laut.de-Kritik
Dienst nach Vorschrift. Seine Gedanken, sein Herz, sein Leben, seine Welt hat Sido längst anderswo.
Review von Dani FrommSidos nachvollziehbare, authentische, aber trotzdem irgendwie bedauerliche Entwicklung erscheint gegen Ende 2014 wahrlich erschöpfend ausgeleuchtet. Der böse Bube, der einst frech eine dicke Wurst nach der anderen auf Regeln und Gebräuche der Gesellschaft drückte, ist längst in ihrer Mitte angekommen. Er gehört jetzt dazu, zu genau denen, gegen die er einst mit aller Macht rebellierte.
Sido hat Geld, Haus, Frau, Kind und eine Vorbildfunktion - und fühlt sich damit offensichtlich pudelwohl. Schön für ihn. Ich gönn' es ihm von Herzen. Dem Unterhaltungswert seiner Musik und - entsprechend - seiner Shows hat die Verlagerung der Prioritäten, die menschlich total in Ordnung geht, allerdings nicht gut getan.
Die Live-Versionen der Romantik-Pop-Rap-Liedchen von "30-11-80" liefern keinerlei Anlass, den Worten des Kollegen Thomas Haas noch großartig etwas hinzu zu fügen. Lassen wir also die CD links liegen und wenden uns direkt dem DVD-Teil zu, der, eingerahmt von einem aufwändig produzierten, spielfilmartigen "Intro" und dem Rap-Klassentreffen zum Titeltrack, Sidos Auftritt im Kölner Palladium dokumentiert.
Ton, Licht, Visuals: allesamt astrein. Die Show wirkt professionell konzipiert, routiniert durchgezogen und hinterlässt gerade deswegen einen seltsam faden Nachgeschmack. Von Herzblut, Hunger oder Begeisterung: weit und breit keine Spur. In gut zwei Stunden auf der Bühne habe ich Sido nicht ein einziges Mal lachen sehen. Die Maske mag er abgelegt haben. Cap, Sonnenbrille und Vollbart bilden allerdings eine kein Stück weniger starre Fassade, durch die keine Regung nach außen dringt.
Der Kino-reife Vorspann entpuppt sich als dunkle Prophezeiung: Eigentlich will Sido nur in seinem trauten Heim hocken, Rasen mähen, Holz hacken und sich von der beflissenen Gemahlin Erfrischungsgetränke anreichen lassen. Ach, lasst ihn doch. Doch niemand kann wirklich vor seiner eigenen Geschichte davonlaufen. In Sidos Fall: vor den Erwartungen der Fans, insbesondere denen der inzwischen wohl ziemlich enttäuschten Jünger aus frühen Tagen.
In dicken Autos fahren die Gespenster der Vergangenheit auf, reißen Sido aus seinem Idyll und karren ihn vor den Gangsterboss, verkörpert von (man hats ja) Moritz Bleibtreu. Der setzt nach dem üblichen Mafiafilm-Geplänkel der Existenz des unwilligen Geschäftspartners ein jähes Ende - was Sido geradewegs in die Hölle befördert. Die sieht (glaub' ich sofort!) verteufelt nach einer Bar in Friedrichshain aus, in der der Beelzebub in der Gestalt von Kurt Krömer hinterm Tresen steht. Der darf seinen Neuzugang allerdings nicht behalten. "Einer Muss Es Machen", die volle Halle wartet schon.
Ja, so wirkt es dann auch: als erledige jemand eine Auftragsarbeit. Ordentlich zwar, aber ohne dabei übertriebenen Eifer an den Tag zu legen. Dienst nach Vorschrift, in der selbstredend auch geschrieben steht, dass zwischen den Songs vom aktuellen Album einige gereiftere Hit-Häppchen gereicht werden müssen. So verlangt es der Brauch, unter Popstars.
Die Zuschauer passsen dazu: Artig beantworten sie die rhetorische Frage "Wollt ihr Sido sehen?" mit einem "Jaaaa!" aus allen Kehlen. "Nee, oder? Is' ja 'n Ding." Na, was für eins. "Ihr wollt Sido? Hier habt ihr ihn." Die Leute im Saal erweisen sich zwar als einigermaßen textsicher, machen auch brav jeden Mumpitz, jedes olle Rechte-gegen-linke-Seite-Mädels-gegen-Jungs-Spielchen mit, prosten, ganz wie aufgefordert, sobald auf der Bühne Jägermeister fließt, stehen aber ansonsten einigermaßen unbewegt hinter den Wellenbrechern. "Alle feiern, von der Donau bis zur Elbe." Wenn das ein Partyexzess sein soll, bleib' ich lieber daheim, wo Sido vermutlich auch tausendmal lieber wäre.
Die Eröffnung gibt er noch ganz alleine zum Besten, wirkt dabei auch recht einsam zwischen den Videoprojektionen. Erst zur zweiten Nummer lüften sich die Vorhänge und geben den Blick auf die maskierte Hintermannschaft frei. Gegen Ende von "Schlechtes Vorbild" fällt deren Vermummung. Och, guck. Der Bass Sultan Hengzt macht den Back-Up. She-Raw ist auch da, und Serk. Mindestens zwei gute Rapper, verschwendet an den Backgroundgesang. Wie gesagt: Man hats ja.
