7. Januar 2015

"Ich zeige einfach mehr Eierstöcke!"

Interview geführt von

"Mädels aus dem Milieu sind realistischer", glaubt Schwesta Ewa, und wirft einen entsprechend unverklärten Blick auf ihre Entwicklung in den letzten Jahren. Über Fortschritt und Technik, Gemeinsamkeiten und Unterschiede - und natürlich über das Album, das nicht "Dr. Entjungferung" heißen durfte.

Schwesta Ewa hat Unglaubliches erlebt. Sie gilt als eine der authentischsten Persönlichkeiten im Deutschrap. Als der Interviewtermin stand, freute ich mich entsprechend. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Berlin, in den Büroräumen von Frau DingDong: Schwesta Ewa mit einer Entourage aus lauter Frauen - und ich.

Hallo Ewa, schön dich zu sehen. Willkommen zu deinem ersten Interview mit laut.de.

Ja, danke!

Wie gehts? Du warst krank?

Ja und jetzt habe ich wenig geschlafen. Mir geht es gerade nicht so berauschend.

Was liegt hier in Berlin alles an? Promophase?

Genau! Jeden Tag Interviews.

Wie lang bist du jetzt noch hier?

Bis morgen oder übermorgen.

Und dann zurück nach Frankfurt?

Ja, zurück nach FFM!

Aber von den anderen ist jetzt keiner hier, also Kalim oder SSIO?

Nee, ich bin allein hier.

Neben deinen ganzen Terminen kommt heute Abend ein Video raus ...

Jaa! Heute kommt mein erstes Video zu "Kurwa" raus! Bin schon voll gespannt!

Das in der Bar?

Nein, das war ein anderes. Das jetzt haben wir in einen Club gedreht. Im Gibson.

Ich durfte schon in das Album reinhören, ungefähr eineinhalb Jahre nach "Realität" kommt nun "Kurwa". Was ist der Unterschied?

Was meine Geschichten aus dem Milieu angeht, die bleiben natürlich. Dafür habe ich viel zu viel gesehen und erlebt und möchte das auch noch verarbeiten. Es hat sich aber verändert, dass ich zum ersten Mal eigene Beats habe, bei meinem alten Mixtape war es ja anders. Insgesamt ist der Sound anders. Es ist jetzt wirklich AON-Style. Die Beats sind Boom Bap, aber auch funky und Westcoast. Ich glaube, das steht meiner Stimme.

Kannst du irgendetwas zu den Features sagen?

Ja, ich habe unter anderem Marteria, Eko, Chefket, Megaloh, und natürlich auch Xatar und SSIO mit drauf. Das freut mich, gerade weil das zum Teil Musiker sind, die ich persönlich musikalisch als viel höher empfinde, obwohl sie weniger Klickzahlen oder Likes haben. Ich hab zum Beispiel "Live MCs" übertrieben gefeiert.

Und Produzenten?

Natürlich wieder unsere Hausproduzenten, aber auch noch ein paar andere. Die haben mir dann eine Palette zusammengestellt, und ich hab' daraus ausgewählt.

"Xatar musste mich stoppen"

Du sagst ja immer, dass du die erlebten Geschichten in deinen Tracks verarbeitest. Hattest du dazu noch eine andere Vision oder einen anderen Anspruch für das Album, die du bei "Realität" nicht hattest?

Nein, mir war es nur wichtig, dass ich etwas persönlicher werde und Storys erzähle. Das liegt mir und ich habe genug davon. Nur manchmal habe ich übertrieben, und Xatar musste mich stoppen, weil ich kein komplettes Story-Album machen kann und ich auch noch normale Tracks brauchte. Da dachte ich auch nur: "Oh scheiße, was ist mit den ganzen anderen Storys? Welche soll ich nun nehmen? Welche soll ich rauslassen?" Ich wollte halt zeigen, dass ich auch Story kann.

Alles, das du dort erzählst, hast du ja auch erlebt. Da sind mir besonders "Paxx Im Puff" und vor Allem "Boomerang" aufgefallen. Das war echt hart.

Ja, "Boomerang" ist auch harter Scheiß. Seine eigene Schwester da liegen zu haben, im Endeffekt …

In einem Interview hast du einmal von deinem Exfreund erzählt. Hast du diese Geschichte in "Du Liebst Mich Nicht" verarbeitet?

Ja. Das passt, aber wir sind seit Kurzem wieder zusammen. Der Track ist aber in unserer Auszeit entstanden.

Aber du lässt ihn drauf.

Ich lass' ihn drauf, weil ich das, was ich geschrieben habe, stark in dieser Zeit gefühlt habe. Deswegen bleibt das einfach drauf.

Wie war denn die Arbeit an dem Album?

