laut.de-Kritik
Keine Zeit zu sterben: Ein stimmiges Konzept aus Licht, Bild und Ton.
Review von Alexander CordasMit "Grace For Drowning" begab sich Steven Wilson erwartungsgemäß auf Tour. Zweimal zog es ihn durch die Welt. Ein erstes Dokument seines Soloausfluges 2011 erschien als "Catalog / Preserve / Amass" über Mailorder in einer 3.000er-Auflage. Jetzt kommt die breite Masse dran.
"Get All You Deserve" wurde in Mexiko mitgeschnitten. Zur Stadt und den Menschen hegt Wilson ein recht inniges Verhältnis. Kein Wunder, diente der Moloch schon zu "Insurgentes"-Zeiten als Inspirationsquelle. Die Vorgaben für den Mexiko-Gig sind geradezu ideal. Wilson besitzt - trotz lediglich zweier Alben - einen Solo-Backkatalog der Extraklasse.
Die Zusammenstellung seiner Begleitband bleibt über jeden musikalischen Zweifel erhaben. Neben dem bulgarischen Sessionmusiker Niko Tsonev und dem Saxophonisten Theo Travis sind dies vor allem Ex-Kajagoogoo-Basser Nick Beggs, Fusion-Pianist Adam Holzman und das deutsche Schlagzeug-Ungetüm Marco Minnemann. Die letztgenannten drei bilden die tragenden Säulen des Sounds, auf dem sich Wilson austobt.
Dabei verbinden sich die beiden Alben zu einem wunderbar homogenen Ganzen, das trotz der breiten stilistischen Vielfalt wie aus einem Guss klingt. So mutiert das Material von "Grace For Drowning" zu einer konsequenten "Insurgentes"-Fortsetzung, das in Mexiko seine cineastische Umsetzung erfuhr.
Wie ernst das Publikum Wilson nahm, wird allerspätestens bei Track "Raider II" offenbar. Der Musiker bedankt sich für den schönen Abend und kündigt den Song an mit der Bitte, zu Beginn leise zu sein. Mit fast schon beängstigendem Gehorsam kommt das Auditorium dieser Aufforderung nach. Kein Pieps erklingt während der instrumentellen Pausen zu Beginn und auch nach 14 Minuten, wenn es abermals ruhiger zugeht, stört kein rülpsender Selbstdarsteller.
Nach diesem Longtrack beschließt "Get All You Deserve" die gleichnamige Disc und lässt keinerlei Wünsche offen. Sowohl der Sound als auch die von Lasse Hoile in Szene gesetzten Bilder sind ein Augen- und Ohrenschmaus. Einen Wilson-Overkill sieht man hier nicht. Er lässt seinen famosen Mitstreitern ausreichend Raum und Zeit, um ebenfalls zu glänzen. Das nutzt vor allem Beggs mit einer Wahnsinnsvorstellung am Bass/Chapman Stick und einer ganz famosen Background-Stimme. Das herzzerreißende "Deform To Form A Star" profitiert davon am meisten.
Das optische Gimmick mit dem halbstransparenten Vorhang vor der Bühne fügt sich stimmig in das Gesamtkonzept aus Licht, Bild und Ton. Selbst das elend lange Intro, bei dem fast eine Stunde lang Drone-Sounds vom Band ertönten, ist zu Beginn noch zu sehen. Hoile fängt eine Gruselstimmung à la "The Ring" ein, die einem die Haare zu Berge stehen lässt, wenn die Person vom Strand plötzlich dem Zuschauer ins Gesicht blickt.
Wer die beiden Solooutputs goutieren konnte, bekommt hier das Sahnehäubchen präsentiert, das kaum leckerer schmecken könnte. Und als wäre das noch nicht genug, hat der Mann schon wieder einen Pfeil im Köcher. Das dritte Soloalbum kommt im nächsten Frühjahr und die Tour dazu ist ebenfalls schon gebucht.
Auf der Platte wird auch der Song "Luminol" vertreten sein, der ebenfalls auf der Disc zu hören ist. Wenn dereinst der Sensenmann bei ihm vorbeischauen sollte, dürfte Wilson ihn wohl wieder weg schicken, denn zum Sterben hat er einfach keine Zeit.
22 Kommentare
Ich frage mich sehr, warum die DVD nur vier Sterne bekommt. Zum einen hätte sie den fünften mehr als verdient, zum anderen liest sich auch die Kritik so.
Wie dem auch sei: Ein Meisterwerk! Ich bin so gespannt auf die neue Platte!!
Sowas aber auch!
argl
Ach, und seit ich den Film 'Ex Drummer' sah, empfahl ich beim übern' Weg laufen eines solchen stets geflissentlich, sich selbst künftig besser nicht mehr solchen zu bezeichnen.
@soulburn (« Ach, und seit ich den Film 'Ex Drummer' sah, empfahl ich beim übern' Weg laufen eines solchen stets geflissentlich, sich selbst künftig besser nicht mehr solchen zu bezeichnen. »):
du liebe güte, hab mir grad den trailer angesehen, was ist das denn? *schock*, schau ich mir aber nicht an sowas, hab ein zartes gemüt. wegen dem DT-gewichse geb ich dir recht, PT und co. sind mir die besseren DT weil sie noch immr noch 'songs' schreiben u. spielen, statt wie bei DT, wo mir die angeberei mittels instrumenten-wix doch zu stark überwiegt
Ein ziemlich mieser Film. 'Mies' im Hinblick auf die meisten denkbaren Bedeutungen dieses Wortes.
Hrn. Minnemanns Arbeiten kenn ich zum Teil, der war später bei Freaky Fukin Weirdoz (German Crossover before it was cool!) und noch später solo, ja - ein Tier, eben.
Und der drummt hier für Wilson? Schade, dass die DVD außerhalb des aktuellen Planbudgets liegt.