laut.de-Kritik

"Live fast die young? Too late for that!"

Review von

Das Schweizer Trio El Deux sang 1982 von einem "Computer-Mädchen", Kraftwerk beschwörten schon im Jahr zuvor die "Computerwelt". Dem Zeitgeist früh auf der Spur, fraglos, dafür werden Kraftwerk bis heute bejubelt, El Deux nicht. Und wie immer drei Mal nicht: die Sparks.

Im Jahr 1969, als Bürofachkräfte noch an Schreibmaschinen saßen und Computer die Größe eines Mehrfamilienhauses einnahmen, sang Russel Mael von einem "Computer Girl", allerdings gab er später offen zu, nicht recht gewusst zu haben, "wie wir die Metapher eines Computermädchens im Text verwenden sollten, weil es Computer ja per se noch gar nicht gab".

"Past Tense: The Best Of Sparks" ist also selbstverständlich eine überfällige Compilation. Erstens: Weil die Band immer noch nicht so bejubelt wird wie etwa Bowie oder Roxy Music trotz ähnlich großer Verdienste um schlauen 70er Rock, der sich danach bowie-gleich chamäleonartig fortbewegte. Woraus sich zweitens das Problem ergibt, dass bis auf eine überschaubare Anzahl an devoten Anhängern niemand wirklich weiß, wo man als unbeleckter Pop-Archäologe aus dem üppigen Album-Sammelsurium von 40 Jahren Sparks-Karriere anfangen soll.

Ein Lösungsvorschlag: Hier. Diese Zusammenstellung bildet den ganz normalen Wahnsinn des kalifornischen Duos recht adäquat ab. Ob man die 3-CD mit 58 Songs, die Doppel-CD mit 39 oder die 3-LP mit 27 Songs kauft, ist so ziemlich die schwierigste Entscheidung, die man sich stellen muss. Auf Spotify und Co. findet man die Veröffentlichung nämlich nicht, nur den ebenfalls gerade erschienenen 1994er Re-Release "Gratuitous Sax & Senseless Violins" mit dem vielleicht kommerziellsten Sparks-Hit "When Do I Get To Sing 'My Way'".

Alle drei "Past Tense"-Ausgaben begleiten die Karriere des kuriosen Duos angemessen ausschweifend und nehmen die Kernsongs ins Visier. Russell und Ron Mael, 1968 ausgezogen aus Los Angeles, um jahrelang als verschrobene Britrocker missverstanden zu werden. Diese Wahrnehmung begleitete sie dann über vier Jahrzehnte, denn welchem ehrbaren amerikanischen Rockmusiker würde es schon einfallen, sich an Glamrock, Orchester-Pomp, Neo-Klassik-Pop, Rock-Avantgarde, Dancefloor-Trash, Synthie-Pop, Piano-House und Musical-Extravaganza auszutoben?

Aus der Frühphase, mit der man die Sparks bis heute meistens verbindet, sind die glamourösen Brecher "This Town Ain't Big Enough For The Both Of Us", "Amateur Hour" (von "Kimono My House", 1974) und "Something For The Girl With Everything" ("Propaganda", 1974) vertreten, vor denen auch ein Mike Patton in die Knie geht. Die theatralischen Momente spiegeln sich auch in einigen Faith No More-Songs wieder, mit denen die Maels auch schon mehrfach aufgetreten sind.

Auf das Cover-Design legte die Band seit jeher großen Wert und erkannte früh die Magie der eigenen, sehr speziellen äußeren Erscheinung: Hier Sänger und Sunnyboy Russell mit wallendem Haupthaar, dort der mit regungsloser Miene am Keyboard sitzende, pomadisierte Ron, dessen Zweifingerbart selbst John Lennon einst erschaudern ließ ("Christ, Hitler is on the telly!"). Die teilweise herrlich albernen Cover-Artworks (Highlights: "Propaganda", "Indiscreet", "Angst In My Pants", "Hippopotamus", um nur einige zu nennen) sind allesamt im Booklet abgedruckt. Hinzu kommen Sleeve-Notes des Waliser Pop-Kritikers Simon Price, der schön ausführt, wie es die Band einerseits zum bestgehüteten Geheimnis des Pop brachte und gleichzeitig unzählige Bands inspirierte.

Die 1979er Produktion "No. 1 in Heaven" mit Donna Summer-Produzent Giorgio Moroder wurde ihnen im "Disco Sucks"-Zeitalter um die Ohren gehauen ("Album irrelevant" sagte der NME), heute gilt sie allein schon als Template für 80er-Jahre-Synth-Pop-Duos (Yazoo, Erasure, Soft Cell, Pet Shop Boys). Im Laufe des Jahrzehnts kooperierten die Maels mal eher harmlos mit Go-Gos-Sängerin Jane Wiedlin ("Cool Places"), mal aufregend mit dem französischen Weirdo-Paar Les Rita Mitsouko ("Singing In The Shower"). Völlig untergegangen sind Songs wie der Erasure-Vorläufer "With All My Might" oder das nur in ihrer 80er-Produktion gefangene "So Important".

