13. Juni 2019
"Bruce hat immer oberste Priorität"
Interview geführt von Markus BrandstetterSteven Van Zandt ist zur Zeit mit seinem Soloprojekt Little Steven & The Disciples Of Soul und dem Longplayer "Summer Of Sorcery" auf Tournee. Wie es aussieht, kehrt er aber bald schon zu seiner Stammband und seinem Kumpel Bruce Springsteen zurück.
Die einen kennen ihn als Sideman von Bruce Springsteen in der E Street Band. Für andere ist Steven Van Zandt in erster Linie Silvio Dante, der Consigliere von Tony Soprano in der legendären TV-Show "The Sopranos". Wiederum andere kennen ihn vielleicht in erster Linie als Mafiaboss im Zeugenschutzprogramm Giovanni "Jonny" Hendriksen in der leider viel zu früh abgesetzten Show "Lilyhammer".
Zur Zeit ist Van Zandt aber vor allem eines: Frontman der Disciples of Soul, mit denen er vor kurzem den Longplayer "Summer of Sorcery" veröffentlicht hat. Wir trafen Little Steven zum Gespräch in Berlin.
Als ich dich das letzte Mal getroffen habe, hattest du gerade mit "Soulfire" dein erstes Album in 18 Jahren veröffentlicht und angedeutet, dass es bis zum nächsten nicht ganz so lange dauern würde. Jetzt bist du mit "Summer of Sorcery" zurück, für das du seit Ewigkeiten wieder einmal ganz neue Songs geschrieben hast. Wann wurde dir klar, dass du dieses Versprechen wahrmachen wirst?
Es passierte circa, nachdem ich ein Jahr mit "Soulfire" auf Tour war. Ich wusste nicht, ob ich das überhaupt kann, um ehrlich zu sein – neue Musik zu schreiben. Ich hatte so lange nichts gemacht. Ich hatte dazwischen zwar den "Lilyhammer"-Score veröffentlicht, aber war ja ein ganz anderes Paar Schuhe. Ich wusste einfach nicht, was passieren wird. Nach einem Jahr auf Tour kamen die Ideen plötzlich. Ich denke, dass ich das der Band verdanke. Bald sind es drei Jahre, in der wir in derselben Besetzung unterwegs sind. Das macht einen riesengroßen Unterschied. Das gibt dir ein Fundament, von dem aus du dich entwickeln kannst. Für mich ist das Album ein großer Durchbruch, denn bis hin zu "Soulfire" waren alle Alben sehr autobiographisch, sehr politisch. Ich wollte von beidem weg. Ich hatte genug von mir – und das mit der Politik ist heute sowieso ganz anders als damals. In den 1980ern lief alles in der Politik sehr versteckt ab und man musste gewisse Dinge eben beleuchten. Heute ist alles in your face, 24/7. Alles ist so offensichtlich, du kannst all dem gar nicht mehr entfliehen. Meine heutige Aufgabe ist, den Leuten eine Zufluchtsstätte zu geben, ihnen eine Pause von all dem zu ermöglichen. Bei den Shows nehmen wir sie auf eine zweistündige Reise mit und geben ihnen die spirituelle Ermutigung, die wir alle in diesen verrückten Zeiten dringend gebrauchen können.
Wie nimmst du das politische Klima zur Zeit wahr?
Weißt du, ich denke, wir sind in einem neuen dunklen Zeitalter. In so einer schlechten Form habe ich die Welt nie gesehen und ich glaube nicht, dass sich das bald ändert. Wir haben jetzt fünf, zehn Jahre lang diesen Wahn aus Nationalismus mit religiösem Extremismus. Was für eine Kombination das ist. Von überall kommen schlechte Neuigkeiten. Überall erstarken die Rechtsparteien in Europa, Großbritannien, Frankreich, Italien ... Wie ich immer zu sagen pflege: Wenn die Guten an der Macht sind und ihren Job vermasseln, dann kommen die Schlechten. Und genau das passiert gerade. Die Bad Guys sind dran – und sie werden das eine ganze Zeit lang sein. Ich fühle mich, als würden wir uns rückwärts bewegen.
