laut.de-Kritik
Der basslastige Sound zeigt dem Zeitgeist die kalte Schulter.
Review von Laura SprengerAls Ganzes lässt sich Samuel Sorges siebtes Release "Berühmte Letzte Worte" vielleicht am ehesten so beschreiben: Man stelle sich einen Burger vor, dessen wichtigster Teil, also die Bulette, aus Kritik an Politik und Gesellschaft besteht. Zusammengehalten wird sie von zwei Brötchenhälften namens Selbstbeweihräucherung und persönlichem Deeptalk. Oder so ähnlich.
Eine Geschmacksexplosionen entfachende Würze sucht man hier vergebens, vielmehr erweckt die Gesamtkomposition einen wohl durchdachten und trotz provokanter Elemente angenehm unaufgeregten Eindruck. Bei jedem zweiten Bissen erwischt man allerdings kleine, schwer verdauliche Bröckchen mit einem bitteren Nachgeschmack aus Zweckreim, Holprigkeit und purer Ratlosigkeit ("Weil ich lyrisch so frisch klinge, ist mein neuer jetzt Sound überall, wie syrische Flüchtlinge").
Für die passende Untermalung sorgen Bazzazian, Farhot, Matteo Capreoli, DJ Vito und Samsemilia selbst. Soulig, orchestral und meist basslastig zeigt der Sound dem Zeitgeist die kalte Schulter, ohne altbacken oder angestaubt zu klingen. Kurze Shoutouts von Afrob ("Countdown"), ein Skit von MoTrip ("Letzte Überlieferung") und die von einer Frau eingesungenen Hooks in "Haus Am Mehr" und "Mittendrin" lockern das Gericht auf, während ein stimmgewaltiger Megaloh mit einem auffällig lallenden Samy seine "Epochalität" unter Beweis stellt.
"Bisschen Mein Ding" kommt nicht ohne platte Phrasen à la "Du bist wie ein Gewinn in der Lotterie, flotte Biene, süße Torte, Zuckerschnitte" aus. Die darauf folgenden persönlichen Tracks, die den frühen Verlust einer Vaterfigur und die daraus resultierende Relevanz der Mutter, den aufgrund einer Scheidung in den Staaten lebenden Sohn und immer wieder die Liebe zur Musik thematisieren, gelingen jedoch so unpeinlich wie authentisch und gefallen besonders aufgrund verstärkt eingesetzter Cuts und Scratches.
Alles in allem handelt es sich bei "Berühmte Letzte Worte" um ein Album, dessen Genuss sicher keine Magenverstimmung verursacht, das man sich aber nicht jeden Tag auf dem (Platten-)Teller wünscht – zu viele andere spannende Gerichte haben inzwischen den Markt geflutet.
10 Kommentare mit 5 Antworten
Samy Deluxe - Berühmte Letzte Worte
Dario Argento und Samy Deluxe haben einiges gemeinsam. Ähnlich wie der 38-jährige Deutschrapper kann auch der Filmemacher Argento auf eine bewegte Karriere zurückblicken. So konnte der 75-jährige gerade in den 70er und 80er Jahren maßgebliche Meilensteine im italienischen Horror- und Thriller-Kino setzen, die seinen Ruf bis heute begründen. Dynamische Kameraeinstellungen mit Farbspieleieren, extravagante Kompositionen der Haus-und-Hof-Band Goblin, hitchcockeske Drehbücher und ein gesunder Schuss Irrsinn begeistern ausgewählte Zuseher weltweit bis Heute. Nachdem der Regisseur in den 90er Jahren einige filmtechnische Experimente durchgeführt hatte, von denen jedoch einige nur noch als gerade passabel durchgingen, ist sein letzter uneingeschränkt empfehlenswerter Streifen Anfang des neuen Jahrtausends erschienen.
Seitdem schaufelt er sich kontinuierlich sein eigenes filmisches Grab mit Veröffentlichungen, die einen ehemaligen Meister in einem sehr traurigen Licht dastehen lassen. So gibt es Filme, in denen so manch beteiligte Person später vehement jegliche Präsenz darin leugnet, misslungene Neuinterpretationen oder schlichtweg absurde Szenenfolgen mit schlechter Technik ohne einen Hauch der geliebten Atmosphäre wohligen Grauens und gekonnter Surrealität. Mittlerweile ist man an einem Punkt angelangt, an dem jede neue Ankündigung eines weiteren Werkes von Szenekennern mit einem sicherlich sehr unangenehmen Schaudern aufgenommen wird. Ähnlich wie bei Samy Deluxe.
Samy Deluxe. Ende der 90er Jahre fulminant als eines der Zugpferde der damals sehr prägenden Hamburger Schule gestartet, überrollte er binnen kürzester Zeit mit exzellenten Flows und ausgefuchsten Texten die damals noch in den Kinderschuhen steckende Szene und konnte sich im Jahr 2000 zurecht als "Deutschlands bester MC" bezeichnen. In der Folgezeit erging es ihm jedoch wie oben genannten Argento. Krude Labelentscheidungen, eine meist schwache Beatwahl und saftlose Alben, die das großartige Talent meist nur entfernt erahnen ließen standen an der Tagesordnung.
