28. Oktober 2022

"Wir wollten gehasst werden"

Interview geführt von

Sodom feiern ihr 40-jähriges Bandjubiläum mit der Compilation "40 Years At War - The Greatest Hell Of Sodom".

Bandboss Tom Angelripper ist gerade am Packen. Am nächsten Morgen steht der Flug für einen Gig nach Mexiko an. Dennoch nimmt sich das Ruhrgebiets-Original viel Zeit für das Gespräch. Es gibt schließlich jede Menge zu erzählen.

Eure Jubiläums-Veröffentlichung zu 40 Jahre Sodom unterscheidet sich von den Jubiläums-Veröffentlichungen von Tankard und Kreator, die Boxsets mit allen Alben der Noise-Ära rausgebracht haben. Was war die Idee hinter eurem Format?

Unser Backkatalog ist komplett an BMG verkauft worden. Mit unseren Originalaufnahmen hätten wir ohne BMG gar nichts machen können. Meine Ursprungsidee war es, ein Livealbum zum Jubiläum herauszubringen. Das hat aber nicht geklappt. Da kam Corona dazwischen. Wir konnten keine vernünftigen Shows spielen, die wir hätten aufnehmen können. Deshalb haben wir uns entschieden, von jedem Album einen Song auszusuchen, den wir mit dem aktuellen Line-Up neu einspielen. Bei den Songs handelt es sich aber nicht um die üblichen Verdächtigen wie "Agent Orange", "Persecution Mania" oder "Nuclear Winter". SPV hat dann gesagt: "Super Idee, haut rein Jungs." Das war natürlich ein Haufen Arbeit. Wir mussten uns mit dem alten Material beschäftigen. Es hat aber auf jeden Fall Spaß gemacht.

Ist es dir schwer gefallen, die Songauswahl zu treffen?

Ich habe das nicht alleine entschieden. Wir haben uns alle zusammen gesetzt und Gedanken gemacht. Von der "Masquerade In Blood" fanden wir alle zum Beispiel "Gathering of Minds" sehr gut. Wir haben uns sehr bemüht, den Original-Ton und die Original Stimmung von damals einzufangen. Wir haben versucht, den Song 1:1 zu covern. Das Interessanteste an der Box ist aber das Buch. Da ist jedes Artwork in top Qualität abgebildet. Es gibt auch eine kurze Abhandlung von mir zur Bandhistorie. Die Hauptsache ist aber, dass wir die Fans zu Wort kommen lassen. Die haben nach 40 Jahren Sodom Einiges zu sagen. Es war viel Arbeit, das zu sammeln. Leider konnten wir nicht alles Statements reinbringen, weil es einfach zu viele waren. Einer hat zum Beispiel geschrieben: "Bei 'Agent Orange' habe ich meine erste Freundin kennengelernt. Immer wenn ich das Lied höre, denke ich an diese Zeit zurück." Da sind viele, teils hoch emotionale, Sachen dabei. Es war mir einfach wichtig, die Fans mit rein zunehmen. Es geht nicht nur um uns. Ohne unsere Fans wären wir gar nicht so weit gekommen.

Ich hätte mich ja gefreut, wenn ihr "My Atonment" von der "Expurse of Sodomy" mit auf die Platte genommen hättet.

Der Song ist auf einer EP, die haben wir ganz außen vor gelassen. Bei der "In The Sign Of Evil" haben wir eine Ausnahme gemacht, weil es eigentlich unser "erstes" Album ist, obwohl es sich genau genommen um eine Mini-LP handelt. Es war mir aber sehr wichtig, dass wir davon einen Song auf die Compilation nehmen ("Sepulchral Voice", Anm. d. Red.).

Eigentlich sollte "In The Sign Of Evil" ein vollständiges Album werden. Doch die Plattenfirma hat euch ausgebremst, weil sie mit der Qualität nicht ganz einverstanden war, oder?