Ich hatte schon viele, elf oder so, aber Xatar meinte, dass ich Maestro und SSIO mit ins Studio nehmen solle. Die beiden sind ziemlich perfektionistisch, so dass ich manchmal eine Line hundert Mal rappen musste, weil sie noch nicht passt. So oft, dass ich schon dachte: "Hä? Wo ist der Fehler?", und ich nicht mal mehr gehört habe, dass es Deutsch ist. Und dann haben wir halt alles nochmal gemacht. Mein Herz hat so weh getan, aber dann sind wir ins Studio gegangen und haben anderthalb Monate jeden Tag, von morgens bis morgens, aufgenommen.

Das heißt, du schreibst meistens im Studio?

Ne, ich bin eine ganz langsame Schreiberin. Damit kann ich jetzt wirklich nicht angeben. Manchmal brauche mehrere Stunden, nur für ein paar billige Bars! Ich habe jetzt gelernt, wie, und auch, dass das Schreiben auf Beats einfacher ist. Anstatt erstmal einen Text, und dann nochmal ändern, dass er auch passt. Ich bin ganz langsam, aber dafür sicher. Ich bin auch froh, dass ich mich so weit entwickelt habe, dass schon 90 Prozent ein Go kriegt. Damals war das andersrum, zehn Prozent gingen durch, 90 wurden weggeschmissen.

Ich finde auch, dass du dich weiterentwickelt hast.

Echt? Geil!

"Man muss als Frau Ellenbogen haben"

Ja, bei "Realität" waren einige Tracks mit Haus/Maus dabei und jetzt bei "Kurwa" viel weniger. Reimketten über mehrere Lines, usw.

Ich hatte ja auch zwei Jahre Zeit, um zu lernen …

Hilft dir jemand dabei? Auch, was technische Sachen angeht?

Ja, dann rufe ich SSIO an, oder Xatar ruft mich an, und dann sag' ich: "Helft doch mal!"

… und dann wird immer weniger verworfen, außer vielleicht der Albumtitel.

Ja, der Titel "Deutschrap-Entjungferung" ist leider nicht durch die AON-Qualitätskontrolle gekommen. Aber ich bin mit "Kurwa" vollkommen zufrieden, das ist mein Wort!

Du hast eben schon deine Kollegen von Alles Oder Nix angesprochen. Kannst du mal beschreiben, inwiefern ihr euch unterscheidet? Also, abgesehen davon, dass du eine Frau bist.

Wir gleichen uns, glaube ich, langsam immer mehr! Wir sind alle gleich perfektionistisch, wir fahren alle den gleichen Film. Puh, wie unterscheiden wir uns denn? Wir haben alle den gleichen Humor, wir denken alle das gleiche. Das ist komisch, ich weiß gar nicht, was ich darauf antworten soll. Vielleicht thematisch, dass ich meine Storys erzähle, dass SSIO der Humor-Dealer und Xatar der Gangster ist und macht was er sagt. Aber wir sind alle real. Wie wir uns so richtig unterscheiden, kann ich nicht sagen.

In dem Zusammenhang: Was ist dein persönlicher Maßstab?

Ich leg' den bei SSIO und Xatar an und mache dann einen Spagat. Die beiden halten mir die Messlatte, und ich vertraue denen dabei voll und ganz, besonders wegen der Ahnung, die die beiden mitbringen. Die machen ja schon zig Jahre Musik, die Jungs, und sind nicht so Amateur wie ich.

Wie unterscheidest du dich denn als Rapperin, die richtig harte Texte hat, von anderen Frauen, die rappen?

Ich zeige einfach mehr Eierstöcke, rede mit offenen Karten und nehme kein Blatt vor den Mund. Ich traue mich einfach und bin mutig und nicht so labil. Man muss schon Ellenbogen haben und charakterstark als Frau sein - egal, ob du früher Nutte warst oder nicht. Emcees werden alle beleidigt und durch den Kakao gezogen und müssen sich diese ekelhaften Kommentare reinziehen. Man muss schon ein bisschen stark sein. Ich glaube, dass ich das mitbringe, weil ich schon ganz andere Situationen erlebt habe. Ich sag' nicht, dass ich im Rappen besser bin, aber ich bin mutiger. Mir sind ganz andere Sachen widerfahren, das ist dagegen Kindergarten.

Ich möchte gar nicht detailliert auf deine Vergangenheit eingehen oder dich nach deiner Familie fragen. Das wurde schon oft genug gefragt. Mich interessiert nur: Wie zum Teufel schaffst du das, noch alles klar zu kriegen und dann noch ein Mixtape und dann noch ein Album rauszubringen? Warum bist du nicht … weg, in Anbetracht der ganzen Dinge, die passiert sind?