2004 erschien sein bis Dato letztes voll überzeugendes Werk, das jedoch auch schon damals einige Kritiker nach sich zog und sich vom originalen Sound deutlich entfernte. Als einer der kommerziell erfolgreichsten Rapper Deutschlands, gesellschaftlich voll integriert und durch soziale Projekte sehr geachtet genießt er seitdem den Status des Rap-Veterans mit einer eingeschworenen Fangemeinde. Ab und an veröffentlicht der produktive Wickeda MC einige über Youtube hochgeladene Videos fernab der Albensongs in denen sein bemerkenswerter Wortwitz, der aus einem umfangreichen Vokabular schöpfen kann, aufblitzt.
Seine viel zu oft mit seichten Pop-Elementen angereicherten Platten wiederum verzückten Kritiker wie Fans abseits des grün bebrillten Lagers jedoch allzu selten. Die wenigen Lichtblicke der Marke "Er müsse nur wollen" waren zu gering gestreut. um ihn dauerhaft als ernstzunehmende Alternative in der zunehmend mit frivolen Vollbärten und fitnessversierten Hobbyrappern vollgestopften Szene anzusehen. Auch sein 2012 gestarteter, völlig misslungener Versuch als Alter Ego "Herr Sorge" der damaligen Verschwörungspolonäse beizutreten trübte das Image zunehmend.
Seinem Selbstvertrauen taten diese Scherze jedoch keinen Abbruch, er ist sich weiterhin seines Talents, meist achtlos verschludert, bewusst und bring somit nun "Berühmte Letzte Worte" unter die Leute. So manch einer unter ihnen wünscht sich sicherlich, dass dieser Albumtitel auch Programm sei..
15 Tracks (Gut), darunter 2 Skits (Schlecht), 1 Feature (Megaloh). Der Rapper afrikanischer Herkunft bringts kurz und knackig, verzichtet auf chartbringende MoTrip-Gesänge und zieht sein Ding durch wie früher auf Hinterhöfen in Hamburg-Eimsbütel.
Was außerdem noch sehr wohlwollend für das Album spricht, sind seine Produzenten. Anders als bei der missratenen "Männlich"-Trilogie überlässt Samy diesmal wieder gestandenen Produzenten das Ruder und konzentriert sich vermehrt wieder auf das reine Schreiben. Mit Bazzazian a.k.a Benny Blanco und Farhot holt er sich zwei der besten Beatbauer Deutschlands ins Boot, die für frischen Wind sorgen sollen.
Das melodisch ausgeprägte "Vorwort" lässt die Sache schon sehr stimmig angehen, Samy zeigt eine sehr ansprechende Vorstellung, die Lust auf mehr macht. Ein "Haus am Mehr" bekommt man dann auch zugleich. Das seichte, vocallastige Soundbild mit gedämpften Drums und einem souverän flowenden Samsemilia ist dennoch eingängig, ohne jedoch vom Hocker zu reißen. Aber das will Samy in dieser Phase des Albums auch nicht, er möchte dass man ihm zuhört, so wie im atmosphärisch dichten "Countdown" mit einem Afrob-Cameo, in dem er über seine Karriere reflektierend berichtet, seinen Gedanken freien Lauf lässt und über den Zwiespalt des eigenen Schaffens gegenüber der Erwartungshaltung von Labeln und Hörern spricht.
"10 Menschen, 10 Meinungen, Ich wusste nie was die Fans wollen
Sie wollen weiter Entwicklung,doch man soll bloß keinen Trends folgen"
Nach diesem durchaus ehrlichen und für ihn wohl auch wichtigen Track ist das folgende "Klopapier" teilweise aber ein Griff ins hörbare Klosett. Der überladene Beat ist anstrengend zu Hören, übertönt Samys gesellschaftskritische Lyrics und verleitet zum Umschalten in die "Epochalität". Dort warten der wiedererstarkte Megaloh mit einem beeindruckenden Part, eine majestätisch-passende Begleitung und ein nuschelnder Samy, der wohl mal wieder den Mund zu voll genommen hat und den "Tellerand" in seiner sphärisch-flirrenden Darbietung nebst satten Drums blitzblank geputzt hat.
Im Himmels-Skit darf man im Folgenden zwar einem Standard-Singsang lauschen, die Produktion erweist sich allerdings als äußerst stimmungsvoll in den Schlusssekunden und zeigt typische Bazzazzian-Momente.
"Mittendrin" gibt sich poppig elektronisch und fokussiert, Samy philosophiert sich in einen Rausch über das kleine Individuum zwischen den großen Gegensätzen des Alls und der Erde, die moderne Produktion hält dagegen und es bleibt erfrischend -für Samy-Verhältnisse- auch bei "So Good", wieder ein sehr internationaler, präzise produzierter Beat, der Samys egomanische Verse in neue, bisher ungeahnte Dimensionen hievt.