Oh ja, das hätte ich an deren Stelle auch gemacht (lacht). Wir kamen damals ins Studio und hatten von nichts eine Ahnung. Wir waren damals das erste Mal in unserem Leben in Berlin. Wir waren nachts mehr unterwegs als am Tag. Damals hätte niemand von uns gedacht, dass wir danach noch eine Option bekommen, um ein Album einzuspielen. Heute gilt "In The Sign Of Evil" aber als Kultalbum. Unser Debüt "Obsessed By Cruelty" mussten wir noch mal komplett neu einspielen, weil die Plattenfirma den Sound so scheiße fand. Mittlerweile finde ich den Sound der Ersteinspielung sogar besser als den der zweiten Auflage.

In eurer Karriere habt ihr hin und wieder Klassentreffen mit aktuellen und früheren Sodom-Musikern veranstaltet. Wie zum Beispiel zum 25. Geburtstag. Ist das zum 40. Jubiläum wieder in Planung?

Nein. Eigentlich hatte ich die Idee, freitags in der Zeche Carl ein Sodom-Show mit allen noch lebenden Sodom-Musikern zu machen. Und samstags eine Metalparty mit DJ Husky oder so. Früher gab es dort einmal in der Woche eine Metalparty. Leider sind wir mit der Zeche Carl nicht so richtig zusammen gekommen. Außerdem ist es immer schwieriger geworden, an die alten Musiker ranzukommen. Keine Ahnung, ob Makka (Schlagzeuger von 2010 – 2018, Anm. d. Red.) kommen würde. Mit Bernemann (Gitarrist von 1996 bis 2018) habe ich noch Kontakt, das ist kein Problem. Zu Atomic Steif (Schlagzeuger von 1992 bis 1995) haben wir überhaupt keinen Draht mehr. Keiner weiß, wo der ist oder was er macht.

Ihr habt in den zurückliegenden 40 Jahren einen beeindruckenden Weg zurückgelegt. Kannst du erklären, wie das funktioniert hat?

Einfach mit viel Arbeit. Das kommt nicht von alleine. Jüngere Bands oder Musiker fragen mich oft: "Was muss ich machen? Ich will Berufsmusiker oder Rockstar werden." Heute ist das verdammt schwierig. Ich würde keinen Beruf oder kein Studium dafür mehr aufgeben. Damals gab es eine Handvoll Bands, die haben früher oder später einen Plattenvertrag bekommen. Ansonsten ist es aber Arbeit von früh bis spät, das sehen die meisten Leute nicht. Wenn du auch noch die Manager-Tätigkeit wie ich machst, bist du von morgens bis abends damit beschäftigt.

Kommt dir dabei dein Arbeiter-Ethos aus dem Ruhrgebiet entgegen? Du hast ja unter Tage gearbeitet, bevor du alles auf die Karte Musik gesetzt hast.

Na klar, ohne Arbeit verdiene ich nichts. Man muss für sein Geld was tun. Wenn du eine Band gründest, musst du was Besonderes machen, du musst aus der Masse herausstechen. Bei uns, Destruction, Kreator oder Venom hat man nach den ersten Noten sofort gewusst, wer das ist. Bei vielen Bands heutzutage kann man das nicht mehr so einfach bestimmen. Viele Bands klingen gleich. Wir haben natürlich das Glück, dass bei uns der Kultstatus greift. Trotzdem müssen wir weiter hart arbeiten.

Gibt es einen Moment, der den Werdegang von Sodom entscheidend beeinflusst hat?