"Ich werde in wenigen Monaten mit Bruce sprechen"
Du wurdest als Consigliere von Bruce Springsteen in der E Street Band berühmt – jetzt bist du wieder vermehrt als Bandleader und Frontman unterwegs. Worin liegt für dich der größte Unterschied zwischen diesen Rollen?
Die Shows sind physisch natürlich anders, wenn du Frontmann einer Band bist. Du arbeitest härter. Du hast keine Pause, du stehst dauernd im Rampenlicht. Das ist die erste Überraschung, die dir bevorsteht. Und musikalisch ist es natürlich auch anders: Ich spiele meine eigene Musik und nicht die von Bruce. Ich liebe es, Liveshows zu produzieren, das ist für mich das Schönste. Wir haben jetzt keine Riesenproduktion, aber wir haben schon was auf die Beine gestellt. Ich liebe es, die Songs zu arrangieren, die Abfolgen, die visuellen Aspekte. Ich liebe es zu produzieren: Radioshows, Platten, ich habe auch eine Broadway-Show gemacht. Aber Liveshows zu machen, das mag ich wirklich am meisten. An den physischen Teil musst du dich gewöhnen. Du musst auch deine Identität ändern, aber das ist für mich kein großes Problem. Ich bin ganz schön schizophren, habe acht oder neun Persönlichkeiten, die in mir schlummern. Eine davon ist ein Frontman. Es braucht immer Jahre, bis man wieder ganz zu dieser Person wird – ich bin gerade auf halbem Weg dorthin. Es ist eine ganz schöne Reise, aber sie ist es wert. Ich komme gerade wieder in Form, das muss ich, wenn ich überleben will. Mal sehen, was passiert (lacht). Es ist ein ganz anderer Job – und ich mag sie beide gerne.
Du hast ja etwas Bemerkenswertes geschafft: Du bist sowohl als Musiker als später auch als Schauspieler durch "The Sopranos" und "Lilyhammer" sehr erfolgreich geworden. Wenn du auf der Straße angesprochen wirst - wollen die Leute dann eher mit Little Steven dem Rockstar oder mit Silvio Dante beziehungsweise Frankie "The Fixer" Tagliano alias Giovanni "Jonny" Hendriksen sprechen?
Das ändert sich stündlich. Es kommt immer gerade drauf an, was zu der Zeit in der Stadt passiert. Zum Jubiläum von "The Sopranos" waren wir omnipräsent – da wurde ich sehr oft auf The Sopranos angesprochen. Jeden Tag entdecken neue Leute "Lilyhammer", das ist auch toll. Und wenn man in einer Stadt spielt, dann sind die Leute natürlich auf die Musik aus. Mir ist alles recht – die Leute sagen aus mehreren Gründen 'Hallo' und das ist nett von ihnen.
Wird man dich wieder einmal in einer TV-Serie zu sehen kriegen? Und wann steht die nächste Tour mit Bruce Springsteen und der E Street Band an?
Diese zwei Fragen hängen sehr voneinander ab. Ich werde in wenigen Monaten mit Bruce sprechen, was er machen will. Wenn er möchte, dass es wieder losgeht, dann bin ich dabei. Bruce hat bei mir immer oberste Priorität. Und wenn er doch nicht will, werde ich versuchen, eine TV-Show reinzuschummeln. Wir stehen zwar am Anfang einer neuen Ära meiner Band The Disciples Of Soul, aber ich hätte gerne sechs Monate Zeit, um eine Fernsehshow zu machen. Dann kehre ich zu den Disciples zurück – oder eben zu Bruce. Ich glaube, gegen Ende dieses Sommers müssen wir finale Entscheidungen treffen. Aber mit diesen drei Dingen habe ich sicher mehr als genug zu tun.
"The Sopranos war die großartigste Schauspielschule der Welt"
In "The Sopranos" warst du der Consigliere von Tony Soprano, in "Lilyhammer" warst du selbst der Boss. Würdest du wieder einen Mafioso spielen wollen?
