A Dream" - nennst du George Bush einen Oger. Ich habe mich darüber gewundert. Ist das wirklich der richtige Vergleich? Seit Shrek, zu dessen Soundtrack du auch einen Song beigesteuert hast, hält jeder einen Oger für ein seltsames, aber freundliches Wesen.

Oh, du meinst so eine Art einfache, nette Kreatur? Nein, mit einem Oger meine ich diesen althergebrachten, Hans Christian Andersen-mäßigen, im Untergrund lebenden blutdurstigen und blutsaugenden Bastard (lacht laut). Es geht also auf keinen Fall um Shrek.

Fühlst du dich von dem bedroht, was er über Homosexualität denkt und sagt?

Ich habe mich früher von ihm bedroht gefühlt. Es gab diese Zeit, in der er diskriminierende Passagen in die Verfassung einbringen wollte, was die Ehe angeht. Dass sie eben nur für einen Mann und eine Frau geschaffen sei. In der westlichen Welt sind die Rechte der Schwulen zur Zeit ziemlich gesichert, es gibt viele Leute, die für sie kämpfen. Es wird akzeptiert, dass es ein Weg in die Zukunft ist, dass Toleranz richtig ist. Wenn man aber in den Rest der Welt schaut, zum Beispiel nach Saudi Arabien, sind die Rechte von Schwulen eine große Herausforderung, dort finden Tragödien statt. Kürzlich wurden zwei junge Männer hingerichtet, weil sie schwul waren. Und dann sieht man, dass George Bush sehr gut mit der saudischen Königsfamilie befreundet ist. Ich denke es gibt in der amerikanischen Regierung keinerlei Bewegung, um die Rechte von Schwulen, Lesben oder anderen Minderheiten in der Welt zu schützen. In dieser Richtung ängstigt er mich schon, ich glaube nicht, dass ihn diese Thematik auch nur annähernd interessiert.

"Songs sind eine Möglichkeit zur Kommunikation mit einem, der nie da ist"

Du bist als Musiker auf Tour, seitdem du dreizehn bist. Damals noch mit der Band deiner Mutter, der McGarrigle Family. War das etwas, was du selbst entschieden hast?

Ich war nie für längere Zeiträume auf Tour. Es waren gelegentliche Trips, die wir gemacht haben. Es war eher so, dass meine Mutter nicht mit uns für einen Monat ans Meer oder auf Skiurlaub gefahren ist, sondern wir im Urlaub zusammen auf Tour gegangen sind. Sie tourte durch Europa, spielte auf Festivals. Die Touren waren unsere Art, Urlaub zu machen, und es hat immer viel Spaß gemacht und war aufregend. Es hat meine Schwester Martha und mich dahingehend geformt, dass wir in einem ziemlich jungen Alter schon sehr professionelle Musiker waren. Wir haben schnell Lust daran gefunden.

Hattest du niemals andere Optionen im Kopf, was du mit deinem Leben außerhalb der Musik anfangen könntest?

Ich bin eine Weile auf eine Kunstschule gegangen, habe Malen und Zeichnen gelernt, das war immer eine verborgene Passion von mir. Ich habe auch ein wenig geschauspielert. Die Musik gehörte aber immer zu den Kronjuwelen.

Deine Eltern sind beide Musiker, und sie haben auf der Bühne nach ihrer Trennung öfter mal übereinander gesungen. Hast du das als Kind mitbekommen?

Ja, immer. Ich erinnere mich an einen Abend in einem New Yorker Club, meine Mutter stand im Publikum, mein Vater auf der Bühne, es waren Jahre vergangen, seit sie verheiratet waren. Er sang einen Song über sie, und sie stand direkt neben mir und weinte. Es wurden immer diese emotionalen Steinschleudern abgefeuert, wenn ein Familienmitglied einen Auftritt spielte (lacht).

War das nicht hart für dich?

Nein, es war eigentlich ein echtes Privileg. Ich sage das, weil ich die Möglichkeit hatte, meine Eltern so zu erleben, wie sie wirklich als Menschen waren. Ich denke nicht, dass viele Menschen diese Möglichkeit haben, ihre Eltern anzusehen und zu denken 'Oh mein Gott, sie versuchen nur ihre Leben zu leben, sie haben Schwächen und Träume.' Das wurde mir bewusst, als ich noch sehr jung war, das war eine wichtige Erfahrung. Es hat mir eine Lizenz gegeben, zu sein, wer ich bin. Ich sagte mir 'Du hast eine starke Persönlichkeit? Ich werde auch eine haben. Sieh Dich vor!'.

Es sieht so aus, als würden du und deine Schwester diese Tradition fortsetzen. Du hast "Dinner At Eight", deine Schwester "Bloody Mother Fucking Asshole" für deinen Vater geschrieben.

Ja, das machen wir. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass wir uns nicht mehr so oft sehen wie früher. Viel Zeit geht für das Reisen drauf und man ist von zuhause weg, da werden Songs zu deinem Dinner-Partner (lacht). Sie sind eine Möglichkeit zur Konversation mit jemanden, der nie da ist.

Was sind deine Pläne für die Zukunft. Hast du schon Songs für ein neues Album aufgenommen?

Ja, ich habe angefangen, Songs zu schreiben, aber noch keine aufgenommen. Im Winter nehme ich mir ein paar Monate frei, entspanne und warte ab, was sich künstlerisch ergibt. Im Herbst werde ich wohl mit dem Album beginnen.

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