Das war sicherlich, als ich aufgehört habe, zu arbeiten, um Berufsmusiker zu werden. Wenn ich von der Tour nach Hause gekommen bin und danach in die Zeche musste, dachte ich: Was mache ich hier? Da hat mein Vater gesagt: "Du hast jeden Monat Geld auf dem Konto. Wenn du die Steiger-Schule machst, kannst du noch mehr Geld verdienen." Geld hat für mich aber keine Rolle gespielt. Wenn ich von der Musik leben und dafür morgens im Bett liegen bleiben kann, ist das für mich Luxus. Mit der Musik hätte es aber auch schief gehen können. Es gibt Musiker, die fangen an zu saufen und lassen sich komplett gehen. Das funktioniert natürlich nicht, dann bist du weg vom Fenster. Okay, früher haben wir komplett durch gesoffen: vor der Show, während und danach. Das geht jetzt natürlich nicht mehr, da musst du dich zusammenreißen. Nach der Show stoßen wir an, das war es dann aber auch. Morgens um sechs stehst du in der Hotellobby, weil es dann weitergeht. Das ist nicht so glamourös, wie viele denken. Als wir in Brasilien auf Tour waren, haben wir nicht am Strand gelegen, sondern in Stadtteilen gespielt, wo man keinen Urlaub machen will. Es ist nicht schön, immer auf Tour zu sein. Ich werde im Februar 60 Jahre alt, bis 70 möchte ich das nicht machen. Ich will nicht wie Lemmy halbtot auf der Bühne stehen. Der Tom Araya von Slayer hat sich bei der letzten Show bei den Fans bedankt und Tschüss gesagt. Im Backstagebereich hat seine Frau gewartet. Mit der ist er dann nach Hause gefahren. Jetzt kann er mit ihr mehr Zeit verbringen und was vom Leben haben.

Tom Araya hatte extreme Nackenprobleme, der konnte gar nicht mehr bangen.

Ich habe mittlerweile auch den siebten Bandscheibenvorfall (lacht). So richtig Hubschrauber geht dann auch nicht mehr.

In 40 Jahren Sodom habt ihr euer Ding gegen alle Widerstände immer durchgezogen. Das hat mir imponiert.

Das stimmt, wir haben uns nie geändert, auch in den 90er Jahren nicht. Ende der 90er Anfang der 2000er hieß es, der Metal feiert sein Revival, die Bands kommen wieder. Das kann ich nicht unterschreiben. Wir waren permanent da, ohne uns musikalisch zu verbiegen. Wir haben immer das gemacht, was wir wollten, auch wenn uns gesagt wurde, ihr müsst kommerzieller werden. Wir haben unseren Plattenfirmen nie vor der Veröffentlichung unsere Aufnahmen zum Hören gegeben, damit die vielleicht noch was ändern können. Das ist wahrscheinlich auch unser Erfolgsrezept. Wir haben immer die Musik gemacht, die wir lieben und nie darüber nachgedacht, ob sich das vielleicht verkaufen könnte. Es muss auch nicht jedem gefallen. Das wollten wir auch nie. Metal ist mittlerweile in der gesamten Gesellschaft etabliert. Das ist aber nicht Sinn und Zweck, weshalb wir 1982 eine Band gegründet haben.

Was war denn der Sinn und Zweck damals?

Wir wollten gehasst werden. Wenn einer gesagt hat, eure Musik ist scheiße, fanden wir das geil. Wir wollten gegen Eltern, Lehrer und Establishment rebellieren. Wir wollten so leben, wie wir wollten. In der Berufsschule war ich der einzige, der Metal gehört hat. Mein bester Kumpel damals hat Adam And The Ants gehört, das war so ne New Wave-Scheiße. Ich habe immer gesagt: Ich bin Metaller, das ist was Besonderes. Das war es auch, das hat nicht jeder gehört.

Was war die schwierigste Phase in der Karriere von Sodom?

Die vielen Besetzungswechsel. Da musste ich quasi immer wieder von vorne anfangen. Auf jeden neuen Gitarristen und dessen Art zu spielen, musste ich mich neu einstellen.

