laut.de-Kritik

Ein präzises, vielschichtiges Puzzle.

Review von

Djent kann so schön sein. Vorausgesetzt man vergisst vor lauter Gefrickel und Taktverschiebung Song und Melodien nicht. TesseracT können das zum Glück berücksichtigen. Mit "Polaris" legen die Briten nun ihr drittes Album vor und rechtfertigen ihren Platz an der Spitze der Bewegung.

Rhythmusfetischisten kommen gleich von Beginn an auf ihre Kosten. Um Kollege Cordas zu zitieren: "Die 'Dystopia'-Patterns sind schonmal was für einen gepflegten epileptischen Anfall." Recht hat er. Dabei bemühen TesseracT nicht einmal besonders schnelles Tempo, um ihre Hörer schwindlig zu spielen. Mittlere Geschwindigkeit reicht dem Quintett vollkommen. Seinen Höhepunkt erreicht der Opener in seiner Mid-Section, wenn leise Orient-Melodien den Hintergrund würzen.

"Hexes" kommt im Anschluss wesentlich ruhiger daher. Das kann man wohl schon Ballade nennen. Krumme Zählzeiten gibt es natürlich trotzdem. Überhaupt entpuppt sich "Polaris" aber als relativ unaufgeregt und zugänglich. Ausnahmen bilden neben dem Opener noch "Utopia" und "Messenger".

Natürlich muss man das immer im Verhältnis sehen. Auch in sanften Momenten stehen TesseracT für Komplexität. Und Ambient-Synthies halten die Saitenfraktion bestimmt nicht von knallenden Slap-Einlagen ab. Die Rede ist von "Tourniquiet". Gerade anfangs erinnert das Stück mit seinen Arpeggios und Vocals sehr an den Stil Porcupine Trees. Mit stetiger dramaturgischer Steigerung geht der Track definitiv als Highlight durch.

Als fast schon geradlinig entpuppt sich "Phoenix". Hier steht klar der zurückgekehrte Sänger Daniel Tompkins im Zentrum. Er bringt die Melodien ins Spiel und zeigt sich souverän und variabel am Mikro. Hin und wieder schwingt er sich in höchste Lagen, was schöne Akzente setzt. Einzig auf die Rap-Einlage in "Utopia" hätte er für meinen Geschmack gerne verzichten können. Der zugrundeliegende Slap-Part dafür kann einiges.

Die Vocals bieten etwas zum Festhalten, während die Instrumente Mindfuck anzetteln. Chaos der Marke "Messenger" hätte ohne die Rolle Tompkins wahrscheinlich nur halb so gut funktioniert. Nicht zuletzt dank Tompkins Gesang offenbaren sich des Öfteren Parallelen zu Leprous. Fans der Norweger sollten ein Ohr riskieren.

Gerade wie TesseracT aus vielen Einzelteilchen einen Komplex puzzlen, ihre Gebilde immer höher aufschichten, hier und da mal wieder einen Baustein wegnehmen und an anderer Stelle wieder hinzufügen, nötigt Respekt ab (besonderer Anspieltipp: "Cages"). Es sind nicht die technischen Fertigkeiten, die TesseracT so gut machen. Es ist ihre Präzision. Und ihr Gespür für Komposition.

Trackliste

  1. 1. Dystopia
  2. 2. Hexes
  3. 3. Survival
  4. 4. Tourniquiet
  5. 5. Utopia
  6. 6. Phoenix
  7. 7. Messenger
  8. 8. Cages
  9. 9. Seven Names

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9 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    tue mich noch (!) schwer mit dem album. kann es iwi kaum noch als "djent" bezeichnen. zugegeben, die songs packen mich - starkes songwriting, prägnante, teils erhebende melodien, emotional bewegender, variabler gesang, instrumentell natürlich 1a, aber leider auch ziemlich unspektakulär.. - mir fehlen die mal schwindelerregend vertrackten, mal höllisch groovenden instrumentellen parts aus "one". auch die gelegentlichen shouts von daniel tompkins + die 2-3 einfach einzigartigen atmosphärischen stellen. allein der beginn von "concealing fate part I: acceptance" erzeugt bei mir immer wieder gänsehaut. und mir fehlt dieser volle einsatz, die leidenschaft im gesang von ashe o'hara auf "altered state" (obwohl ich eigtl von der stimmfarbe her tompkins bevorzuge) und die im vergleich zu "polaris" schnellere und härtere gangart auf dem album.. "polaris" ist mir irgendwie, trotz (oder wegen?) der rückkehr tompkins' und des runden songwritings, für tesseracts verhältnisse zu simpel und zahm geworden..

    • Vor 9 Jahren

      kann diesen kommentar sehr gut nachvollziehen. mein favorit von tesseract ist immer noch lament vom album "one". da ist beides drin, die ruhige tiefe, aber auch die härte. am ehesten kommt auf polaris "hexes" da ran. ein paar shouts hätten nicht geschadet.
      "hexes" erinnert mich von der dramaturgie übrigens auch sehr an die ausgekoppelte single-version von altered state's "singularity".

  • Vor 9 Jahren

    wer die neuen TesseracT feiert, allerdings die härteren passagen vermisst bzgl. gesang und instrumentierung und einfach mal wieder gepflegt einen aufs fressbrett braucht, dem seien monuments mit ihrem grandiosen album "the amanuensis" empfohlen. hier der opener: https://www.youtube.com/watch?v=XA7aqOv03mQ.

  • Vor 8 Jahren

    Geile Scheibe! Ich suche zudem hier auf der Seite 'ne Möglichkeit, eine Band zu "melden" wenn diese noch nicht gelistet ist. Ich finde es bedenklich, dass "The Contortionist" noch keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Bin ich damit allein? ;-)