laut.de-Kritik

Niedergeschlagen oder unbezwingbar: Nur die Extreme zählen.

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Das serielle Erzählen bescherte dem Kino in den letzten Jahren Fortsetzungen zu jahrzehntealten Klassikern und nicht enden wollende Superheldenreihen. Seit einiger Zeit greift diese wenig kreative, aber aus Marketingsicht sinnvolle Entwicklung auf das Hip Hop-Genre über. Hierzulande erschienen im laufenden Jahr bereits "11ta Stock Sound 2", "Der Bozz 2" und "Obststand 2". Auf der anderen Seite des Atlantiks entführte Rick Ross den Hörer erneut an den Hafen der Magic City ("Port Of Miami 2"). Silla schlägt mit nun seinem elften Soloalbum die Brücke zu "Silla Instinkt" von 2011.

"Meine sehr geehrten Damen und Herren, nah oder fern. Was ihr erwartet ist mehr als ein überragendes Werk", führt Silla betont höflich in das bevorstehende Programm ein. Begleitet von getragenen Streichern arbeitet er seinen Werdegang stichpunktartig ab. Während er seine Verse in "7ter Sinn" noch mit gesenktem Kopf vorzutragen scheint, legt er jede Verlegenheit im folgenden Song "Tempelhof Samurai" ab, um sich in Superlativen zu üben: "Meine Aura, sie ist gottgleich. Egal ob dead or alive, ich bin Top Five."

"Für mein' Armumfang gibt es keine Maßbänder." Der Weg zum Adoniskörper läuft ausschließlich über hartes Training. Glücklicherweise tritt die Sillatransformation gegenüber früheren Veröffentlichungen etwas in den Hintergrund. In "Eisen" klatscht "der Breiteste seiner Generation" eine ungenießbare Autotune-Hook zwischen die Schilderungen der eigenen körperlichen Vorzüge. Dagegen fängt "Yuri Boyka" mit seinen rohen Kampfbeschreibungen am ehesten die Atmosphäre von Sillas Frühwerk ein. Dazu skandiert ein Chor erhaben den Namen des "Undisputed"-Kämpfers.

Die Weltmeisterschaft für innovativen Rap wird Silla damit wohl eher von den Zuschauerrängen verfolgen müssen. So läuft auch sein Seitenhieb in "O-Dog" in Richtung Mainstream ins Leere ("K-K-Killa, kein 08/15 Afro-Trap"). Das gilt im übrigen auch, wenn er besonders abgeklärt wirken will: "Ich bin cool von dem Haar bis in die Fußspitzen." Ähnlich wie bei einem König, der durch die Betonung seiner Stellung nur an Autorität einbüßt, stellt die Beteuerung der eigenen Coolness einen Indikator für das genaue Gegenteil dar. Das galt bereits für Spongebob Schwammkopf.

Silla beherrscht die härtere Gangart - wie er ab der Hälfte des Albums erneut unter Beweis stellt. In "Alles Zersägt" spielt er trotz des gering dosierten Autotunes befreit auf. "DNA Probe" bietet neben den düster grollenden Massaka und Shadow030 eine interessante Paarung. Im Gegensatz zu Streetrap-Kollegen wie Azad macht der Berliner zudem auf Trap-Beats eine gute Figur. Auf einem bissfesten Instrumental gibt er sich auch auf "Ego" angriffslustig. Dass er mit seinem früheren Förderer King Orgasmus One bestens harmoniert, wissen Beobachter seit "Schmutzige Euros".

Ohnehin legt Silla im Umgang mit alten Weggefährten eine angenehme Treue an den Tag: "Wurde groß mit den Tapes: Orgi, Sonny und Frank". Obwohl der Berliner aus einem geschwätzigen Umfeld stammt, begibt er sich nicht einen Schritt in die Abgründe des Boulevards. Bereits die Trennung von I Luv Money Records vor acht Jahren verlief zumindest von außen betrachtet völlig geräuschlos ab. Und wenn er in "100 Killa Bars Armageddon" auf sein früheres Label Maskulin zu sprechen kommt, erklärt er nur dezent, es sei schlicht nicht sein "Cup of Tea" gewesen.

Quasi als versöhnliches Outro fungiert "Bad Boy Wie Biggie". Gelöst winkt der Berliner angesichts des täglichen Irrsinns ab: "Dieses Leben hier ist meistens voller Ironie". Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis stellt sich wirklich die Frage, weshalb Silla diese Ambivalenz, den Witz im Ernsten, die Grautöne nicht deutlicher herausstellt. Stets lebt er nur die Extremen aus. Entweder kulminiert seine Niedergeschlagenheit in suizidalen Gedanken, oder er frönt einer comichaften Unbezwingbarkeit. Mal bezeichnet er sich selbst als Nesthäkchen, mal sieht er sich als Wiedergänger von André the Giant.

So schwankt "Silla Instinkt 2" zwischen stärkeren ("100 Killa Bars Armageddon") und pathetisch schwächeren Songs ("Keine Tränen"). Entgegen seiner eigenen Meinung erscheint die Nachhaltigkeit dieser Zusammenstellung eher fragwürdig: "Was ich schreib', ist für immer wie Tolstois Zitate". Mit dem russischen Schriftsteller hat sich der Rapper zumindest ein brauchbares Vorbild gewählt. Immerhin stellte der Autor bereits vor 150 Jahren fest: "Es sind immer die einfachsten Ideen, die außergewöhnliche Erfolge haben". In diesem Sinne erwartet die Fangemeinde nun "City Of God 2".

Trackliste

  1. 1. 7ter Sinn
  2. 2. Tempelhof Samurai
  3. 3. O-Dog
  4. 4. Groß In Berlin
  5. 5. Eisen
  6. 6. Yuri Boyka
  7. 7. Alles Zersägt
  8. 8. DNA Probe (mit Massaka und Shadow030)
  9. 9. Ego (mit King Orgasmus One)
  10. 10. Keine Tränen
  11. 11. Brust Aus Beton
  12. 12. Sturm
  13. 13. Von Nichts Zu Etwas Zu Allem
  14. 14. Du & Ich (mit Mehrzad Marashi)
  15. 15. Bad Boy Wie Biggie
  16. 16. 100 Killa Bars Armageddon

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