"Ich habe dreimal den Führerschein verloren"

Eine Konstante in eurer Karriere waren eben die vielen Line-Up-Wechsel. Dabei sind viele Trennung nicht gerade sauber über die Bühne gegangen. Ich erinnere mich noch gut an den Fall von Bernemann und Makka, die sich beschwert haben, dass du ihnen per WhatsApp den Rauswurf mitgeteilt hast.

Das stimmt nicht, ich habe ihnen per WhatsApp geschrieben, dass sie ihre E-Mails lesen sollen (lacht). Na gut. Es ist nicht so, dass das von einem Tag auf den anderen kommt. Ich gebe Warnschüsse ab. Doch wenn meine Ideen konsequent ignoriert werden, dann war es das. Es ist meine Band, das ist einfach so!

Der frühere Schlagzeuger Bobby Schottkowski hat die Band von sich aus verlassen, weil du in sein Privatleben eingegriffen hattest.

Das war eine sehr persönliche Geschichte, das hat mir hinterher auch leid getan. Mittlerweile können wir aber wieder quatschen.

Würdest du im Rückblick die ein oder andere Entlassung anders vornehmen. Zum Beispiel den Rauswurf von Chris Witchhunter?

Der Witchhunter war einfach krank. Das ging nicht mehr so weiter, wir konnten nicht ständig die Shows canceln, weil er besoffen war. Es ist doch peinlich, wenn man eine Show canceln muss, weil einer besoffen ist. Doch wenn du Alkoholiker bist, ist dir das nicht peinlich, dann ist dir das egal. Der Rauswurf hat ihn leider nicht vom Alkohol abgehalten, im Gegenteil. Das war damals hart, der Witchhunter war zu der Zeit mein bester Freund. Man konnte ihm leider nicht helfen. Er hat es zum Beispiel abgelehnt, eine Therapie zu machen.

Was war die schwerste Entscheidung, die du treffen musstest?

Ganz klar, den Witchhunter rauszuwerfen. Das war damals tragisch. Andy Brings oder Bernemann haben nach dem Ende bei Sodom ihren eigenen musikalischen Weg gefunden. Witchhunter ist daran kläglich gescheitert. Er hat völlig an der Realität vorbeigelebt mit seinem Rockstargehabe: Ich bin Witchhunter, ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken. Wenn ich ihn damals nicht rausgeworfen hätte, würden wir uns jetzt wahrscheinlich nicht über 40 Jahre Sodom unterhalten. Ich bin nun mal der Boss in der Band, ich muss die Entscheidungen treffen. Und meine Entscheidungen sind meistens richtig gewesen. Wenn ich auf andere gehört hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht so weit gekommen. Ich mache das Geschäft schon ziemlich lange. Da kann nicht alles verkehrt gewesen sein.

Welche Bedeutung würdest du Sodom in der Metalwelt beimessen?

Ganz groß hinaus wollen wir nicht. Den Stand, den wir jetzt haben, finde ich optimal. Wenn wir größer wären, hätten wir viele Monate länger auf Tour sein und viel mehr Geld in aufwendige Bühnenshows investieren müssen. Wir spielen in kleineren Clubs, die aber immer voll sind.

Viele Bands, vor allem im Blackmetal-Bereich, bezeichnen Sodom als großen Einfluss für ihre Musik. Was geht in dir vor, wenn du das hörst?

Als wir im norwegischen Bergen gespielt haben, und auch die dortige Blackmetal-Szene vertreten war, kam der Veranstalter zu uns und hat gesagt: "So wie bei euch ist es hier noch nie abgegangen." Wenn Abbath dort spielt, stehen alle nur rum und schauen den doof an. Wir haben einen großen Einfluss auf die Blackmetal-Szene. Sodom, Venom und Bathory haben damit angefangen. Deshalb huldigen uns die Leute, die finden das geil.

Früher seid ihr belächelt worden und galtet als die Voll-Assis aus dem Pott. Heute geltet ihr hingegen als Kultband und habt eine hohe Relevanz in der Szene. Spürst du Genugtuung?

