laut.de-Kritik
Atmosphärischer Post-Hardcore mit Tiefgang.
Review von Manuel BergerEigentlich sollte man meinen, Stick To Your Guns hätten in ihrer musikalischen Ecke längst alles gesagt. Neue Bereiche erkunden die Kalifornier auch auf "True View" nicht. Trotzdem klingen sie zu keiner Sekunde abgestanden, sondern erhalten sich eine erfreuliche Frische.
Das mag zum Teil daran liegen, dass Sänger Jesse Barnett größtenteils auf plakative Lyrics verzichtet, wie man sie häufig im wahlweise die Gesellschaft oder persönliche Dramen auseinandernehmenden (Post-) Hardcore-Tümpel findet. Denn in diesem tummeln sich Stick To Your Guns zweifellos, wie die einleitende Telefonansage nahelegt: "You just figure it out your own way / Because in the end, no matter how and in which direction this goes – you're the only Person that can do it." Allerdings schwimmen sie sehr weit oben.
Anhand des Kontextes lässt sich bereits die Intro-Zeile zweideutig verstehen. Denn natürlich kann man auch das Album auf seine eigene Weise auslegen. Interpretationsspielraum lässt Barnett genug. "Cave Canem" etwa funktioniert sowohl als politische Analyse als auch als innerer Konflikt: "We can't hide in the wake of this so you better beware / You may have your reasons but that doesn't make them right."
Musikalisch herrscht grundsätzlich eine recht aggressive Stimmung. Bisweilen schrammen die Gitarristen mit eingestreuten Melodien und vor allem Disharmonien haarscharf am Metalcore vorbei. Dank knallharter Produktion kommen ihre Riffbrecher wunderbar zur Geltung. Die Frage, ob man Ähnliches möglicherweise schon gehört hat, stellt sich dank der überzeugten Vortragsweise überhaupt nicht. Außerdem geht es Stick To Your Guns stets auch um Atmosphäre, nicht nur um tumbe Prügelei. Gleich im Opener "3 Feet From Peace" demonstrieren sie (und besonderss Drummer George Schmitz), wie man einer an sich simplen Power-Chord-Passage Epik verleiht.
In den Refrains schlägt die Band oft die Alternative-Route ein und rückt in die Nähe von Rise Against. Die Fans wollen schließlich auch ab und zu mal mitsingen. Also lässt Barnett, der sonst alles in Grund und Boden brüllt, hier Clean-Gesang und catchy Meldebögen zu. Einen eher ungewöhnlichen Ansatz verfolgt er in der Halbballade "The Inner Authority: Realization Of Self". Trotz teils unverzerrter Gitarre behält Barnett seinen harschen Stil durchweg bei und sorgt so für coole Dynamik. Das Gegenstück zum fast schon filigran ausgearbeiteten Track stellt das direkt im Anschluss folgende "You Are Free" dar: ein kompromissloser Hardcore-Brecher inklusive Gangshouts.
Leider etwas austauschbar gerät der Closer "The Reach For Me: Forgiveness Of Self", der auch stilistisch etwas aus dem Rahmen fällt. Hier verlässt sich Barnett ausschließlich auf seine (vollkommen) klare Stimme und die Instrumentalfraktion nimmt die softe Richtung auf. So entsteht ein kantenloser Alternative Rock-Track. Allerdings bleibt dies der einzige Makel dieser durchweg gelungenen Scheibe.
Noch keine Kommentare