laut.de-Kritik
Ein orgiastischer Schwanengesang.
Review von Markus BrandstetterEs ist ein Schwanengesang, ein Art Abschied. "The Glowing Man" soll das letzte Swans-Album in der aktuellen Inkarnation sein. Es ist das Ende des zweiten großen Bandkapitels, das mit 2010 mit dem Wiederaufleben des 1982 gegründeten Projekts begann. Michael Gira hätte nur schwerlich ein besseres Schluss-Statement unter dieses Kapitel seiner 1982 gegründeten Band setzen können. "The Glowing Man" ist wie gewohnt ein extremes Werk, extrem in Länge, Form, Intensität und Stimmung.
"Cloud of Forgetting" taucht uns in eine sich nach und nach verdichtende Geräuschkulisse, Drones ertönen, eine Akustikgitarre kommt dazu, baut nach und nach auf den selben Moll-Akkord auf. Es ist Rauszögern, eine synkopierte Entfaltung. "I am blind", lamentiert Gira, und zieht das Wort "blind" ganz am Ende wie ein Mantra in die Länge. Die Wolke des Vergessens ist eine düstere, trostlose.
Das zweite Stück, "Cloud Of Unknowing" legt noch eine ganze Schippe drauf. 25 Minuten nimmt es sich Zeit: Dissonanzen, kratzende Saiten, wirres Surren, überall Bedrohung, Unruhe, Hektik. Wir stecken in der Dunkelheit fest, und die Dunkelheit wird immer intensiver, dichter. Unvermittelt kehrt plötzlich kurz Ruhe ein, wenn auch eine dissonante, sinistre Ruhe. Ein kurzes Durchatmen im nicht enden wollenden Irrgarten - und plötzlich wird aus der Geräuschorgie ein Song. Die ersten beiden Songs, so Gira, seien Gebete.
Hier ist es nur konsequent von Gira, einen Gang zurückzuschalten, eine Steigerung nach oben wäre schon ermüdend. "The World Looks Red / The World Looks Black" ist eine Mid-Tempo-Meditation, fußend auf einem Bass-Grundton, der sich die meiste Zeit nicht ändern wird. Das Stückt schleppt sich lange, dann beginnt es unvermittelt zu rennen, nimmt immer mehr an Theatralik und Atemlosigkeit zu. Teile der Lyrics verwendeten Sonic Youth für ihren Song "The World Looks Red" auf ihrem 1983er Longplayer "Confusion Is Sex".
Und dann "People Like Us", kurz und knapp, in viereinhalb Minuten auf den Punkt gebracht. "We're drifting goodbye on a rust colored cloud", singt Gira. Es scheint wie ein linkischer Grabgesang, Gira ist der Totengräber.
CD 2 führt uns direkt zurück in das Dickicht des Irrgartens der ersten beiden Stücke. "Frankie M" verführt mit sirenenhaften Klängen in Mitten all der gespenstischen Leere. Mehr und mehr betrinkt sich das Stück in Geräuschhaftigkeit, ehe es gegen Ende der neunten Minute erneut Songgestalt annimmt. "Live again, live again, rise again", heißt es da. Der Anhaltspunkt des Songkerns bleibt uns diesmal bis zum Ende. Bei Bei "When Will I Return" singt Giras Frau Jennifer.
Das Titelstück "The Glowing Man" ergießt sich wieder in Feedback und Noise, mit 28 Minuten und 50 Sekunden ist es das längste Stück der (auf zwei Alben) aufgeteilten Platte. Es ist erneut ein orgiastischer Höllenritt, eine manische Meditation zwischen Verzweiflung, Erhabenheit und Ekstase. Das Schlagzeug changiert immer wieder zwischen atmosphärischen Cymbals und Blastbeats - letztere so, als wäre "Morgen" längst ein obsoletes Konzept. Hier verwendet Gira eine Passage aus "Bring The Sun" vom letzten Swans-Longplayer "To Be Kind".
Am Ende: Endlich Frieden. Mit "Finally Peace" setzt Gira einen rund sechsminütigen, grandiosen und beinahe euphorischen Schlusspunkt. Swans wird es weiterhin geben, in welcher Form, ist sich Gira nicht sicher. Die aktuelle Version der Swans schickt er jedenfalls mit einem grandiosen, schweren, ausufernden Werk in die Geschichte.
7 Kommentare mit 18 Antworten
absolut großartige trilogie zusammen mit den beiden letzten platten. als künstler wirklich ehrfurcht gebietend.