Na klar. Uns haben sie früher ständig zerrissen in den Reviews. Das fanden wir aber geil (lacht). Was Besseres als ein Punkt im Rockhard kann dir gar nicht passieren. Mit "Persecution Mania" hat sich bei uns aber einiges geändert. Das war musikalisch wesentlich ausgereifter als unsere ersten beiden Alben. Das war ein Quantensprung. Wir haben unser Ding auch ohne Marshall-Türme auf der Bühne und Pyro-Shows für 12.000 Euro durchgezogen.

Kommen wir mal zurück zu den Wurzeln von Sodom. Gibt es eine Band oder ein Album, das dich bewogen hat, einen Band zu gründen?

Ja, "Welcome To Hell" von Venom. Trotz Motörhead und all den anderen Bands. Nachdem mein Gitarrist, der "Aggressor" Frank Testegen, die Scheibe gehört hat, hat er gesagt: "Boah, so was will ich auch machen." Da hab ich gesagt: "Gut, dann machen wir das!" Frank konnte Gitarre spielen, ich noch gar nichts. Ich saß zunächst am Schlagzeug, bevor ich den Witchhunter kennen gelernt habe. Wir haben eine Band gegründet, ohne uns groß aufzuteilen. Weil wir einen Bassisten brauchten, habe ich mir einen Bass gekauft. Der hat nur vier Saiten und ist für einen Anfänger wahrscheinlich einfacher, habe ich mir gedacht. Wir sind in den Proberaum gegangen und haben einfach losgelegt, ohne groß nachzudenken.

Welcher war der erste Song, den ihr selbst geschrieben habt?

"Witching Metal". Das war unsere Hymne und unsere musikalische Richtung. Diese Bezeichnungen Blackmetal oder Thrashmetal kannte man noch gar nicht. Wir haben gesagt, wir machen kein Heavy Metal, wir machen Witching Metal.

Tankard haben sich in den Anfangstagen als Alcoholic Metal bezeichnet.

Dabei haben wir viel mehr gesoffen als die. Anfang der 80er Jahre waren wir krass unterwegs. Damals sind wir mit meinem ersten Auto, einem roten Simca 1100 durch die Gegend gefahren. Hinten haben wir in die Hutablage ein Loch gebohrt, um während der Fahrt in den Kofferraum greifen zu können, wo die Karlsquelle-Bierbüchsen von Aldi lagen. Das Ergebnis war, dass ich dreimal den Führerschein verloren habe. Ich bin aber bestimmt dreihundert Mal besoffen gefahren, so gesehen, ist das ist ein guter Schnitt (lacht). Nach dem dritten Mal wollten sich mich eigentlich in den Knast stecken. Die haben gesagt: "Der Such (Angelripper heißt mit bürgerlichem Namen Thomas Such, Anm. d. Red.) hat eh kein Geld, um die Strafe zu bezahlen." Da ich damals bei der Bundeswehr war, haben sie mich dort bestraft. Wenn die anderen am Wochenende nach Hause gefahren sind, musste ich in der Kaserne bleiben.

Kam daher der legendäre Topfschnitt, den man auf den alten Plattencovern bewundern kann?

Ja genau. Heute sind die Frisuren moderner. Doch damals haben sie beim Bund einmal ringsum geschnitten, dass kein Haar mehr auf dem Ohr liegt. Und der Pony war kerzengerade.

"Vielleicht lasse ich mir ein Sodom-Logo stechen"

Bis das legendäre Line-Up mit Frank Blackfire, Chris Witchhunter und dir stand, hattet ihr in den Anfangstagen auch einen Typ namens "Bloody Monster" in der Band. Weißt du, was aus dem geworden ist?

Puh, keine Ahnung, ob der noch lebt. Ich glaube es aber nicht. Der war schon damals gesundheitlich extrem angeschlagen.

