laut.de-Kritik
Selten hat jemand seine Songs derart schamlos entkernt.
Review von Alexander CordasDie Vorzeichen für ein rundes, in sich stimmiges Werk sind denkbar schlecht. Weder stilistisch noch textlich zieht sich ein roter Faden durchs Album. Die Stimmung zeugt eher von einem heterogenen Charakter von Steven Wilsons erstem Solo-Ausflug.
Dennoch führt er diverse musikalische Ansätze und Herangehensweisen zu einem fließenden und homogenen Ganzen zusammen. Zumindest steht der Hörer unter diesem Eindruck, wenn die zehn Songs des Albums wieder der Stille Platz machen.
Mühsame Konstruktion, Dekonstruktion und Improvisation buhlen um die Gunst der Melodien, die Wilson im Verlauf des Albums verstreut. Das Spielen mit den Gegensatzpaaren bereitet dem Briten diebische Freude. Monotonie und Düsternis stehen scheinbar unvereinbar neben sprudelnder Abwechslung und ausufernder Harmonie, paranoide Klangskulpturen neben vertonten Gänseblümchenwiesen.
Da greift Steven wie selbstverständlich in die Mottenkiste seiner eigenen musikalischen Vergangenheit, wenn Porcupine Tree- oder Blackfield-Harmonien neben nervenzerrender Drone Noise der Bass Communion stehen. Geht nicht? Aber hallo! Mit angeprogten Rockismen nimmt Wilson den Hörer bei der Hand und schickt ihn durch dunkle Täler und lichte Höhen der emotionalen Befindlichkeit.
Wer hier nach dem zugrundeliegenden Konzept sucht und dem Gitarristen eine mangelnde Stringenz im Schaffen vorwerfen möchte, kann das gerne tun. Verkennt dabei jedoch, dass genau hinter der vermeintlichen Planlosigkeit die Essenz der Berg- und Talfahrt steckt. Kompositorisch lugt der Wolf im Schafspelz immer wieder um die Ecke.
Den zuerst zart aufgebauten Rotkäppchen-Tendenzen macht Wilson mit einem Mal den Garaus, drückt ihnen die Kehle zu und meuchelt sie hinterrücks, wenn er mit einem Mal den Bremsklotz weg kickt und im Stile eines Berserkers eine bedrohliche Krachigkeit vom Stapel lässt, die alles Pastellfarbene niedermetzelt. Wie herrlich. Selten hat jemand seine Songs derart schamlos entkernt.
Den ungezwungenen Charakter des Albums spiegelt am besten das jazzig-improvisierte "No Twilight Within The Courts Of the Sun" wieder. Knapp schrammt der Musiker hier am Tod diverser harmoniesüchtiger Nervenenden vorbei. Erst zum Ende hin entfaltet sich ein monströser Song, der die Atmosphäre des Albums definiert.
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