In den 90ern bekam der Sparks-Tanker noch mal Rückenwind. Eigentlich bis heute unerklärlich, wie es die Maels schafften, mit "When Do I Get To Sing 'My Way'" plötzlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Seither operieren sie wie gewohnt abseits der Hitparaden, allerdings auf einem Niveau, das ihre glorreichen 70er-Jahre noch weiter weg erscheinen lassen, als sie es ohnehin sind. "My Baby's Taking Me Home", "Good Morning" oder "Perfume" sind exzentrische, widerborstige und genau deshalb anziehende Pop-Kuriositäten.

In einem Song des mal wieder fantastischen, letzten Albums "Hippopotamus" singt Russell Mael: "Live fast, die young / too late for that". Zum Glück für uns. Denn das Duo hat alle Karriere-Durststrecken überstanden und lässt sich heute von nachgewachsenen Generationen (zum Beispiel auch von Franz Ferdinand auf dem Kollabo-Album "FFS") feiern. Da fällt der Rückblick auf 40 Jahre Pop, den die Sparks selbst in "Edith Piaf (Said It Better Than Me)" wagen, relativ leicht: "Je ne regrette rien".

Trackliste

CD1

  1. 1. Computer Girl
  2. 2. Wonder Girl
  3. 3. (No More) Mr. Nice Guys
  4. 4. Girl From Germany
  5. 5. Beaver O'Lindy
  6. 6. This Town Ain't Big Enough For The Both Of Us
  7. 7. Amateur Hour
  8. 8. Here In Heaven
  9. 9. Never Turn Your Back On Mother Earth
  10. 10. Something For The Girl With Everything
  11. 11. Achoo
  12. 12. Get In The Swing
  13. 13. In The Future
  14. 14. Looks, Looks, Looks
  15. 15. I Want To Hold Your Hand
  16. 16. Big Boy
  17. 17. I Bought The Mississippi River
  18. 18. Occupation
  19. 19. Those Mysteries
  20. 20. Tryouts For The Human Race
  21. 21. Beat The Clock

CD2

  1. 1. The Number One Song In Heaven
  2. 2. When I'm With You
  3. 3. Tips For Teens
  4. 4. Funny Face
  5. 5. Angst In My Pants
  6. 6. I Predict
  7. 7. Sherlock Holmes
  8. 8. Cool Places (with Jane Wiedlin)
  9. 9. Popularity
  10. 10. I Wish I Looked A Little Better
  11. 11. With All My Might
  12. 12. Change
  13. 13. Music That You Can Dance To
  14. 14. So Important
  15. 15. Singing In The Shower (with Les Rita Mitsouko)
  16. 16. National Crime Awareness Week (Psycho Cut)
  17. 17. When Do I Get To Sing 'My Way'
  18. 18. (When I Kiss You) I Hear Charlie Parker Playing
  19. 19. Let's Go Surfing

CD3

  1. 1. Pulling Rabbits Out Of A Hat
  2. 2. The Calm Before The Storm
  3. 3. It's A Knockoff
  4. 4. The Rhythm Thief
  5. 5. My Baby's Taking Me Home
  6. 6. Suburban Homeboy
  7. 7. Dick Around
  8. 8. Perfume
  9. 9. Islington N1
  10. 10. Good Morning
  11. 11. Lighten Up, Morrissey
  12. 12. Two Hands, One Mouth
  13. 13. Piss Off (Sparks Demo)
  14. 14. Johnny Delusional
  15. 15. Missionary Position
  16. 16. Edith Piaf (Said It Better Than Me)
  17. 17. I Wish You Were Fun
  18. 18. Check Out Time 11am

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4 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Now that I own the BBCeeeee ♥

    Fehlt ja komplett :(

  • Vor 5 Jahren

    Hammerband! Episch, legendär, catchy, gewitzt, komisch und virtuos! Und: Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wem ich sie empfehlen kann.

    • Vor 5 Jahren

      Ich würde sagen: So ziemlich jedem, der im Allgemeinen was mit Indie-Pop-Rock anfangen kann, oder? Es ist mbMn ja gerade die große Qualität der Band, bei allen smarten Texten immer die Priorität auf Ohrwurm zu haben. Ich kenne die Band zwar selber erst seit dem hiesigen Meilenstein (Asche auf mein Haupt), aber in meinem Umfeld war die Trefferquote auf Empfehlung bisher sehr hoch, was ich weiß Gott nicht von allen meinen Lieblingsacts behaupten kann :D

    • Vor 5 Jahren

      Da hatteste Glück. Russells geniale Stimme ist gewöhnungsbedürftig und wenn man die Ironie nicht begreift, kann man sie auch furchtbar finden. Obwohl jede Platte mindestens drei geile Songs hat.

