laut.de-Kritik
Wohlfühlen, auch in den schlimmsten Zeiten.
Review von Philipp KauseJim Kerr und die aktuelle Simple Minds-Besetzung bleiben sich treu. Aus den '80ern stammen die mitunter dissonanten Melodien auf "Direction Of The Heart". Auch branden die Gitarren gerne so auf, wie es der U2-mäßige Stadionsound vormacht. Den Synth-Rock prägten die Schotten gleichwohl entscheidend mit (ihr Paradebeispiel: "Don't You Forget About Me" von 1985).
"Direction Of The Heart" startet gut, mit der typisch und lässig klingenden Single "Vision Thing". "First You Jump", "Human Traffic (featuring Russell Mael)", "Planet Zero" und "The Walls Came Down" schlagen in die gleiche Kerbe: Synth-elektrisch untermalter Gitarren-Schlagzeug-Aufbau, der anmutet, als müsse Kerr eilig zum Zug.
Für ihn ist es auch Fünf vor Zwölf, stürzen doch die Mauern ein ("The Walls Came Down"), während der einzige blaue Planet in Flammen steht ("Planet Zero") und Menschen auf der ganzen Welt auf der Flucht sind, was ziemlich "confused" aussieht ("Human Traffic"). Letzterer Song ist in seiner Vehemenz ein Highlight des Albums - sowohl was die sägende und Bono imitierende Lead Guitar, als auch das Stakkato-Ende mit den Worten "Only! Only! Only! Only!" angeht.
Achtet man auf die Texte, wird deutlich: Kerr reflektiert über die Zivilisation. Schon das anspruchsvollste Werk der Minds, "Street Fighting Years", wälzte Gedanken über Bürgerrechte und Lebensräume. Trotzdem kauft wohl keiner "Direction Of The Heart" wegen der Texte: Schon eher aus Verbundenheit und Nostalgie. Die Musik passt, das einzige Manko: Es fehlen veritable Hits.
Zugänglich zeigen sich sämtliche Tracks gleichwohl allemal. Manchmal kippen sie etwas zu flach ins Disco-Milieu, wenn etwa die Gitarren beliebigen Vokuhila-Pop-Rock zum Klirren bringen. Von den einstigen Hit-Routiniers könnte man auf ihrem 17. Album schon erwarten, dass sie die ein oder andere neue Hymnen abfeuern.
Zumindest "Solstice Kiss" geht in diese Richtung. Zart taktet die schillernde Keyboard-Ballade auf, Dudelsack-inspiriert im Intro, etwas nordisch-kühl und punkig dissonant im Unterton. Auf pulsierendem Synth-Bass erhebt Jim seine Srimme, ohne allzu große Tonsprünge zu machen. Die Nummer wirkt wie erster Frühlingstau nach einem langen Winter. "Solstice Kiss" hat mit dem Tag der 'Sonnenwende' am 21. Juni zu tun. Der Track findet im Austausch mit Co-Sängerin Sarah Brown statt, Soul-Backgroundsängerin und Multiinstrumentalistin (etwa für Roxy Music im Studio). Auch in "Planet Zero" hat sie einen Auftritt.
Bombast-Bassläufe im Stil der mittleren 80er mögen abgegriffen wirken, erfüllen hier aber völlig ihre steigernde und dramatisierende Funktion. Innovativ mag auch "Planet Zero" nicht klingen, bleibt aber trotzdem der Anspieltipp der Scheibe. "Act Of Love" greift das Ende von "Solstice Kiss" mit lautmalerischem Intro in identischer Tonlage auf - mit dem Unterschied, dass die Melodie aus dem Synth jetzt nach geisterhaften Echo And The Bunnymen klingt und die Synthie-Fiepfigur New Order imitiert. Mit den Bunnymen teilen die Simple Minds auch den Produzenten ("The Stars, The Ocean & The Moon").
Mehr Dynamik und einprägsamere Melodien hätte "Direction Of The Heart" dennoch vertragen können. Auch, wenn sweete Melodien zuweilen vom Wesentlichen ablenken können, nämlich dann, wenn sie zu wenig Biss haben. Bei den Simple Minds verhält es sich nun umgekehrt: Sie haben etwas mitzuteilen, und sie haben den richtigen Twang. Aber die Drums knallen mitunter zu plakativ. Dem zu vorhersehbaren "Act Of Love" mangelt es zudem an Charakteristika.
So rauscht das Album recht pflegeleicht durch. "Direction Of The Heart" passt irgendwie immer, bleibt aber arm an Hinhör-Momenten. Obwohl die Intention der LP wichtig ist: "Wohlfühlen (...) in den schlimmsten Zeiten", so Kerr. Vom Tod seines Vaters bis zum Quarantänechaos in Europa während der Pandemie reichen dabei die Impulse.
Kerrs Pop-Schmirgelstimme übt nach wie vor einen großen Reiz, die Arrangements folgen aber zu oft dem gleichen Musterr. Starke Anstöße wie auf "Street Fighting Years", wirkmächtig auf jeder Ebene, vermisst man: Es findet sich einfach kein neues "Alive And Kicking" oder "Hypnotised" oder "Hunter And The Hunted", da kann man die CD drehen und wenden, wie man will.
3 Kommentare mit einer Antwort
Ich glaube nicht, dass die Simple Minds heutzutage noch Hits abliefern müssen. Auch wenn sie ihre Musik als TikTok-Videos verbreiten würden, erreichten sie wohl keine Chartposition in den Single Top 100 mehr.
Wenn lang etablierte Bands nochmal krampfhaft einen Hit produzieren wollen, geht’s meistens nach hinten los. Dann lieber ein ausgewogenes Album mit allen Trademarks, das beim ersten Hören direkt ins Ohr geht, so wie dieses hier.
Sehe ich genauso! Sie hatten ja auch genug Hits. Und die Alben waren zumindest zwischen 1982 und 1998 regelmäßig in den Top Ten diverser Länder. Das ist ihnen zuletzt mit "Walk between worlds" auch wieder gelungen. So eine lange Karriere muss man auch erst einmal hinlegen...
Das ist wie mit den Pet Shop Boys. Die müssen auch nichts mehr beweisen oder Chart Hits haben. Die produzieren hauptsächlich nur noch für ihre Fans. Die Simple Minds wohl auch. Dieses Album wird ihnen sicher keine neuen Fans aus der jüngeren Generation bescheren. War auch sicher nicht das Ziel.
Simple Minds Alben rauschen mittlerweile an mir emotional vorbei, hier und da horche ich auf, gut produziert, die Songs sind nicht schlecht… irgendwie nett, vielleicht sogar gut….woran liegt es dann? Ein Simple Minds Album überrascht nicht mehr, wahrscheinlich ist man der Meinung einen Sack voll halbwegs Radio kompatiblen Poprock abliefern zu müssen, wohlwissend nicht mehr im Radio gespielt zu werden, aber live funktioniert das umso besser. Das ist schade, denn hier und da blitzen immer Dinge auf, die an die besten Momente der Frühzeit erinnern um dann aber wieder mit Standard-Arrangements zugekleistert zu werden. So bleibt ein Simple Minds Album, was sich tatsächlich gut für Autofahrten eignet, 2-3 Songs die man sich auf die Playlist setzt. Weiß man aber wie die Simple Minds gestartet sind und andere Künstler um die 60 mit künstlerisch starken Alterswerken am Start sind/waren, dann ist das bei dieser Band am Ende ärgerlich.