Ja, das Album ist bisher so ein "Bisschen mein Ding". Ohne eine Spur von Schmalz serviert Chef-Poet Samy zu lauschigen Klängen einen gut verträglichen Love-Song ohne das übliche dramatische Pianogefledder und findet im textlich leicht gezwungenen "Mimimi" einen beattechnischen Abenteuerspielplatz vor, in dem er seine treibenden Flowvariationen austoben kann.
Hatte ich anfangs noch hocherfreut von fehlenden Motrip-Heimsuchungen berichtet, muss ich jedoch eingestehen, nur die Halbwahrheit von mir gegeben zu haben. Der zweite Skit "Letzte Überlieferung" bietet zwar druckvolle Bässe, aber Trip'sche Reime, die so gar nicht zum bisherigen Albumverlauf passen wollen. Es ist jedoch nur ein kurzer Skit und somit kann kann Samy den Leuten nach 12 Jahren endlich wieder aufrichtig und sehr authentisch einen persönlichen Track auch wirklich schmackhaft machen. "Was ich fühl" ist ruhig, sinnierend doch pulsierend zugleich. Großes Kino, das man von ihm so nicht wieder erwartet hätte.
Die Trennung zu seinem im Ausland lebenden Sohn belastet die Person Samuel Sorge auch im nächsten Track. "Papa weint nicht", doch ist auch nur ein Mensch.
Die Endphase des Albums beschäftigt sich zu passend ausgewählten, gediegenen Klängen mit Samys familiären Beziehungen, der Eindruck dass hier allerdings langsam die Luft raus ist, verstärkt sich jedoch.
Auch die Mutter wird besungen. "Von dir Mutter" ist ein Rückblick auf Zusammenhalt in Krisenzeiten, Samy klingt ungewohnt zerbrechlich, findet seine Coolness aber wieder im finalen Titeltrack. Dieser ist, mit Scratchen unterlegt pures Schaulaufen und routiniert umgesetzt und bietet zum Ende hin vertonten HipHop pur.
Positiv überrascht ziehe ich Bilanz: Zwar gibt es wenig bis gar keine Battle-Tracks, gen Ende hin etwas zu viel Emotionales und der ein oder andere Track läuft auch textlich nicht wirklich rund, doch Samy Deluxe schafft es hier durchgehend in guter Form zu bleiben, seine Stärken auszuspielen mit einem varibalen Flow und endlich einmal ein mehr als hochwertiges Klanggerüst auf seiner Seite zu haben. So kann es weitergehen.
Was ein paar Produzenten alles auslösen können. Argento wäre froh darüber.
3/5
@Garret: Die Bonus-Tracks (minus den "Mimimi"-Remix mit Trip und Ekos wackem Trap-Flow, sollte klar sein) gehen noch einmal in eine andere Richtung und runden das Album, das mir in de zweiten Hälfte stellenweise fast zu ruhig und erwachsen wird, schön ab.
Hab's erst zweimal durch, aber scheint mir mit Leichtigkeit des beste Samy-Release dieses Jahrzehnts zu sein ("SchwarzWeiss" habe ich lange nicht gehört). Lyrisch ist das jetzt nicht immer herausragend, aber durchaus kohärent und um Welten von der Logorrhoe seiner "Männlich"-Kampagne entfernt. Samy klingt durchweg motiviert und präsentiert sich technisch versiert und abwechslungsreich, wie man es bei jemandem mit seinem Ego auch erwarten sollte. Auch die gesungenen Einlagen mag ich, ebenso den Verzicht auf zu viele Features aus seinem Umfeld lahmer Qualitätsrapper. Letztlich sind es aber auch die starken Produktionen, die dafür sorgen, dass sich das Teil auch 2016 durchaus sehen lassen kann. Momentan feiere ich die battleraplastige erste Hälfte mehr, auch wenn die zweite wahrscheinlich durchdachter ist und das musikalische Niveau eigentlich nicht abfällt. Würde momentan 3,5/5 geben. Samy lebt.
Samy war ja angeblich raptechnisch schon tot aber Totgeglaubte leben länger!
Gutes Album, nicht ganz homogen im Soundbild.
Manche Sachen wären mit düsteren Beats und Soundgestaltung geiler gekommen aber gut, man kann nicht alles haben.
Die deepen Sachen sind fast auf "Schwarz/Weiss"-Niveau.
Rappt er wirklich: "Weil ich lyrisch so frisch klinge, ist mein neuer jetzt Sound überall, wie syrische Flüchtlinge"?
LOL.
Aber damals bin ich mit "Weck mich auf" sozusagen aufgewachsen. Aber das ist ja auch schon 15 Jahre her...
Mit knapp 3 Wochen Abstand muss ich leider sagen, dass ich zwar nach wie vor zu meinen obigen Worten stehe, das Album durch die vielen ruhigen, im Deutschrap-Sinne musikalischen (d.h. poppigen) Nummern aber auch zu den kurzlebigsten Releases 2016 zählt. Da lief Megaloh deutlich länger. Wäre, von den Singles mal abgesehen, wohl im Herbst deutlich besser aufgehoben gewesen.