laut.de-Kritik

Oasis liegen im familiären Hirntod-Koma? Her mit Saint Jude!

Review von

Großbritannien ist seit knapp fünf Dekaden einfach das weltweit kreativste Land was Populärmusik betrifft. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Doch wo bleibt die eine, echte Rock-Hoffnung? Die totale Offenbarung für das darbende Volk? Oasis liegen mariniert im familiären Hirntod-Koma. Die Libertines starben einen allzu frühen Tod. Und Franz Ferdinand taugen - bei allem Können - nun wirklich nicht zum großen emotionalen Theater. In dieser Finsternis tauchen auf einmal Saint Jude auf und erstrahlen wie eine Magnesiumfackel.

Fünf Londoner, ein kongeniales Songwriterduo und die beste Frontfrau seit gefühlten 100 Jahren treten zur Welteroberung an. Schlecht stehen die Chancen nicht. Immerhin hat Bandgründer Adam Greene den Rock quasi schon mit der Muttermilch konsumiert. Wuchs er doch als Nachbar des legendär tragischen Fleetwood Mac-Gründers Peter Green auf. Zusammen mit der knapp 20 Jahre jüngeren Sängerin Lynne Jackaman schreibt er fast alle Songs für die Saints.

Mit Britpop und Konsorten hat das alles herzlich wenig zu tun. Die Wurzeln der nach dem Heiligen Judas Thaddäus benannten Kapelle liegen eher in den fiebrigen Sümpfen. Die Faces, Led Zep und vor allem die auf der Platte schier allgegenwärtigen Stones stehen gemeinsam Pate. Doch Retro-Alarm und Epigonenglocken bleiben stumm. Kopiert wird hier rein gar nichts. Und überhaupt: Was den Gallagher Brüdern ihre Beatles sind, dürfen den Heiligen ihre Stones sein.

Also schnell rein in den räudigen Rummelplatz! Mit "Soul On Fire" und "Garden Of Eden" tobt Lynne Jackaman wie ein Tornado. Dreckiger Rock'n'Soul plus unwiderstehlichem Kaschemmenklavier. So kämpferisch wie ein rotziges Stehauf-Mädchen aus der Gosse röhrt sie sich durch die schnellen Tracks. Tante Janis hätte ihr sicherlich zugeprostet. Dabei verliert Lynne als echte Könnerin den Soul nie aus den Augen. Wer immer glaubte, Armani-Delay habe echtes Feuer, darf sich von diesem berstenden Dynamitpäckchen mal so richtig wegpusten lassen.

Doch es geht auch ohne Gaspedal. Das Album wartet mit extrem starken Feuerzeugschwenkern auf. "Down This Road" gibt der Soulballade jene raue Hinterhof-Seele wieder, die plastinierte Las-Vegas-Krähen wie Carey, Dion, Houston etc. fast erlegt hätten. Die Wärme und Eleganz dieser Lieder lässt dem Hörer buchstäblich den Mund offen stehen. Bei "Angel" singt die Mittzwanzigerin in der Strophe sogar ein wenig charmant angejaggert. Schöne Hommage!

Der Überhit der Scheibe ist sicherlich das hymnische "Pleased To Meet You". Whiskeykehlig und breitbeinig gibt sie den toughen, weiblichen Racheengel. Den Refrain wird man nicht mehr los. Der perfekte Sex & Drugs & Rock'n'Roll-Song für jede Gelegenheit! So bekommt man eine Platte mit zehn Volltreffern, als hätten die Sixties/Seventies nie geendet. Modern und zeitlos sind die Saints trotzdem, da sie in Greene/Jackaman ein außergewöhnlich eigenständiges Composergespann mit Hit Appeal haben. Wer jetzt noch Rockismus! ruft, ist entweder notorischer Nörgler oder mit Van Goghs Ohr für Musik gesegnet. In einer gerechten Welt, würde dieses Tagebuch eines Soul-Feindes das Album des Jahres. In unserer hoffentlich auch! Beste Rockplatte seit Jahren!

Trackliste

  1. 1. Soul on Fire
  2. 2. Garden of Eden
  3. 3. Little Queen
  4. 4. Down This Road
  5. 5. Down And Out
  6. 6. Pleaed To Meet You
  7. 7. Angel
  8. 8. Rivers And Streams
  9. 9. Parallel Life
  10. 10. Southern Belles

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