laut.de-Kritik

Eine bessere Welt? Die Bostoner walzen alle Illusionen nieder.

Review von

"This Sinking Ship" ist das zweite Album der Jungs aus Boston. Warum statten sie diesen Longplayer mit einem solch deprimierenden Titel aus? Ist das Quartett etwa schon kurz vor ihrem musikalischen Ende? Oder höre ich gar ein verspäteter Titanic-Soundtrack? Ein kurzer Blick ins Booklet verrät, dass sich auch auf dieser Platte politische und sozialkritische Songs die Klinke in die Hand drücken. Somit also kein Wunder, warum der Titel des Silberlings recht düster ausfällt. Auch dieses Mal wummern Smoke Or Fire gut drauf los, halten an ihrer punkigen Attitüte fest und glänzen durch gutes Songwriting.

Bevor diese Scheibe allerdings aufgenommen werden konnte, musste bandintern ein Drummertausch vollzogen werden: Nick zog sich wegen eines privaten Notfalls zurück und wird seitdem von Dave Atchison aus der ehemaligen Hardcoreband From Ashes Rise ersetzt. Neue Einflüsse sind trotzdem nicht festzustellen. Das neue Line-Up erinnert weiterhin an die Kollegen von Hot Water Music, Avail oder Anti-Flag und schon direkt der Opener "What Separates Us All" walzt mit gut dosierter Gesellschaftskritik jegliche Illusionen nieder.

Obwohl Smoke or Fire eher die Mainstream-Poppunk-Schiene fahren, können sie sich durch ihr tolles Songwriting etwas aus der Masse heraushieven. Die Lyrics triefen nur so vor angeprangerten Ungerechtigkeiten und geben sich dabei immer einen rauen und energisch. Sehr ansprechend finde ich Songs, wie "The Patty Hearst Syndrome", "Melantonin" oder "Little Bohemia", die bereits im Titel Einfallsreichtum beweisen und sich damit von üblichen 0815-Tracks abheben.

"The Patty Hearst Syndrome" beispielsweise bezieht sich auf eine Millionenerbin aus den 70ern. Das Mädel hieß Patty Hearst und wurde damals durch die linksradikale Symbionese Liberation Army (SLA) entführt, 57 Tage lang in einen Kasten gesperrt, misshandelt und vergewaltigt, während die SLA deren Familie erpresste. Mit dem geforderten Geld kaufte die Vereinigung Lebensmittel und verteilte diese in diversen Armenvierteln in den USA. Zweieinhalb Monate nach der Erpressung schloss sich Patty freiwillig der SLA an und beteiligte sich an einigen Überfällen. Nachdem sie daraufhin verhaftet und ein paar Jahre später begnadigt wurde, schaffte sie es auch noch Schauspielerin zu werden (Sowas geht auch nur in Amerika ...). Ein genialer Film, bei dem sie mitwirkte, war die Horror-Komödie "Serial Mom – Warum läßt Mama das Morden nicht?".

Aber zurück zur Musik: Es ist fantastisch, dass Smoke Or Fire solche skurillen und sozialkritischen Geschichten aufgreifen, auf ihre Art interpretieren und anschließend mit straighten Riffs würzen. Auch "Melatonin" (eigentlich ein Hormon, das für unseren Tag-Nacht-Rhythmus verantwortlich ist und in den USA als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet wird) scheppert flott durch die Gehörgänge und spöttelt über die Welt. "Little Bohemia" fordert vor allem die Jugend auf, sich mehr in das Weltgeschehen einzumischen: "We could open up our mouths and say we are not the world. We could open our mouths and say we won't be part of it. We are not the world. Are you listening or waiting to speak in this conversation?"

Weitere Goldstücke der Platte sind "Life Imitating Arts" (Scheiß Fernseher!) und "Folding The Pages" ("Everybody's Hell Looks Different"). Besonders letzterer hat es mir angetan und schließt diese Listeningsession nach gut 28 Minuten äußerst rund ab. Wenn die Jungs jetzt noch etwas kantiger werden, sind sie auf dem besten Weg sich als eine richtig gute Punkband zu etablieren. Mal sehen, ob sich ihr drittes Werk aus den Fesseln des Punk-Mainstream befreien kann.

Trackliste

  1. 1. What Separates Us All
  2. 2. The Patty Hearst Syndrome
  3. 3. Melatonin
  4. 4. This Sinking Ship
  5. 5. Irish Handcuffs
  6. 6. Little Bohemia
  7. 7. I'll Be Gone
  8. 8. Shine
  9. 9. Breadwinner
  10. 10. Life Imitating Art
  11. 11. Cars
  12. 12. Folding The Pages

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