Der Mille von Kreator hat bei auch kurz mitgespielt, oder?

Ja, der Mille kam kurz nach dem Peppi, dem Grave Violator. Wir haben gesagt: Komm lass uns mal ne Session machen. Wir waren damals schon bekannter als Tormentor (die Vorgängerband von Kreator, Anm. d. Red.). Mille hat dann aber gemeint, es sei nicht so sein Ding, was wir machen. Er hat uns aber den Michael Wulf als Gitarristen vermittelt. Der ist auch schon tot. Ich glaube, der ist Mitte der 90er Jahre bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.

Wann habt ihr euer erstes richtiges Konzert gespielt?

Das war 1984 bei der Venom-Autogrammstunde in Frankfurt. Da haben noch Tankard und Destruction gespielt. Wir waren alle total zu. Wir haben trotzdem einen Plattenvertrag bekommen. Der Manfred Schütz von SPV war damals im Publikum. Als er uns gesehen hat, meinte er: "Das ist die schlechteste Band der Welt, die müssen wir unbedingt signen." Der hat nicht geschaut, welche Bands gut waren, sondern welche was Besonderes hatten. Und weil wir besonders scheiße waren, hat er es mit uns probiert. Dadurch kam unsere erste EP "In The Sign Of Evil" raus.

Was war der Wendepunkt, der die Band richtig nach vorne gebracht hat?

Der kam, als Frank Blackfire 1987 in die Band eingestiegen ist. Der hat ein ganz anderes Gitarrenspiel in die Band gebracht. Die Songs wurden viel strukturierter. Bei "Obsessed By Cruelty" hat beim Songwriting und beim Aufnahmeprozess noch Chaos geherrscht. Unser damaliger Produzent Harris Johns hat uns dazu angehalten, auf den Punkt zu spielen. Sein Spruch war immer: "Die Art von Musik lebt von der Präzision." Wir haben uns dann ganz in die Arme von Harris begeben. Wir haben uns mit der EP "Expurse of Sodomy" und dem anschließenden Album "Persecution Mania" als Band gefunden.

Ein wichtiger Moment in eurer Karriere war sicherlich auch der Nachfolger "Agent Orange" (1989), mit dem ihr auf Platz 36 der Albumcharts gelandet seid. Das war damals für eine Thrash-Band eigentlich unglaublich.

Das war uns aber scheißegal. Was haben wir in den Charts zu suchen? Im Nachhinein muss ich sagen, dass "Agent Orange" gar nicht mein Lieblingsalbum ist. Das war wahrscheinlich die richtige Musik zum richtigen Zeitpunkt zusammen mit dem geilen Cover. Ein Cover macht viel aus. Aber natürlich war die Platzierung ein Indikator dafür, dass es gut läuft für uns. Das hat uns die Möglichkeit eröffnet, einen guten Deal für weitere Alben zu bekommen. Nach "Agent Orange" war dann aber Frank weg. Mit Michael Hoffmann haben wir "Better Of Dead" aufgenommen, was mit seinem Gitarrenstyle ein ganz anderes Album geworden ist. Unser Backkatalog ist generell bunt und vielfältig.

Apropos Backkatalog sind. Was sind deine drei Lieblings-Alben von Sodom?

Die "Get What You Deserve" habe ich mir neulich auf Kopfhörer angehört. Die knallt wie Hulle. Da gibt es keine Overdubs, das ist eine musikalische Reinkultur. Die haben wir komplett live eingespielt. Daran erinnere ich mich gerne zurück. Danach kommen "Masquerade in Blood" und "Code Red". Viele Leute würden "M-16" nennen, ich finde die "Code Red" aber ein bisschen besser, die ist härter. Die "Epitome Of Torture" finde ich genial, da zündet das Cover aber nicht so gut. Genauso bei der schwarzen Platte, die nur Sodom heißt. Die leidet an ihrem Sound, obwohl da dicke Dinger drauf sind.

