laut.de-Kritik
Ein Hauch von Wehmut umgibt das Ende.
Review von Alexander CordasZu ihrem 40. Jubiläum beackerten die Kanadier von Rush wieder einmal den Globus, um der Meute zu geben, wonach sie verlangt. Das beinhaltet auch, dass das Trio immer wieder seine Setlist fast komplett ausmistet und Nummern ins Programm hievt, mit denen man nie im Leben gerechnet hat. Spezieller Augenblick bei dieser Aufnahme: "Losing It". Das wunderschöne, von seiner Rhythmik getragene Stück vom 82er "Signals" erhält endlich die Live-Würdigung, die es eigentlich schon lange verdient.
Special Guest an der elektrischen Violine: Ben Mink. Er spielte auch den instrumentalen Part auf dem Studio-Album ein und sorgt für einen der zahlreichen Gänsehaut-Momente des Auftritts. Spaßiger Fakt: Die Songs kommen in umgekehrter chronologischer Reihenfolge daher, mit dem Endpunkt "Working Man" vom Debüt aus dem Jahr 1973.
Ein weiteres nettes Gimmick bietet "Roll The Bones". Während bei vorangegangenen Touren stets ein Totenschädel auf der Leinwand den Rap-Part übernahm, sind diesmal einige Prominente zu sehen, die diese Aufgabe erfüllen und Rush so Tribut zollen. Als da wären: die Schauspieler Jay Baruchel, Jason Segel und Paul Rudd sowie Tom Morello (Rage Against The Machine, Audioslave), Les Claypool (Primus) und last but not least Peter Dinklage, der den Tyrion Lannister in Game Of Thrones mimt.
Was Klang und Bild anbelangt, sind Rush ohnehin seit "Snakes & Arrows Live" im High End-Bereich angekommen. Die Schnittfrequenz bewegt sich durchweg im erträglichen Rahmen und dokumentiert die Darbietungen der drei Musiker in allen Belangen vorbildlich. Auch die Kamerafahrten beeindrucken mit zahlreichen schönen Blickwinkeln.
Nicht nur die Setlist gewährt einen umfassenden Einblick in die Geschichte der Band. Auch die mittlerweile zum Standard-Repertoire gehörenden Filmchen während und zwischen den Liedern und als Überbrückung in der Pause zwischen den zwei Sets kompilieren Rush aus jahrelanger humoristischer Laienschauspielerei. Was die drei an filmisch aufbereiteten Nonsens auffahren, verdeutlicht, dass sie sich selbst nicht allzu ernst nehmen. Ähnliches gilt für ihre Musik jedoch in keinster Weise. Jedes Riff, jedes Break, jede noch so vertrackte Note oder Rhythmik sitzt wie angegossen. Lediglich der übertrieben exaltierte Gesang Lees stört ein wenig das Gesamtbild.
Während die Kanadier sich bei der Covergestaltung ihrer Studio-Alben Mühe geben, scheint ihnen dieser Aspekt bei ihren Live-Alben doch recht schnuppe zu sein. Neil Peart, dem großen alten Mann am Schlagzeug, bei seinen Solo-Eskapaden über die Schulter schauen zu dürfen, hat aber auch nach Jahrzehnten keinen Deut an Reiz eingebüßt.
Das sieht auch das Publikum so, das mit reichlich Air-Guitar und vor allem dem dämlich anzuschauenden Air-Drumming am Start ist. Der Anteil der weiblichen Rush-Fans scheint in Toronto erstaunlich hoch zu sein, oder aber die Kameraleute haben sich einfach die Hübschesten aus dem Mob für Close Ups ausgesucht.
Ein Hauch von Wehmut umgibt das Ende, wenn sich Alex Lifeson, Geddy Lee und Neil Peart vom Publikum verabschieden: Die Live-Zukunft von Rush steht in den Sternen. Dies ist unter anderem Lifesons Arthritis-Erkrankung geschuldet. Der Gitarrist ließ verlauten, mit ihm gebe es keine halben Sachen. Wenn er nicht volle Leistung bieten kann, geht er nicht mehr auf die Bühne. Es bleibt die Hoffnung ...
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