laut.de-Kritik

Eine Rückkehr ohne Altersschwäche.

Review von

Verdammt lang her, Soundgarden. Die Welt war eine andere, als zum letzten Mal ein neues Studioalbum des Seattle-Vierers in den Läden stand. Und auch die vier Klanggärtner selber sind in wahrlich unterschiedlichen Stationen ihres Leben angelangt. Chris Cornell bewegte sich von Projekt zu Projekt weiter in Richtung Mainstream. Drummer Matt Cameron identifiziert sich längst mit Pearl Jam, und Ben Shepherd sowie Kim Thayil brachten musikalisch nichts wirklich Erwähnenswertes auf die Beine. Was erwartet man also von Soundgarden im Jahr 2012?

Wie immer bei einer Rückkehr gefeierter Helden aus vergangenen Zeiten ist man erst mal einfach nur froh, sie wieder zu haben. Mit ihnen Zeit verbringen, zu fragen: 'Weißt du noch, damals?' "Black Hole Sun" laut mitgegrölt? Zur "Jesus Christ Pose" im Moshpit untergegangen? Das ging jetzt zweieinhalb Jahre gut, brachte zwei zwei Blicke in den Rückspiegel und einige Konzerte mit sich. Doch der Blick nach vorne, neues Material, sorgt auch für ein mulmiges Gefühl, besonders nach dem ersten Lebenszeichen "Live To Rise", der bis auf das fette Intro nicht viel zu bieten hatte.

Doch den Song sucht man auf "King Animal" vergebens, ebenso wie Mittelmaß und Halbherzigkeit oder etwas anderes als würdige Soundgarden-Songs. Stattdessen verwaltet das Quartett seine Trademarks ohne Zurückhaltung als eine Band, die sich ihrer Vergangenheit bewusst ist, sich davon aber nicht niederdrücken lässt.

Die Schwere besorgt in Seattle sowieso seit jeher die Gitarre von Thayil, der sich mit silbernem Bart wieder als Baumeister massiver Geräuschwände offenbart. Zentnerschwere Riffs, Rhythmuswechsel, ungerade Taktarten und darüber das wahlweise keifende oder melancholisch-melodiöse Organ Cornells – auch die restlichen Elemente im Soundgarden-Sound haben die Pause von 16 Jahren unbeschadet überstanden. Genauso wie ihr Sinn für komplexe Songstrukturen und ausufernde Arrangements, die wie immer erst entschlüsselt werden wollen.

Soll heißen, "King Animal" ist eine Platte, die mit jedem Anhören wächst. Und diese Zeit sollte man auch investieren, soviel Vertrauen sollte man in Cornell und Co. schon haben, "Scream" hin oder her. Sonst kann man leicht den Opener "Been Away Too Long" als geradliniges Hardrock-Genrestück abtun, und dabei die letzten, ungemein drückenden Refrains übersehen. Oder die Tracks "Black Saturday" und "Halfway There" schon beim Einsetzen der Akustikgitarre als typische Solo-Cornell-Nummern abstempeln, wenngleich dadurch das schwere und apokalyptische Finale des ersteren umso überraschender ins Gesicht schlägt.

Nach ein paar Durchläufen fügen sich die ausufernden Arrangements zusammen, die Melodiebögen gehen im Ohr auf und man fragt sich, warum zum Teufel man diesen coolen Basslauf oder jene Bridge erst beim fünften Mal zum ersten Mal bemerkt hat.

Dabei fahren Cornell und Co. einige Songs auf, gegen die von Anfang an auch der letzte Zweifler schlicht nichts entgegenzuhalten hat. "Non-State Actor" zieht mit einem kompromisslosen treibenden Riff das alte Bandschiff voran, Shepherds Bass und Thayils Gitarre verschmelzen einmal mehr zu einem ungebremsten Güterzug, der sich mühelos auf Camerons sprunghaften Beat-Unterbau zu Recht findet, den dieser mühelos verdrahtet und bei Bedarf mit der Energie eines Schleudersitzes in den Äther feuert.

