laut.de-Kritik

Im freien Fall Richtung Limbus.

Review von

Schwartz holt zum Doppelschlag aus. Zeitgleich zu seinem weit gefassten "Lockdown"-Album veröffentlichte er mit "Höllensturz" ein weiteres Werk, das ein einzelnes Ereignis in den Fokus rückt. Im vergangenen Sommer verunfallte er bei einer Party und wachte anschließend mit Gedächtnisverlust und einer schweren Gehirnerschütterung in der Berliner Charité auf. Den ärztlichen Befund teilte er standesgemäß mit seiner Twitter-Gemeinde, deren Genesungswünsche er aber abwiegelte: "Alles in Ordnung, mir geht's bis auf leichtes Schädelschwummern gut, danke!".

Wenige Monate später klingt Schwartz plötzlich gar nicht mehr so quietschfidel. "Höllensturz" sei "aus apokalyptischen Kopfschmerzen, Ohnmacht und Übelkeit" entstanden. Während in "Lockdown" die beklemmende Außenwelt die Psyche beeinträchtigt, liegt nun der problematische Ausgangspunkt im Inneren und drängt nach außen. Mit hämmerndem Bass und einer wohlklingenden Soundkulisse wie beim Zahnarzt beschreibt der Rapper den alkoholgetränkten Ausgangspunkt seines Unglücks: "Alter, fick auf alles. Ich stand am Abgrund und wollte nur nach hinten fallen".

Statt unter gesellschaftlich Ausgestoßenen, die sich wie in Heinz Strunks "Der Goldene Handschuh" dem "Schmiersuff" hingeben, aktiviert Schwartz seinen "Selbstzerstörungsmodus" in einem weitaus profaneren Setting: "Es war 'ne nette Party in einem netten Garten. Und dann war ich im Rettungswagen". Das ruft eher Assoziationen mit Blumenkränzen und Tiki-Fackeln hervor. Auch die putzig anmutende Erdbeerbowle als "Selbstzerstörungswerkzeug" entzieht sich auf fast humorvolle Weise der klischeehaften Vorstellung. Dennoch entfaltet sie natürlich ihre folgenschwere Wirkung.

Während Schwartz die Folgen seines "Höllensturz" auskuriert, springt er assoziativ zwischen Sprachbildern: "Ich versuche einen Gedanken zu fassen, doch ich greife stattdessen in ein' Schrank ohne Tassen, an mein' Zaun ohne Latten". Der eindringliche Bass imitiert den dröhnenden Schädel. Von den Wänden des Höhlengewölbes hallen die Schreie frei fallender Menschen wider, die damit das akustische Äquivalent zum Cover bilden. Dieses basiert auf dem Gemälde "Der Höllensturz der Verdammten", das Peter Paul Rubens zur wenig friedvollen Zeit des Dreißigjährigen Krieges kreierte.

Mit der Landung im "Limbus" ergänzt er seine Erzählung um ein weiteres christliches Motiv. "Ich lieg' hier verlottert, entkräftet auf der Couch. Es ist, als ob es hier endet, als hätte Gott mich vergessen", klagt der Rapper, während er sich in Sichtweite zu Himmel und Hölle befindet. Dass die letztgenannte Endstation näherliegt, unterstreicht er mit einem gutturalen Gesang, der sich dominant durch das Instrumental zieht. Und doch weckt vereinzelt ein kirchlicher Chor Hoffnung, der den archaischen Grundton kontrastiert und eine rettende Alternative anbietet.

Eine Spur weltlicher geht es in "Grrr" zu. Gespenstischer Sound und ein zähnefletschender Hund toben sich in Schwartz' Schädel aus: "Wenn ich nachts schlafe mit knirschenden Zähnen, erwacht etwas in meinem Hirn zum Leben. Es ist etwas Böses, kein irdisches Wesen". Kurz darauf stattet er in "Alptraum" den Gegenbesuch ab. In der Tradition Freddy Kruegers bricht er über Träume herein, um die schönen Illusionen zu zerstören. Zwar setzt er das mit altbekanntem Gruselfaktor um, zugleich verwässert Schwartz seine Grundidee noch stärker als im ausklingenden "Lockdown".

Mit der arg plakativen Kapitalismuskritik "Eat The Rich" und dem Messer wetzenden "Fright Night" scheint sich das Konzept völlig zu verflüchtigen. Dafür verbirgt sich auf der CD-Version der gelungene Song "Funk Lässt Mich Atmen". "Ich weiß, was mich rettet: Eine Playlist mit Classics. Und wenn ich Isaac oder Curtis hör', weiß ich, dass alles wieder besser wird", lobpreist Schwartz für seine Verhältnisse gut gelaunt die Vorbilder. Mit dem humoristischen Kontrast zum Vorprogramm findet er das ideale Heilmittel und damit den passenden Schlusspunkt für den misslichen "Höllensturz".

Trackliste

  1. 1. Selbstzerstörungsmodus
  2. 2. Höllensturz
  3. 3. Grrr
  4. 4. Alles Was Atmet
  5. 5. Limbus
  6. 6. Eat The Rich
  7. 7. Alptraum
  8. 8. Fright Night (mit Blokkmonsta, Dr. Faustus und Uzi)
  9. 9. Funk Lässt Mich Atmen (Bonussong)
  10. 10. Bitch Ich Bin Pimp Weysz (Bonussong)

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Schwartz

Schwartz ist Rapper und Produzent und veröffentlicht auf dem Berliner Label Hirntot Records. Genauso wie sämtliche Signings dieser Plattenfirma, hat …

3 Kommentare mit 5 Antworten