Ja, das frage ich mich manchmal auch. Ich glaube, ich bin einfach nur willensstark. Ich habe eh nichts zu verlieren. Ich habe mir immer Ziele gesetzt, und wenn ich das dann habe, dann versuche ich auch, wirklich alles zu geben. Ob es im Endeffekt dann klappt oder nicht, ist eine andere Sache, aber ich gebe wirklich 110 Prozent.

Irgendwann gab es einen Bericht in der ARD über dich. Da hatte ich aber das Gefühl, dass du nicht verstanden wurdest: Die Headline war nur: "Ehemalige Prostitutierte rappt über ihre Vergangenheit", aber damit wurde meiner Meinung nach auch impliziert, dass du mit der Szene gar nichts mehr zu tun hast. Aber das stimmt ja nicht. Du gehst zwar nicht mehr auf den Strich, aber umgibst dich ja weiterhin damit.

Ja, immer! Ich bin noch immer im Milieu, auch wenn die Hose nicht fällt. Ich habe damit tagtäglich zu tun.

Gab es da abstoßende Reaktionen?

Ne, gar nicht. Alle Leute vom Frankfurter Bahnhofsviertel haben das bös' gefeiert. Die Nutten rufen mich an und erzählen mir, dass schon wieder ein paar Kiddies im Puff waren und fragen, wo mein Zimmer ist. Mädels aus dem Milieu sind aber auch realistischer, und ich weiß, dass Schwesta Ewa auch floppen kann. Ist jetzt nicht so, dass ich sage, dass ich ein Star werde, Gold gehe und reich werde. Man muss ja auch realistisch bleiben, und das weiß ich. Ob es klappt, zeigt sich erst dann, wenn man damit Geld verdient.

Wie reagierst du auf Lob? Denkst du: "Ja, okay, geil. Aber sachte!"?

Ja! Ich bin irgendwo eine sehr starke Frau, aber was meine Musik betrifft werde ich weich. Irgendwie habe ich da auch Schiss vor mir selber. Manchmal habe ich Angst vor diesem Projekt und kann gar nicht glauben, dass ich jetzt diese Monopolstellung als Rapperin in Deutschland habe. Dass eine Geschichte, die ich zig Mal erlebt habe, jetzt so groß geworden ist. Ich kann mit Lob nicht so richtig umgehen.

Andere Frauen haben das Thema Sexismus oder sind politisch. Machst du das - vielleicht unbewusst - auch, nur auf eine andere Art und Weise? Nach dem Motto: "Jetzt ficken die Männer nicht mehr mich, sondern ich die Männer"?

Naja, was die ganze Sexthematik angeht, mein Gott! Ich hatte zig Jahre lang zwanzig oder dreißig Mal am Tag Sex. Ich gehe damit ganz offen um. Warum soll ich dann nicht sagen dürfen: "Jetzt bin ich mal dran!"? Aber wenn eine Frau das sagt, dann ist es natürlich nochmal anders.

Kannst du denn nur so erfolgreich sein, weil du so dreckig bist? Oder könntest du dich auch einer ganz anderen Thematik bedienen?

Wegen meiner Vergangenheit bin ich eine eigene Spezies, die es nicht nochmal gibt. Dazu kommt natürlich noch Realness und dass ich einen Alles-Oder-Nix-Rücken, mit Xatar und SSIO hinter mir habe. Alles zusammen. Viele Leute feiern mich auch, aber sagen, dass meine Musik scheiße ist. Sie mögen mich einfach, weil ich offen und ehrlich damit umgehe, sie mögen das, was dahintersteckt.

Was hörst du eigentlich privat für Musik?

Meine Mädels machen immer irgendwas an. Ich habe in meinem Auto beispielsweise nicht so viel zu melden. Zuhause bin ich der Fernsehtyp.

Was ganz anderes: Wusstest du, dass du in dem Wikipedia-Artikel deiner Heimatstadt unter der Kategorie "Söhne und Töchter der Stadt" aufgeführt wirst?

Was bedeutet das? Wer kann das da reinschreiben?

Frau DingDong aus dem Hintergrund: Wenn jemand in einer Stadt geboren wurde und dann bekannt wird, gibt es so eine Liste bekannter Persönlichkeiten, die dort dann mit anderen aufgeführt wird.

Ach du Scheiße! Oh Gott! Hammer, das wusste ich. Na, dann wurde ich ja schon geehrt! (lacht)

Heute Videopremiere, was kommt noch?

Ein paar Videos müssen noch gedreht werden und dann mal abwarten und Chai trinken! Und hoffen! Alles andere kommt dann, nachdem mein Album draußen ist. Also nach dem 9. Januar.

Möchtest du sonst noch etwas sagen?

Ich bin voll am Arsch! Am liebsten möchte ich in ein polnisches Restaurant gehen, danach ins Solarium, dann schnell schlafen und dann feiern!

Vielen Dank für das Interview. Ich hoffe, dass es nicht das letzte war!

Ja, das wäre schön! Danke!

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