laut.de-Kritik
Einfach drauf los! Dream-Pop im Electro-Folk-Gewand.
Review von Magnus Hesse"Think outside the box!" Das heißt zu Deutsch so viel wie: Über den eigenen Tellerrand und den eigenen emotionalen Wust hinwegsehen.
Zwei Wochenlang hat sich Talisco in seinem Pariser Apartment verschanzt, jeden Morgen von neun Uhr an akribisch an seinem Erstlingswerk getüftelt. Diesem Umstand verdanken wir das das Debüt des adretten Franzosen aus Bordeaux: Er hat den Blick ins Dunkel seiner "Black Box" gewagt - und dann aber auch ziemlich schnell wieder darüber hinaus gerichtet, sich aufgemacht.
In der Praxis bedeutet das: Rein ins Studio und raus mit Getöse: "Ich wollte, dass es instinktiv und rau klingt ... Ich nahm einfach die Gitarre in die Hand, spielte und nahm es auf", meint er über die Musik, die er im eigenen Heimstudio in Quarantäne eingespielt hat.
Rastlosigkeit gibt nicht nur den zwölf Tracks das Programm vor, sondern befeuert auch die Schaffenswut während der bewusst begrenzten Entstehungsphase der Langspielplatte: ein Wettlauf, also. Genau so tönt Talisco auch.
Seine Songs, die allesamt kurzatmige Titel tragen, kommen in hippem Elektro-Folk Gewand daher. Dabei verpackt Talisco die seiner Musik innewohnende Schwermut recht luftig und grazil, verliert sich nicht in den Schnörkeln der dick aufgetragenen Produktion.
So klingt das Ganze mal mehr und mal weniger nach Chart-Mucke oder Vodafone-Werbung. Der Vergleich zu Landsleuten wie Woodkid oder Phoenix liegt allerdings keineswegs fern. Auch Taliscos Songs wuchten sich mit pulsierenden, ominösen Drums und schick produzierten E-Gitarren durch die Wüste, die man gemeinsam mit Talisco durchsteppt.
Die ersten drei Lieder inklusive Opener und Single "Your Wish" blasen zum Marsch und rummsen einfach straight durch. Talisco bounct, droppt Beats und versieht sie mit galoppierendem Mumford & Sons-Gitarrenanschlag. Sofort flackern Bilder über die Kopfkino-Leinwand, von Zeitlupenaufnahmen wehender Haare im Sonnenuntergang in Vimeo-Tiefenschärfe-Ästhetik. Was abschreckend klingt, entpuppt sich über weite Strecken als elektrisierendes Treiben, bei dem der Funke unterschiedlich initiiert überspringt.
Selbst das etwas gezähmtere "Sorrow" schiebt eine Bassline vor sich her und pumpt sich peu á peu emphatisierend auf Betriebstemperatur. "This is so wrong", singt Talisco aus seiner immer heiser klingenden Kehle auf den fulminanten Downbeat und erinnert dabei an einer Stelle sogar ein winziges bisschen an Freddie Mercury.
"So Old" gerät nicht weniger hymnisch, aber reduziert auf schlichte Akustik-Besetzung mit nur Gitarre und Gesang. Da wird dann für einen Moment inne gehalten: "I will miss you", schmachtet Talisco dahin.
In "Bring Me Back" und "Glory" löst der rapide hochgeschraubte Mitklatsch und –Singfaktor die gezückten Feuerzeuge wieder ab. Es fällt äußerst schwer, bei diesem Album nicht zumindest mit dem großen Zehen im Takt zu wippen. Der einigt sich meistens gut auf ein durchgängiges Metrum.
"Reborn" und "Everyone" entpuppen sich ein wenig als Filler, hieven das Ding vorwärts, aber haben von der Strahlkraft des Beiwerks nur wenig abbekommen und dudeln ein bisschen ziellos durch die Gegend.
In der besinnlichen Ballade "Lovely", findet Talisco dann aber doch noch zu innerer Ruhe und säuselt: "My only love, I feel so good, stay by my side." Man bekommt das Gefühl, der Vagabund ist bei sich angekommen.
Das Schöne an "Run" ist, dass man diesem Kerl diese tanzbaren und absolut radiotauglichen Dream-Pop-Hymnen einfach abnimmt. Ungefilterte Emotion, die gerade wegen der unverkopften Einfach-los-Mentalität authentisch und nicht banal, mitreißend und nicht fad wirkt.
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