laut.de-Kritik
Fetter Volltreffer: Satt, bunt, mitreißend, autobiographisch.
Review von Philipp KauseSuzi trägt auf "The Devil In Me" etliches aus ihrer Kindheit zusammen. Was ihre Mutter ihr beibrachte im Zuge einer streng-katholischen Erziehung. Was in Detroit in Form der Riots (Aufstände gegen rassistische Polizeigewalt) in den Sixties los war. Und was die Quatro damals in der 'Motor City' an Soul abbekam.
Soul spiegelt sich auf der neuen CD in etlichen Spielarten: Wenn Vokal-Harmonien im Supremes-Stil sich in schwungvoll gejammte Rock-Riffs und bluesigen Akkorden einbetten, wie in "Betty Who". Oder wenn ein zartes Klavier-Intro die Richtung vorgibt, wie in "My Heart And Soul", und lautmalendes "ooooh-whoooo-whoooo-ooooh" dort kirchlichen Flair zaubert. Und – noch mal mit der Seele im Titel – sobald die Blue Notes die Oberhand ergreifen, und zwar kombiniert mit knallharten Melodic-Power-Metal-Drums, in "I Sold My Soul Today". Während Thundermother daran arbeiten, heute auch so zu klingen, übertrifft sich Quatro mit 70 noch mal selbst.
Auf die Soul-Anteile legt sie allergrößten Wert, wie sie schwärmt: "Eine Million Prozent! Ich bin total heiß auf Motown-Musik, ich liebe liebe liebe Motown, das steckt mir in Herz und Seele. Ich habe jede einzelne Temptations-Tanzroutine einstudiert. James Jamerson, der Bassist der Funk Brothers war immer mein Lieblingsbassist. Wenn man sich mein Album 'The Devil In Me' anhört, wird man Detroit in meinen Basslines heraushören, auch in den Background-Gesängen. Auch die Energie von Detroit kann man leicht wiederfinden: Schwarz/weiß, reich/arm. Ich bin 'The Girl from Detroit City'."
Straighter 70er-Classic Rock wechselt munter mit solchen bluesig-souligen Einspritzern. Ordentlich schnelle, zünftige Stücke mit Gallagher-Schneidigkeit (z.B. "Hey Queenie") prallen gegen stimmungsvolle Balladen. Die rasanten Songs überwiegen zahlenmäßig. Aber hinsichtlich der Wirkung lässt das Album beim Hören ausgeglichen zurück. Es ist zwar nicht das laute Rock-Katharsis-Krach-Album, trotz manch temporeichen Burners (z.B. "I Sold My Soul Today"), dafür sogar feinfühlig bei aller Stringenz. Im Gegensatz zur Vorgänger-LP "No Control" spielt der mit Mississippi-Schwüle gesättigte Bass-Groove keine so dominante Rolle mehr. Obwohl Quatro auch im 57. Jahr ihrer Karriere wieder in die Basssaiten greift.
Suzi findet selbst, dass der neue Longplayer keiner eindeutigen roten Linie folgt – ganz bewusst "ohne Agenda. So lange es nach mir klingt! Wir sagten, 'ok, wir wollen 'No Control' batteln', und da war sehr viel schnelles Zeug drauf. Mein Sohn wollte, dass dieses Album jetzt mindestens genauso wichtig und ground-breaking wird. Mit seiner Vision von dem, wie er mich sieht." Man ließ sich treiben, und packte schließlich die Advents-Single "My Heart And Soul" mit aufs Album. Zu Weihnachten nach Hause zu Angehörigen fahren – das Thema des Songs – war nun auch zum Release an Ostern leider wegen Kontaktbeschränkungen wieder aktuell. Suzi nennt das Lebensgefühl im "lockdown blues" im Song "Get Outta Jail" beim Namen: Den Wunsch, aus Ketten auszubrechen, die einen fesseln.
Jenes Stück stürmt als Hardrock-Stomper nach vorne. Hochtönendes Piano-Stakkato trifft auf Bluesrock-E-Gitarren. Zusammen mit dem Moog-Orgel-getränkten Glamrocker "You Can't Dream It" finden wir hier zwei Tracks auf Basis der typischen Quatro-Song-DNA.
Andere Stücke überraschen hingegen deutlich: So kehrt der Lockdown als textliches Motiv im jazzrockigen "Isolation Blues" zurück. "Do Ya Dance" pflegt einen so flockigen Rhythmus, dass man sich auf einer alten Scheibe von Paul Wellers Style Council wähnte – wäre da nicht Suzis Stimme. Sportlich-quietschige, funkelnde Saxophon-Figuren zeichnen Glitzer in den schnellen Song, und auf einmal scheinen alle Hardrock-Cafés der 80er nebst WOM-Filialen wieder geöffnet, wo solcher Sound die Kassen klingeln ließ. Suzi holt nach, was sie in jener Zeit Mitte-Ende der 80er nicht selbst auf Platte brachte, denn damals veröffentlichte sie keine Musik.
Das hervorragend arrangierte "Love's Gone Bad" fällt in die Kategorien 'Weichspüler mit Wumms' sowie 'Rock mit Souljazz' und wildert geschmackssicher in den Revieren von Joe Jackson, Chicago und Van Morrison.
Der Schlüsseltrack "Motor City Riders" erzählt vom Niedergang des einst vor Arbeitsplatzwachstum strotzenden Industriestandorts Detroit. Suzi singt scheinbar von einem 'Shutdown', tatsächlich aber heißt es "shot down" und dreht sich um die gewaltsamen Konflikte zwischen Protestierenden und Polizei im Juli 1967. "Scary times", wie Suzi sich erinnert. Auch wenn die sozialwissenschaftliche Forschung nie klären konnte, was die gigantischen Gewaltausbrüche und immerhin 7.000 Verhaftungen damals auslöste, spielt gerade die Multi-Kausalität eine immense Rolle.
Detroit als Brennglas: Segregation und Wohnungsbaupolitik, rassistisches Verhalten der Polizei, Obrigkeit versus Arbeiterschaft, schnelle Migration, Vietnamkrieg, Alkohol, Arm-Reich-Spaltung ... Suzi trifft hier den Nerv, indem sie mit der musikalischen Karussellfahrt ihrer Bass-Riffs kenntlich macht: Hier passierte sehr vieles gleichzeitig, und gerade das war 'too much'.
Die LP punktet nicht nur mit vielen solchen starken Zugpferden in der Tracklist. Während bei Rock-Lady Quatro stets ihre ikonische Rolle als Frau am Bass und ihre Coolness im Vordergrund stand, fiel sie bis dato recht selten durch herzergreifenden Gesang auf. Genau den erleben wir jetzt: "Love's Gone Bad" und "In The Dark" reißen stimmlich mit ungehörter Expressivität und interessantem Langziehen von Silben mit. "The Devil In Me" ist alles in allem ein sehr gutes Album für Musikfreaks aller Altersgruppen mit Interesse an handgemachten, authentischen, substanzreichen Rocksongs.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Ist jetzt nicht der Oberhammer. Aber sie hat zehn mal mehr Hoden als z.B. die schwedische Truppe, die hier aktuell gefeiert wurde. Seltsam, daß heute oft die Rentner wilder sind als die Jungspunde.
Liegt daran, dass die Alt-Rockmusiker zumeist noch wissen, wie Rockmusik geht.
Exakt!
Hatte sie schon fast vergessen, alle zehn Jahre mal in die Best-Of reingehört und gut wars. So'ne Scheibe hätte ich ihr nicht zugetraut - besser als alles was sie je gemacht hat und das mit siebzig, Hut ab!