Boo! Man sollte das bisschen Spaß genießen, das "Fuffies Im Club" bietet. Nach der wenig verblüffenden Feststellung, dass das Publikum deutlich jünger als früher ausfällt, lässt Sido dann nämlich erst einmal "die Musik für die Kinder" folgen. Will meinen: das Moral-Hymnen-Quartett "Augen Auf", "Papa, Was Machst Du Da", "So Wie Du" und "Herz". Achte auf die Kinder, sei ein gutes Vorbild, hör' auf dein Herz. So lobenswert und grundrichtig ich Sidos Mission finde, so sehr ödet sie mich an. Insbesondere, wenn ich sie in dieser Geballtheit ins Gesicht gedrückt bekomme.
Wirklich schlimm wirds allerdings erst noch: Bei der Kitschnummer "Einer Dieser Steine" sitzt plötzlich Mark Forster am Klavier und jammert seine Schmalzhookline in die Streicherdramatik. Weil wir gerade so schön in Kuschelstimmung sind, darf anschließend Lukas aus dem Publikum seiner Jenny auf der Bühne einen Heiratsantrag machen. Willkommen bei "Nur Die Liebe Zählt". Nix gegen die Liebe, echt nicht. Eine Himmelsmacht. So öffentlich zur Schau gestellt allerdings: zum Davonlaufen.
Der Brechreiz, mit dem ich ringe, hat aber auch eine positive Seite: Ich krieg' nahezu nichts mit von "Irgendwo Wartet Jemand", mit dem Sido und noch einmal Mark Forster allen bisher allein Gebliebenen ebenfalls einen Himmel voller Geigen versprechen. Irgendwann. Na, super.
"Ich verstehe, ihr wollt 'n bisschen mehr Hip Hop", erhört Sido stummes Flehen, nachdem er an einigen Genre-Klassikern seine übersichtlichen Ein-bis-zwei-Finger-Skills am Piano demonstriert hat. Zu "30-11-80" marschieren entsprechend etliche Kollegen auf. (Wer die ganze Mannschaft sehen will, skippe ans Ende der DVD, wo noch einmal die lange Version der Nummer nachgereicht wird.) Bei "Maskerade" schwänzt zwar Marsimoto, aber immerhin treten Genetikk an. Sido stülpt sich aus diesem Anlass sogar noch einmal kurz die alte Maske über die Rübe.
"Kennter, kennter, kennter, kennter?" Klar kennen auch die 14-Jährigen im Publikum noch "Mein Block". An der Choreografie zu "Enrico" dürfen alle Beteiligten aber gerne noch etwas feilen. Oder auch nicht. Irgendwie wirkt die ganze Show so dermaßen egal, dass einen das unmotivierte Gehopse auch schon kalt lässt.
Den "Auftritt" von Helge Schneider, eines der großen Wahnsinnigen unserer Zeit, behalte ich jedenfalls als einsamen Höhepunkt in Erinnerung. Obwohl der bloß per Videoaufzeichnung eingeblendet wurde: "Hammer, fett, bombe, krass" - und auf jeden Fall um Welten unterhaltsamer als die zu "Bilder Im Kopf" hinter der Bühne eingeblendeten Fan-Schnappschüsse in immer den gleichen Selfieposen.
Ja, die "Liebe" ... "kuck' mal, was sie mit mir gemacht hat." Was sie aus dir gemacht hat, meist du wohl? Einen glücklichen Mann, hoffe ich, aber zugleich einen um Welten schlechteren Entertainer, als Sido es einst einmal war. Mit "Mein Testament" setzt er dem Abend ein dramatisches Ende, ehe als Zugaben noch der befremdlich aus dem Familienprogrammrahmen fallende "Arschficksong" (der ebenfalls nur für verhaltene Eskalation sorgt) und die Radiohitsingle "Der Himmel Soll Warten" (mit Serk als Adel Tawil) folgen. "Ich freu' mir 'nen Riesenast", behauptet Sido da. Ah. So sieht das also aus.
Machen wir uns doch nix vor: Sidos Gedanken, sein Herz, sein Leben, seine Welt - all das spielt sich schon längst nicht mehr auf der Bühne ab. Nur noch sein Broterwerb. Wem das genügt, der fühlt sich mit "30-11-80 Live" vermutlich angemessen verköstigt. Alle anderen: schlicht abgespeist.
8 Kommentare mit 11 Antworten
Dass bei der Live-Version von 30-11-80 Lakmann weniger Applaus bekommt als dieser Hampelmann von Teddycomedy ist einer der furchtbarsten Deutschrap-Momente 2014.
Hat Herr Merkt neulich schon geschrieben, aber ich muss es hier auch noch mal drunter schreiben, weil es einfach so traurig und bezeichnend ist.
ja, das stimmt. auch wenn ich versucht habe, es totzuschweigen.
sido ist eine art samy deluxe geworden.
Da hat sich die letzten Jahre nicht viel getan, uninteressanter bis unhörbarer Output.
Samy Deluxe ist eine Art Oli P geworden.
Oli P ist eine Art Achim Menzel geworden.
hab mir nochmal die lanz ausgabe mit ihm und bushido angeguckt. wie sie da vorgefuehrt werden. haetten sie eigentlich schon klagen muessen. macht bushido ja sowieso gern.
ist Mister X in Wahrheit eigentlich weiblich? So wie du unter sämtlichen Artikeln gegen Bushido schießt könnte man meinen, du würdest dich irgendwie angegriffen fühlen, weil du HipHop nicht verstehst.