laut.de-Kritik

Nach kuscheligem R'n'B ist 2022 hypnotischer Trip-Hop angesagt.

Review von

Als wir das letzte Mal etwas von Sudan Archives gehört haben, hatte die Welt noch keine Ahnung, dass sie sehr bald in ein neues Zeitalter stolpern würde, in der Umarmungen, Pub-Besuche oder gar Raves alles andere als selbstverständlich sein werden. 2019 war das, kein halbes Jahr vor dem ersten globalen Lockdown, als die aus Ohio stammende Künstlerin ihr Debütalbum "Athena" veröffentlichte.

Nun, im Post-Corona-Zeitalter, legt Sudan Archives ihren Zweitling "Natural Brown Prom Queen" nach. Stark für den Geschmack gesunder Bandscheiben, zu stark verbogen und mit bodenlanger, pinker Rapunzel-Mähne, schickt die omnipotente Musikerin bereits eine subtile Botschaft voraus: Geradlinig läuft hier nix.

Aber das kennt man ja schon von ihr. Bereits mit ihrer EP "Sink" begeisterte die Sängerin, Insturmentalistin und Produzentin mit ihrem verspulten, verkopften Sound, der vor allem mit Wärme und kuscheliger R'n'B-Weichheit überzeugte. Immer dabei: Ihre Geige.

Bei ihrem zweiten Studioalbum wird aber schnell klar: Auf klassische Streichmusik hat die junge Frau keinen Bock mehr. Im Gegenteil - wo bei ihren bisherigen Produktionen die Violine immer klar im Vordergrund stand, nimmt sie auf "Natural Brown Prom Queen" eher eine Statisten-Rolle ein.

Stattdessen bekommen wir komplexe Produktionen auf die Ohren, die vor Vielseitigkeit fast platzen. Vertrakte, wilde Snippets, unendliche Synth-Sphären, eingängige, melodiöse Passagen und eine Vielzahl an Instrumenten füllen die 18 Songs bis unter den Deckel. Fragmentiert und doch kohärent, mal soulig-warm mit poppigen Einwürfen, mal düster trappig, mal hypnotischer Trip Hop, mal Hip Hop aus back in the days, mal zart und sanft, mal düster und treibend. Sudan Archives zaubert aus ihrem Bauchladen für jeden die richtigen fünf Sekunden heraus und kreiert trotzdem ein wohlklingendes, stimmiges Gesamtkunstwerk.

Dabei richten sich ihre Produktionen eindeutig an ein Publikum, das mit verkopfter und somit etwas anspruchsvollerer musikalischer Unterhaltung etwas anzufangen weiß. Von ihren Texten kann man das allerdings nur teilweise behaupten.

Zwar gibt es die klaren, aufgeräumten Songs, die Sudans Potenzial zeigen. So wie der titelgebende Track "Natural Brown Prom Queen (Topless)", der davon handelt, wie die junge Afro-Amerikanerin mit ihrer PoC-Zugehörigkeit und den damit verbundenen Identifikationsmerkmalen hadert. "Sometimes I think that if I was lightskinned / I would get into other parties / win all the Grammies / make the boys happy" Auch "Selfish Soul" handelt davon und Sudan Archives fantasiert darüber, sich ihres wallenden Haupthaars zu entledigen. Auch "Freakalizer" begeistert, wenn auch weniger mit gesellschaftskritischen Themen, so doch mit ihrer subtil und doch sehr deutlich wahrnehmbaren Lust auf Sex.

Die große Mehrheit der Songs befasst sich jedoch eher mit sehr subjektiven Erzählungen aus Sudan Archives jüngeren Erfahrungen. Es geht um den Verrat durch eine Freundin, die Zerrissenheit zwischen ihrem Freundeskreis und ihrer Familie und ein recht intensives und gar nicht mal so gesund klingendes Beziehungsdrama. Die Verszeilen muten teilweise für Uneingeweihte kryptisch an, teilweise auch recht kleinlich oder gar unter die Gürtellinie schießend. "Tell me you're defeated and I be happy with that / Tell me I'm just full of shit and I'll be happy with that" - "Monday, Tuesday, really need to get some sleep / how many times can you hate in a week / No I'm not playin' with the strings / I'm playin' make these bitches go 'cause they hatin' on my -."

Nun ist ja prinzipiell nichts auszusetzen an subjektiver Gefühlsverarbeitung. Auch merkt man, dass "Natural Brown Prom Queen" eine Art Selbsterkennungsphase darstellt, da sie nach dem ganzen Emotions- und Gedankenwirrwarr in den letzten Tönen des Albums feststellt: "I'm going back to Cincinnati". Allerdings reißt der Kontrast, der sich zwischen der verkopften Reife der Produktionen und den dann doch recht banalen Inhalten der Platte auftut, einen recht tiefen Graben auf, der mehr Verwirrung stiftet, als dass er für Inspiration sorgt.

Doch auch trotz der lyrischen Leichte stellt "Natural Brown Prom Queen" ein musikalisches Schwergewicht dar, das definitiv für einige unerwartete Momente sorgt.

Trackliste

  1. 1. Home Maker
  2. 2. Natural Brown Prom Queen (Topless)
  3. 3. Is This Real (Can You Hear Yourself?)
  4. 4. Ciara
  5. 5. Selfish Soul
  6. 6. Loyal (EDD)
  7. 7. OMG BRITT
  8. 8. ChevyS10
  9. 9. Copycat (Broken Notions)
  10. 10. It's Already Done
  11. 11. FLUE
  12. 12. TDLY (Homegrown Land)
  13. 13. Do Your Thing (Refreshing Springs)
  14. 14. Freakalizer
  15. 15. Homesick (Gorgeous & Arrogant)
  16. 16. Milk Me
  17. 17. Yellow Brick Road
  18. 18. #513

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