laut.de-Kritik
Warum der konstante Gefühlsbleifuß?
Review von Ulf KubankeEgal, was, wann und mit wem Tankian Musik machte. Eine Prise Klassik war stets dabei. Mit "Orca" legt er parallel zu seinem Jazzalbum nun das erste reinrassige Klassikwerk in Form seiner ersten Sinfonie vor. Heraus kommt - nach dem finalen Album von Jon Lord - einmal mehr ein beachtenswertes symphonisches Werk eines zeitgenössischen Rockmusikers. Schön sauber dargeboten im tradierten 4-Satzstil.
Der erste Satz "Act I - Victorious Orcinus" als Allegro wird in seiner ganz ung gar eingängigen Thematik nur noch von der nahezu heroischen Hymnenhaftgkeit übertroffen. Da fehlt nicht mehr gar so viel und man ist bei Vangelis' "Conquest Of Paradise" angekommen. Ein Seeschlacht-trunkenes Lied, dafür gemacht, sich irgendwann zwischendurch als herunter gekommene Hymne für daher gelaufene Boxweltmeister zu verludern. Kann man sich nur erlauben, wenn man entweder einen kulturellen Kaukasus-Hintergrund hat oder Manowar ist. Da Serj noch mal Glück gehabt.
Keine Zeit zum Verschnaufen. Es bleibt beim Drama Queen-Duktus. Zwar bringt Tankian den zweiten Satz "Act II - Oceanic Subterfuge" schulmäßig korrekt als langsameres Adagio. aber emotional bleibt es beim durchgedrückten Tränendrüsen-Gaspedal. Hübsch gemacht durchaus. Doch man fragt sich unwillkürlich: Warum der konstante Gefühlsbleifuß? Was kann da im Spannungsbogen noch kommen?
Es folgt als dritter Satz "Act III - Delphinus Capensis". Dieser ist zwar schön gegliedert und hat ein paar Arvo Pärt-ähnliche Streicher zu bieten. Aber die stetige Heldenpose im Hollywoodstil erschöpft sich mit der Zeit ein wenig. Es klingt als hätte man die ganze Zeit Russel Crowe mit gezücktem Schwert neben dem Player stehen. Unnötig anstrengend.
Im Finale, dem vierten Satz "Act IV - Lamentation of the Beached" bricht er dann bewusst mit der Klassiktradition. Tankian will nicht schnell sein, sondern intensiv. Es gelingt ihm. Zwar gibt es hier und da ein zügig vorgetragenes Crescendo. Gleichwohl sind weite Teile eher verhalten, fast flächenkompositorisch oder kammermusikalisch gehalten. Auch melodisch sehr der Tragik des osteuropäischen Liedguts verhaftet.
Damit ist der letzte Track klarer Höhepunkt des Albums. Er hat als einziger keine Pathos bedingte Halbwertszeit am Hals. Damit ist "Orca" als erste Sinfonie Tankians sicherlich ein vielversprechender Anfang. Der eigene Stil ist tatsächlich schon erkennbar. Aber bei der Komplexität des späten Jon Lord oder der traumwandlerisch sicheren Dramaturgie eines Einaudi ist Serj Tankian damit noch nicht ganz angekommen. Ein deftiges Epos für Soundtrackfreunde ist die Scheibe dennoch allemal.
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