(Lacht) Weißt, du ... die Leute sehen mich gerne in dieser Rolle, also würde ich es nicht ausschließen. Rein von einem schauspielerischen Standpunkt hätte ich nicht einmal "Lilyhammer" machen sollen, ich habe ja zehn Jahre lang Sopranos gemacht und bin dann schon wieder in die Rolle eines Wise Guys geschlüpft. Aber "Lilyhammer" hatte einfach ein so anders Setting, dass ich dachte, okay, mache ich das. Es ist die Arbeit die zählt – ob man mich jetzt für einen vielschichtigen Schauspieler hält, ist mir wirklich egal. Ich habe zur Zeit fünf Drehbücher am Tisch, in einem davon bin ich ein Wise Guy – ein ganz anderer als zuvor, auch wenn sie immer gleich aussehen (lacht). In einem anderen bin ich ein jüdischer Wise Guy – und bei den anderen Drehbüchern geht es um ganz was anderes. Es sind auch weitere Angebote da, von denen noch keine fertigen Drehbücher existieren. Am liebsten würde ich meine eigene Show erschaffen. Letztes Jahr hatte ich ein Angebot, aus dem dann aber leider doch nichts wurde. Wenn das doch noch klappt, wäre das toll – sonst mache ich eben etwas anderes. Und wenn Bruce tatsächlich wieder touren will, dann könnte das auch wieder ein Jahr oder zwei dauern. Die TV-Karriere muss also vielleicht bis 2022 oder 2023 warten.
Die Arbeit mit Bruce passiert also immer eher kurzfristig?
Ja, schon – aber heutzutage ist es schwerer geworden, etwas ohne großen Vorlauf zu machen. Man muss planen, die Stadien und Arenen buchen, oder wo auch immer wir eben spielen. Es ist eine riesige Operation, braucht eine große Crew. Es läuft mit weniger Vorlauf als bei anderen. Andere planen mit anderthalb Jahren Vorlauf, bei Bruce ist das schon ein ganzes Stück weniger. Aber so sechs bis acht Monate vorher wissen wir dann schon Bescheid.
Wenn du auf deine Karriere zurückblickst – von welchen Erfolgen warst du selbst am meisten überrascht?
Ich erlebe alle paar Jahre eine Überraschung. Die Schauspielerei kam aus dem Nichts. David Chase ["The Sopranos"-Schöpfer, Anm.], was für ein unglaubliches Geschenk er mir gemacht hat. Eine ganz neue Kunstform für mich. "The Sopranos" war die großartigste Schauspielschule der Welt für mich. Und auch das hier ist für mich überraschend. Irgendein Kerl hat mich gebeten, eine Band zusammenzustellen und auf seinem Blues-Festival zu spielen. Überraschenderweise konnte ich mich mit meinem musikalischen Lebenswerk wieder verbinden. Nach den ersten fünf Solo-Alben dachte ich, ich wäre fertig damit. Ich dachte, dass ich gesagt hätte, was ich sagen wollte und gelernt, was ich lernen wollte. Ich dachte nie daran, ein weiteres Soloalbum zu machen. Das kam mir nie in den Sinn. Das war völlig aus dem Blauen heraus - eine Überraschung ... und was für eine!
Jetzt mal ehrlich: Abgesehen von dir, wer ist der größte Consigliere im Rock'n'Roll?
Im Rock'n'Roll? (Überlegt). Oh. Das weiß ich nicht, ich bin schwer zu schlagen (lacht). Gute Frage. Früher vielleicht Bobby Neuwirth bei Bob Dylan. Sonst fällt mir niemand ein.
Wie definierst die Rolle als Consigliere in der Musik?
Sagen wir mal: Als Freund, als Berater. Bobby Neuwirth war für Dylan ein Freund, auf den er sich verlassen konnte. Auf dessen ehrliche Meinung er zählen konnte. Das ist der Trick: Du musst ehrlich sein. Manche Leute wollen das aber nicht.
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