laut.de-Kritik
Der Meister verbreitet mit den ersten Gitarrentönen massiv gute Laune ...
Review von Kai KoppAls ich erfahre, dass Legenden auch in Schwimmbädern aufspielen, sichere ich mir flugs eine Karte für Carlos Santana im Strandbad Lindau. Mitte September ist es so weit. Das verträumte Bodensee-Städtchen verwandelt sich in ein Rockungeheuer aus pilgernden Massen. Direkt am Ufer des Sees thront das Festivalgelände vor berauschend schöner Alpenkulisse. Die herbstliche Sonne grinst unschuldig während die erwartungsvollen Gesichter der 13.000 angereisten Fans aufgeregte Vorfreude widerspiegeln.
Das Ambiente färbt auch die Spielfreude der gastierenden Bands, die pünktlich ab 15 Uhr den Rasen rocken. Lemon 8 testen mit tanzbaren Rock'n'Roll die Bewegungsfähigkeit des Publikums und vertreiben während ihrer 45-minütigen Show die Sonntagsträgheit aus den Gliedern. Bühne frei für Outlandish, die dänischen Hip Hopper, die sich mit "Aicha", der Coverversion von Cheb Khaleds "Aiysha", in die internationalen Charts rappten. Smoothe DJ-Grooves, eine Akustikgitarre und die Stimmen der drei Frontsänger genügen, um die entspannte Laune zum ersten Höhepunkt zu geleiten.
Auch für sie ist nach 45 Minuten Schluss mit lustig, denn Santana will sich die Chance nicht entgehen lassen, dieses Ambiente zum Sonnenuntergang zu bespielen. Massiv gute Laune verbreitet er ab den ersten Gitarrentönen, die sich mit 20 Minuten Verfrühung (!) in mein sandstrand-relaxtes Ohr drängen. Mit schwarzem Lederkäppi und kunterbuntem Hemd eröffnet er seinen knapp 2 1/2-stündigen Liederreigen, der alle Erwartungen erfüllt. Der Mann hat nach über 30 Bühnenjahren wahrlich genug Hit-Repertoire, um problemlos ein Wochenende durchzujammen. Sein legendäres Gitarrenspiel wird begleitet von einer neunköpfigen Combo, die mit drei Rhythmusmenschen, zwei Bläsern, zwei Sängern, Hammondorgler und Bassist für eine Menge Spielspaß sorgt.
Dominiert von den bewährten Latin-Funk-Rock-Grooves liefert er eine perfekte Performance, die keine Wünsche offen lässt. Aktuelle Hits aus den Alben "Supernatural" und "Shaman" liefern sich harte Duelle mit längst zu Evergreens gewordenen Melodien. Die Erwartungen der zahlreich angereisten 68er erfüllt er mit einem Medley seiner alten Post-Woodstock-Hits. "Oye Como Va", "Black Magic Woman" und Consorten präsentiert er in der bündigen Form eines Best-Of-Potpourris.
In seinem Set haben aber auch 80er-Miles-Davis-Jazz-Rock-Sesions ihren Platz, die zusammen mit solistischen Musikervorstellungen manchmal etwas ziellos vor sich hin dümpeln. Vielleicht liegts an meinem Alter (37), aber ausufernde Drumsoli finde ich nicht mehr spannend. Ebenso wenig wie vielfach gespielte santana-untypische Blues- und Rockgassenhauer, denen er den Zugabenblock widmet. "Viele Musiker malen nur mit einer Farbe. Für mich ist das nichts. Ich will mit jeder Farbe malen, die verfügbar ist" erläutert er seine stilistische Vielfalt.
Nach 150 ausgelassenen Minuten verabschiedet sich Carlos Santana von einem vor guter Laune überschäumenden Publikum. Seine authentische Ausstrahlung und die sparsam eingestreuten spirituellen Visionen hinterlassen den Eindruck einer bescheidenen Seele, die trotz 30-jährigem Starstatus noch die überzeugende Kraft in sich trägt, die Menschen wirklich zu berühren.