"By Crooked Steps" drischt mit seinen Ausfallschritten unmittelbar und von allen Seiten auf einen ein, dass es nur so eine Freude ist. "Blood On The Valley Floor" schnauft durch das Tal mit jener Tonnenschwere, in der sich Soundgarden so meisterlich verstehen. Immer suggerierend, dass es noch langsamer und heavier wird, ohne jemals wirklich stehen zu bleiben.

Im schleppenden Mid-Tempo machen es sich auch "Bones Of Birds" und "Tarree" gemütlich, die mit warmer Melancholie und den cleveren, teils reduzierten Arrangements ihren Platz zwischen "Blow Up The Outside World" und Audioslave beanspruchen, jedoch stets mit spezieller Facette. Der einzige Song, der diese Vorgabe nicht erfüllt, ist das von Shepherd geschriebene "Attrition", ein uncharakteristischer Geradeausrocker, der jede Besonderheit vermissen lässt.

Zurück zur Stärke wälzen sich die scheppernden Riffmonster von "Worse Dreams" und das an "Outshined" erinnernde "Eyelids Mouth" gegen Ende des Albums hin, bevor auf dem hypnotischen und siedenden "Rowing" das tollste Shepherd-Riff seit langer Zeit dominiert, mit dem der ewige Grantler den "Attrition"-Schnitzer wieder ausbügelt. Sogar programmierte Drums erklingen im letzten Track, bevor Cameron einsteigt und das Ding fachgerecht zerlegt.

Cornells Gesang ist auf der Platte nicht dramatisch in den Vordergrund gemixt, man lässt der instrumentalen Kraft der Band genügend Raum. Auch wenn Adam Kaspers Produktion etwas weicher wirkt, und vor allem die Drums nicht mehr so durch die tiefgestimmten Mesa Boogie-Wände schneiden wie in den Neunziger, drücken die Songs dank den immer noch außergewöhnlichen, Irrgarten-ähnlichen Arrangements ordentlich aus den Boxen.

Und wie bei einem Labyrinth üblich benötigt man eine gewisse Zeit, um sich seinen Weg zu bahnen. Kommt man dann aber heraus, ist man umso glücklicher. Glücklich, dass Soundgarden ihrer eigenen Historie gerecht werden, und fast ein wenig stolz, dass eine Band, die man damals schon stark fand, es immer noch kann.

Trackliste

  1. 1. Been Away Too Long
  2. 2. Non-State Actor
  3. 3. By Crooked Steps
  4. 4. A Thousand Days Before
  5. 5. Blood On The Valley Floor
  6. 6. Bones Of Birds
  7. 7. Taree
  8. 8. Attrition
  9. 9. Black Saturday
  10. 10. Halfway There
  11. 11. Worse Dreams
  12. 12. Eyelid's Mouth
  13. 13. Rowing

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55 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 11 Jahren

    16 Jahre Pause, damn ist das alles lange her - kann mich noch an meine leuchtenden Augen erinnern als ich Badmotorfinger auf Vinyl erwarb, das war 1991, Allah! Aber ich habe Angst vor diesem neuen Album hier, ich kann mir nach all dem Schmu den Cornell veranstaltet hat in Zwischenzeit und all der Zeit die ins Land gezogen ist wirklich nicht vorstellen, dass die Dichte und Intensität von damals erreicht werden kann. Aber gut, lassen wir uns überraschen.

  • Vor 11 Jahren

    Und für Sodi
    Das, bzw die alten Platten von vor der Pause (und das Temple of the Dog-Konzert) wären so ein Geheimtipp, nach dem Du immer gierst. Soundgarden ist kein Garten und auch kein Einzelkünstler, Soundgarden ist eine BAND, also mehrere Künstler in einem Kollektiv.

  • Vor 11 Jahren

    digga als hättest du 91 schon gelebt