Welche drei Plattencover gefallen dir am besten?

Also das schlechteste Cover ist "Epitome Of Torture". Grandios finde ich "Til Death Do Us Unite". Das ist zwar nur ein Foto, doch es muss nicht immer ein aufwändiges Gemälde sein. Das Bild symbolisiert super Leben und Tod. Da ging es dann aber wieder los, weil man auf dem Bild Titten sieht. Das wurde dann genauso zensiert wie das Cover von der "Mortal Way Life" (Live-Album von 1988 mit einem Bild von dem unzüchtigen Treiben im damaligen Sodom, Anm. d. Red.). Da stellt sich dann wieder die Frage: Was darf Kunst? Heute sind die Leute ja noch empfindlicher als früher.

Du hast mit sehr vielen verschiedenen Musikern zusammengespielt. Hast du eine Sodom-Lieblingsbesetzung?

Puh, das ist schwer zu sagen. Die Zeit mit Frank (Blackfire) und Witchhunter (Chris) war schon geil. Bernemann war 20 Jahre lang in der Band, das war auch nicht alles schlecht. So wie es jetzt läuft, bin ich ganz zufrieden. Nach "Decision Day" und dem Split mit Bernemann und Makka haben viele Leute gesagt: "Das war es mit Sodom!" Aber nee, nee. Wir haben mit Frank (Blackfire), Toni (Merkel, Schlagzeug) und Yorck (Segatz, Gitarre) noch einen drauf gelegt.

Damals hatte Frank Blackfire mit dir und Witchhunter Probleme und ist deshalb ausgestiegen. Warum klappt es mit ihm jetzt besser als früher?

Frank erkennt mittlerweile mein Leben an. Außerdem waren wir nie verkracht. Als wir nach Jahren mal wieder zusammen auf der Bühne waren und dafür "Nuclear Winter" geprobt haben, klang das exakt wie früher auf der Platte. Das kann auch nur der Original-Gitarrist so spielen. Das fand ich faszinierend, dass er immer noch so spielt wie früher.

Hat er eigentlich das neue Stück "1982" geschrieben, das sich auf der Bonus-EP in der Box befindet? Das hört sich wie die alten Sodom an.

Nein, dass hat Yorck geschrieben. Dazu wollte ich ein Oldschool-Riff haben. Früher waren viele Songs irgendwie riffbasierter. Zum Beispiel "Holy Diver" oder "Stand Up And Shout" von Dio. Das ist im Prinzip ein Riff, one riff rules them all, heißt es. So hat man in den 80er Jahren Riffs gehabt, die sich immer wiederholt haben, die das Trademark waren. Und so soll auch "1982" sein.

In 40 Jahren Sodom seid ihr viel herumgekommen. In welchen Ländern hast du besonders gerne gespielt?

Wir waren kürzlich in Sofia, wo wir schon 1991 als erste westliche Band gespielt haben. Da haben die uns total abgefeiert. Italien war auch immer geil. Da spielen nicht so oft Heavymetal-Bands. In Deutschland kannst du ständig Overkill oder Exodus sehen. Das ist nichts Besonderes mehr. In Mexiko und Südamerika geht es ohnehin immer tierisch ab. Die zelebrieren das richtig. Da gibt es keine Musiker-Polizei, die genau hinhört, ob ich mich verspielt habe.

In Südamerika sind die Fans sehr fanatisch. Gab es dort mal brenzlige Situationen?