  • Vor 5 Jahren

    Ich liebe die Sparks ..aber wozu laufend irgend eine Best of Zusammenstellung raus bringen ?
    es gib schon :
    2018 - Stretched (The 12" Mixes 1979-1984) mit 13 Songs
    2018 - The Best & The Rest Of The Island Years 74-78 mit 24 Songs
    2013 - New Music for Amnesiacs- Essential Collection (4 CD deluxe Version mit 80 Songs)
    2012 - Shortcuts The 7 Inch Mixes [1979-1984] (2 CD mit 29 Songs )
    2012 - Extended The 12 Mixes [1979-1984] (2 CD mit 17 Songs)
    2005 - Extras ( Singles Compilation Bootleg) (2 CD mit 31 Songs)
    2002 - The Best Of mit 20 Songs
    2000 - The Best Of Sparks mit 21 Songs
    1995 - The Ultimate Hits Of Sparks №1 In Heaven mit 17 Songs
    1993 - The Hell Collection mit 20 Songs
    1993 - The Heaven Collection mit 18 Songs
    1991 - Profile: The Ultimate Sparks Collection (2 Cd mit 40 Songs)
    1990 - Mael Intution - The Best Of Sparks 1974-76 mit 19 Songs
    und das ist nur ein Teil der Compilations die auf dem Markt sind

    • Vor 5 Jahren

      Hier die Tracklist de 4 CD Version New Music for Amnesiacs:

      Trackliste
      1-01 Wonder Girl 2:19
      1-02 Roger 2:33
      1-03 High C 3:08
      1-04 Girl From Germany 3:29
      1-05 Batteries Not Included 0:47
      1-06 Whippings And Apologies 4:56
      1-07 This Town Ain't Big Enough For Both Of Us 3:05
      1-08 Amateur Hour 3:35
      1-09 Equator 4:41
      1-10 Talent Is An Asset 3:20
      1-11 Barbecutie 3:07
      1-12 Propaganda 0:22
      1-13 At Home At Work At Play 3:07
      1-14 Never Turn Your Back On Mother Earth 2:28
      1-15 Something For The Girl With Everything 2:16
      1-16 Alabamy Right 2:09
      1-17 Hospitality On Parade 3:58
      1-18 Happy Hunting Ground 3:42
      1-19 Looks, Looks, Looks 2:33
      1-20 Get In The Swing 4:07
      1-21 Miss The Start, Miss The End 2:47
      1-22 Big Boy 3:28
      1-23 Nothing To Do 3:07
      1-24 Looks Aren't Everything 3:26
      1-25 Tearing The Place Apart 3:36
      2-01 Goofing Off 4:24
      2-02 Over The Summer 3:48
      2-03 The Number One Song In Heaven 7:28
      2-04 Beat The Clock 4:21
      2-05 Tryouts For The Human Race (Unreleased Version) 5:28
      2-06 When I'm With You (LP Single Version) 4:05
      2-07 Young Girls (LP Single Version) 3:52
      2-08 Tips For Teens 3:33
      2-09 Funny Face 3:26
      2-10 I Married A Martian 5:11
      2-11 Angst In My Pants 3:28
      2-12 I Predict 2:53
      2-13 Mickey Mouse 3:17
      2-14 Eaten By The Monster Of Love 2:59
      2-15 Cool Places 3:24
      2-16 Popularity 3:52
      2-17 I Wish I Looked A Little Better 2:58
      2-18 Pretending To Be Drunk 3:39
      2-19 A Song That Sings Itself 4:28
      3-01 Music That You Can Dance To 4:22
      3-02 Change 5:25
      3-03 Let's Get Funky 6:06
      3-04 Singing In The Shower (With Les Rita Mitsouko) 4:24
      3-05 So Important 4:31
      3-06 A Walk Down Memory Lane 4:52
      3-07 Madonna 4:37
      3-08 National Crime Awareness Week (Psycho Cut) 3:29
      3-09 Gratuitous Sax & Senseless Violins 0:30
      3-10 When Do I Get To Sing "My Way" 4:37
      3-11 (When I Kiss You) I Hear Charlie Parker Playing (Radio Edit) 3:46
      3-12 Tsui Hark (Feat. Tsui Hark & Bill Kong) 4:31
      3-13 Let's Go Surfing 5:02
      3-14 Propaganda 2:35
      3-15 Pulling Rabbits Out Of A Hat 3:35
      3-16 This Town Ain't Big Enough For Both Of Us (With Faith No More) 2:59
      3-17 Bullet Train 4:20
      3-18 It's A Knockoff 3:41
      3-19 Calm Before The Opera 3:05
      4-01 Concerto In Koch Minor (Wunderbar) 3:48
      4-02 The Rhythm Thief 5:19
      4-03 How Do I Get To Carnegie Hall? 3:51
      4-04 My Baby's Taking Me Home 4:43
      4-05 Suburban Homeboy 2:57
      4-06 I Married Myself 4:58
      4-07 Dick Around 6:36
      4-08 Perfume 5:00
      4-09 The Very Next Fight 5:19
      4-10 Metaphor 4:03
      4-11 As I Sit Down To Play The Organ At The Notre Dame Cathedral 7:04
      4-12 Good Morning 3:54
      4-13 Lighten Up, Morrissey 4:15
      4-14 Strange Animal 5:47
      4-15 Photoshop 4:01
      4-16 I've Never Been High 4:31
      4-17 I Am A Bookworm 0:33
      5-01 Islington N1 2:34
      5-02 Two Hands One Mouth 5:25