laut.de-Kritik

Wirklich guter Rock-Kitsch mit brennender Seele.

Review von

Die Nostalgie, mit der Steve Perry verflossene Liebesbeziehungen aufarbeitet, trifft auf seinem dritten Soloalbum "Traces" den altmodischen Rockballaden-Stil, der in den 80ern seine Blütezeit hatte. Der ehemalige Journey-Sänger spielte sich damals mit Songs wie "Don't Stop Believin'" oder "Oh Sherrie" schmachtend ins kollektive Gedächtnis.

Wer so hoch steht und mit 69 Jahren nichts beweisen muss, kann tief fallen. Tatsächlich provoziert sein neues Album "Traces" einige Kritik. Es ist - mit einer Ausnahme unter zehn Songs - ein (reines) Balladen-Album. Neun Balladen können sich lang und langsam, bisweilen ermüdend anfühlen – wobei diese hier fast alle als brillante Kompositionen auffallen. Die Texte kann man als einfach gestrickt abtun, wobei die Freude (bei mir) überwiegt, dass Perry klar und leicht verständlich formuliert.

Seine Botschaften sind positiv und international gut hörbar, meistens sogar ohne platt zu sein. Süßlichkeit durchzieht das gesamte Werk, also alle zehn Songs – und doch erfordert die Stilrichtung AOR (Adult Oriented Rock) genau das. Steve Perry besetzt sogar eine Marktnische, denn fast alle Rockballaden in heutigen Radioprogrammen datieren aus dem letzten Jahrhundert. Klasse, wenn jemand Nachschub liefert!

Dieser Nachschub ist handwerklich super gemacht, die Keyboards auf "Easy To Love" erklingen perfektionistisch gespielt. Dallas Preston Kruse stand an den Tasten der Hammondorgel. Trotz aller Lieblichkeit: Auch der Kunstanspruch der gediegenen oder gehobenen Synthie-Ballade erfüllt sich auf "We Fly". Eine sphärische Kaltluftfront bläst aus dem Synthesizer, ein Video oder Konzert mit viel Kunstnebel würde dazu passen, und eine Stimmung wie beim Intro zu Pink Floyds "Wish You Were Here" baut sich auf. Der ein oder andere E-Gitarren-Heul-Sirenenton gelingt sehr schön. Trotz des Tänzelns mit einem Bein auf der Schwelle zum Kitsch wirkt gerade dieser Abschlusstrack sehr seriös. Die zuckrigen Melodien und Texte hat Steve Perry hörbar professionell und mit viel Erfahrung entworfen.

Mit dem etwas schneller gespielten Gitarrentrack "Sun Shines Gray" scheint er auf den US-Markt und dortige Geschmacksnormen zu zielen. Die Ähnlichkeit zum von Western-Style-beeinflussten John (Cougar) Mellencamp fällt auf. Bei uns trifft "Traces" ebenfalls einen Nerv: Denn wer Journey gerade wegen ihres Sängers mochte, der findet die sehr einzigartige, helle, ausdrucksstarke, flexible und raue Stimme Steve Perrys hier wieder. Sie steht für Romantik, für den Mut zum Ausdruck von Gefühlen, und sie steht zudem ein bisschen für Unauffälligkeit.

Wer also findet dass Bryan Adams zu akustisch, zu verspielt, zu eindeutig und zu wenig rockig ist und bei ihm der Gesang und die Show-Personality zu weit im Vordergrund stehen, der bekommt bei Steve Perry die unaufgeregte Variante. Die Songs entwickeln sich ruhig. Sie nehmen sich viel Zeit, und auch für Keyboard-Einleitungen und E-Gitarren-Soli bleibt Spielraum, während die Stimme eben eine von mehreren Zutaten ist. Soul-Legende Booker T. spielt auf "No More Cryin'" die Hammondorgel, auch Klassik-Instrumente (Tuba, Cello, Horn) kommen viel zum Einsatz. Sie nerven nicht, aber sie rücken die Stimme an die Seite, und das ist okay.

Als Highlights erweisen sich "Easy To Love", "No Erasin'" und "You Belong To Me". "Easy To Love" wird sich wohl als zeitloser Tune herausstellen. Das Bekenntnis "You and I are only stardust" leitet einige schöne, nachdenkliche Minuten über Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit von Glück und Leben ein; wir sind nur Chemiepartikel, brauchen uns nicht so wichtig zu nehmen – eigentlich eine entspannende Botschaft. "No Erasin'" überzeugt als Song über Treue, über das Aufhören nach dem perfekten Partner zu suchen, weil die Erinnerung zwei Menschen zusammenschweißen kann: "It's been so long since we're together in the backseat of your car". "You Belong To Me" erinnert von der Machart her an einige der (wenigen) großen US-Rockballaden der '90er, zum Beispiel Collective Souls "Shine" oder "Amy Hit The Atmosphere" von den Counting Crows.

Sehr klar behandelt "Traces" die Liebe, die Treue und die Romantik, und das wird ermüdend – gerade die letzten beiden Songs sind zudem extrem langsam. Und ob "I Need You" von den Beatles hier ein gut gewähltes Cover ist? Ich finde nicht - doch originell ist es.

Perrys Gesang in Falsett-Höhen auf "We're Still Here" und die Konsequenz, mit der er bei diesem Album nie auf den Sound der Zeit 2018 Rücksicht nimmt, zeigen eine große Stärke: Steve Perry ging sehr besonnen an diese Platte heran. Selbst wenn sie speziell etwas für Fans von Rockballaden ist, verleiht ihr das souveräne Auftreten Perrys etwas Strahlendes und Majestätisches.

Trackliste

  1. 1. No Erasin'
  2. 2. We're Still Here
  3. 3. Most Of All
  4. 4. No More Cryin'
  5. 5. In The Rain
  6. 6. Sun Shines Gray
  7. 7. You Belong To Me
  8. 8. Easy To Love
  9. 9. I Need You
  10. 10. We Fly

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