Ich kann mich an ein Konzert in Kolumbien erinnern. Die Halle war ausverkauft, doch es standen noch ganz viele Menschen draußen. Die sind dann außen an der Hallenwand hochgeklettert, haben die Scheiben eingeschlagen und sind so auf die Brüstung gekommen. Das war katastrophal. Vor der Halle haben die Auto gebrannt. Wir hatten schon im Vorfeld überlegt, ob wir überhaupt in die Halle reingehen, als wir das Chaos gesehen haben. Wir haben aber gesagt, da müssen wir jetzt durch und versuchen, die Leute von der Bühne aus nicht weiter anzustacheln. Da hatte ich echt Angst. In Südamerika kam es auch oft vor, dass die Militär-Polizei schwer bewaffnet bei Konzerten aufpasst, dass alles im Rahmen bleibt. Da bekommst man ein mulmiges Gefühl, wenn man die Jungs mit ihren Maschinenpistolen auf der Brüstung stehen sieht.

Gab es noch andere spezielle Tour-Erlebnisse?

Ich bin mal an der Grenze zu Österreich vergessen worden. Das war im Sommer 1990. Wir mussten alle mal auf die Toilette. Als ich zurückgekommen bin, war der Bus weg. Die anderen dachten, ich lege in der Koje und penne. Die haben das erst viel später an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn gemerkt, dass ich fehle. Ich war echt verzweifelt und hatte Schmacht. Ich war an der Grenze in einer Art Seelsorge, da habe ich Brötchen und ne Pulle Bier bekommen. LKW-Fahrer habe ich um Zigaretten angeschnorrt – aber ohne Gegenleistung (lacht). Am nächsten Tag hatten wir in Budapest eine Show. Ich habe es nach unzähligen Versuchen geschafft in Boxershorts und Badelatschen einen Autofahrer zu bequatschen, der mich bis zur österreichisch-ungarischen Grenze mitgenommen hat. Allerdings lag mein Reisepass im Bus. Zum Glück wartete mittlerweile der auf der Tour mitgefahrene Rockhard-Redakteur Frank Albrecht an der Grenze mit dem Pass auf mich. Der Autofahrer, der mich mitgenommen hatte, war Ungar und hat uns beide dann mit nach Budapest kutschiert. Als wir an der Halle ankamen, hatten Sodom bereits begonnen zu spielen. Ich bin aus dem Auto gesprungen, in die Halle rein und so wie ich war in Shorts, Latschen und weißem Shirt auf die Bühne. In der ganzen Hektik hatten wir allerdings unsere Reisepässe bei dem Ungarn im Auto vergessen. Nach dem Gig in Budapest spielten wir in Polen. Doch ohne Reisepass wäre ich da nicht reingekommen. Deshalb sind Frank und ich im Bus versteckt illegal nach Polen eingereist, um die Show in Warschau retten zu können. Fürchterlich! Dort haben wir uns in der deutschen Botschaft Ersatzpässe und Visa besorgt. Bis die da waren, hat es allerdings lange gedauert. Schlussendlich bin ich erst mehrere Tage später als der Rest der Band zurück nach Deutschland gekommen.

War der Mann, der dich mitgenommen hat, eigentlich ein Metalfan?

Überhaupt nicht. Als wir vor ein paar Jahren mal wieder in Ungarn gespielt haben, hat er uns besucht. Da kam der Veranstalter zu mir in den Backstage-Bereich und meinte, ich habe einen Gast für dich. Ich habe ihn erst gar nicht erkannt. Wir haben dann einen schönen Abend zusammen verbracht.

Zum Schluss noch eine Frage: Was bedeuten dir Sodom persönlich?

Die Band ist der größte Teil meines Lebens. Ich bin ein Mensch ohne Tätowierungen. Vielleicht lasse ich mir aber ein Sodom-Logo stechen.

Auf den Rücken?

Nein, auf's Ärmchen. In der Metalszene ist es ungewöhnlich, kein Tattoo zu tragen. Ich fange jetzt auch nicht mehr damit an. Im Alter hängen dann die Hautlappen so runter. Irgendwie ist das Thema an mir vorbeigegangen. In Südamerika wollte mir mal einer eins umsonst stechen. Ich wusste aber gar nicht, was ich drauf haben wollte. Ein Sodom-Tattoo könnte ich mir aber vorstellen.

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