Yes!
Ein mächtiges, größenwahnsinniges Album, das zu jeder Sekunde seine Krallen ausfahren könnte. Swans halt. Brauche noch ein wenig, um es erstmal in seiner Gänze zu fassen, aber der Erstdurchgang war gewaltig. Der größte Unterschied ist dieses gospel- und gebetsartige vieler Tracks bisher.
Ich bin mit Swans nicht so vertraut, hab das Albumjetzt zwei mal im Stream gehört (bandcamp). Ich denke es braucht ein bisschen; ähnlich mystische, sakrale Stücke habe ich sonst nur im Country/Alternative Gewand von Wovenhand gehört.
The Glowing Man klingt definitiv schon mal sehr interessant, könnte vielleicht ein echter Grower sein. Wie verhält es sich soundtechnisch zu den letzten Alben?
gut erkannt, die ästhetische verwandtschaft wovenhand/swans ist nicht v d hand zu weisen.
Monolithischer, wütender, sperriger, weniger sakral und gebetsartig, würde ich aus dem Bauch heraus sagen. Lohnen sich alle. Brauchen aber ihre Zeit.
In Bezug auf "The Seer" und "To Be Kind". Ich denke, das klassische und "konventionellere" Songwriting findet man auf "The Glowing Man", macht es aber kein Deut schlechter.
ungeachtet der privaten querelen giras brauchen die swans auch mal nen meilenstein in (hoffentlich) nicht all zu ferner zukunft.
rein qualitativ böten sich da ja locker ein halbes dutzend platten an. nimmt man den popkulturellen faktor hinzu, läuft es m.E. auf den killer "children of god" hinaus. "the new mind" und "you're not real, girl" machen den unterschied.
was denkt ihr denn?
ich denke, die salbungsvoll-selbstgerechten Besprechungen der "Meilenstein" (das Wort allein verursacht mir schon Würgereiz) - Kategorie sollten zumindest diese Band verschonen.
nicht persönlich gemeint...
Swans Are Dead als Beispiel für deren unfassbaren Livequalitäten. Waren für mich mehr Live-, als Studioband. Die privaten Querelen um Gira muss eh ein Gericht am Ende klären. Da halte ich mich raus.
Die Vorwürfe sind haltlos!
Gira = Ehrenmord äh Mann.
Wäre für "White Light (...)". Finde, das darf man nicht unterschätzen, ist für mich das Bindeglied zwischen den Schaffensphasen und repräsentiert so vielleicht am besten die ganze Bandbreite dessen, wozu Swans fähig sind.
guter punkt. die ist in der tat extrem stark. aber popkulturell eher ohne meilensteibnwürdige bugwelle. nicht leicht das ganze.
Ja, das stimmt. Meine zweite Wahl wäre deshalb auch "Children of God".
Ich dachte, es spielt nur die persönliche " Bugwelle" für den jeweiligen Autor eine Rolle und die allgemeine Akzeptanz sei Nebensache.
neee, das gibt es zwar auch, aber das ist die zweite, weniger wichtige strömung der definition.
wäre doch lächerlich, das ganze dann "meilenstein" zu nennen. sollte schon ne gewisse relevanz im bereich genre, popkultur, einfluss, pioniertum, eroberung, etc haben. sonst könnte man das ja auch "unsere perlen" nennen und komplett von der musikhistorischen bedeutung abkoppeln.
aber das wäre ja nix.
natürlich macht es auch spaß, bei weltkünstlern etwas zu erwählen, was evtl mal ne andere facette zeigt und nicht gleich auf jedermanns zettel ist. etwa, wie sven sich bei a-ha gegen "hunting" und für den zweitling entschied oder ich mich bei elton john für "madman".
aber das funktioniert nur, wenn man es nicht gehäuft macht. das popkulturelle, kollektive musikgedächtnis will ja auch bedient sein. das ist alles immer ne gratwanderung.
Soundtracks for the Blind?
War nach dem ersten Durchgang skeptisch, irgendwas hat mir gefehlt, aber das, was tonitasten zurecht gebetsartig nennt, hat mich mittlerweile voll in seinen Bann gezogen. Das war zwar auch auf "To Be Kind" schon in Ansätzen da, aber hier ist es voll entwickelt. Sehr stark!
Sehr geiles Teil, hatte meine Probleme anfangs, aber es zieht einen in seinen melancholischen Bann.