laut.de-Kritik

Unnachahmliche Expressivität durch unverfälschte Bodenständigkeit.

Review von

"Making another 'classic record' smh", heißt es im August 2021 plötzlich auf allen Bildschirmen, deren BesitzerInnen treue Instagram-FollowerInnen eines gewissen @trumanblack sind. In gewohnt selbstbewusster Manier leitet Matty Healy also an seinen Lieblingsplatz, dem Internet, ungewohnt unspektakulär eine neue Ära im Kapitel The 1975 ein. Deren musikalische Zukunft war nach "Notes On A Conditional Form" erst einmal auf unbestimmte Zeit unklar. Eigentlich sollte das Side-Projekt Drive Like I Do wiederbelebt werden, doch kursieren bis heute nicht mehr als einige Song-Schnipsel im Internet, sei es von Fans oder Healy selbst dort platziert.

Stattdessen steht etwas mehr als ein Jahr nach besagtem Post mit "Being Funny In A Foreign Language" nun doch das nächste The 1975-Projekt in den Startlöchern, noch dazu ohne übermäßige Kontroversen im Vorlauf, ohne kontinuierliche Verschiebungen, ohne große Überraschungen, ohne Überlänge. Dafür aber mit einem derartigen Grad an künstlerischer, bodenständiger und authentischer Expressivität, dass es eine Band auf dem Höhepunkt ihres artistischen und gemeinschaftlichen Daseins porträtiert.

Gerade Bodenständigkeit ist dabei im Normalfall nicht der erste Begriff, der einem im Zusammenhang mit dem Quartett aus Manchester als erstes in den Sinn kommt. Doch "Being Funny In A Foreign Language" ist nicht nur lyrisch wie musikalisch von authentischer Bodenständigkeit geprägt, es ist vielmehr sogar eine Ode an die Losgelöstheit, die ungeahnte Sphären eröffnen kann, sobald der Druck, etwas beweisen zu müssen, verfliegt. Denn zu beweisen haben Healy, Gitarrist Adam Hann, Bassist Ross MacDonald und Drummer/Produzent George Daniel schon lange nichts mehr. Seit nunmehr 20 Jahren spaltet das Quartett die Ansichten von KritikerInnen wie auch Fans mit ihrer Unvorhersehbarkeit stets auf ein Neues. Von den einen gehasst, von den anderen vergöttert, mit jedem Album erneut polarisierend, macht sich die Gruppe seit ihrem Debüt mit jedem Release zu einem heiß diskutierten Gesprächsthema.

Dass es in diesem Anlauf nicht anders sein dürfte, ist bereits jetzt klar, denn "Being Funny In A Foreign Language" gelingt sogar der Spagat, die musikalische Identität aller vier bisherigen Alben zu vereinen. Dennoch zeigt es sich neben "A Brief Inquiry Into Online Relationships" als das kohärenteste und konzentrierteste Album der Bandgeschichte. Ein Umstand, bei dem es kaum überrascht, dass es für Healy laut Pressetext "mehr noch als Notes, eine Fortsetzung von A Brief Inquiry [ist]. Es gab Gespräche darüber, ob es buchstäblich ein zweiter Teil oder so etwas in der Art ist, aber am Ende war es ein ganz eigenes Biest."

Dieses "Biest" ist nicht zuletzt in weiten Teilen auch auf Healys bewusste Einsicht und Bereitschaft zurückzuführen, das eigene Ego im Sinne eines bestmöglichen, gemeinschaftlichen Werkes in den Hintergrund zu rücken. Gerade deshalb strotzt "Being Funny In A Foreign Language" auch nur so vor Präsenz, im gedanklichen, aber auch im weltlichen Sinne. Das erste Mal überhaupt stand die Band für den gesamten Entstehungsprozess zusammen im Studio, das erste Mal überhaupt wurde mit Jack Antonoff, dessen Bekanntschaft mit Healy sich über Monate hinweg immer mehr zu einer festen kreativen Partnerschaft sowie menschlichen Freundschaft entwickelte, ein externer Co-Produzent neben Healy und Daniel herangezogen.

Letztendlich mündete dieser Umbruch mit "Part Of The Band" in einem ersten Single-Vorgeschmack, der sich von allem bisher Dagewesenen im The 1975-Kosmos abhebt und trotzdem Spuren vergangener Tage integriert, zusammen mit einem markanten Antonoff-Fingerabdruck. So kreieren wärmende Staccato-Streicher und subtile Bläser die Verse eines lyrisch dichten Folk-Pop-Statements, das in seinen Refrains jedoch nichts anderes als die Band in den Vordergrund stellt, in der jeder im Sinne des Songs und nicht im Sinne des eigenen Egos spielt.

Antonoffs Bleachers-Einflüsse sind auch in der Folge immer wieder präsent, jedoch in einem derart kontrollierten Maße, dass die musikalische Identität und Expressivität, die schon immer eine unbestreitbare Stärke der Band war, nicht verloren geht. So verkörpert der standesgemäße Opener "The 1975" nach Greta Thunbergs Monolog auf der letzten LP in diesem Anlauf ein sphärisches Epos, das Healys und Daniels Ambient-Obsession mit Antonoffs Neigung für orchestrale Arrangements kombiniert. Auf dem atmosphärischen "About You", das in seinem Kern sofort an Antonoffs Zusammenarbeit mit Bruce Springsteen auf "Chinatown" erinnert, aber auch Hanns Frau Carly Holt als Duett-Partnerin hervorbringt, servieren beide Parteien abermals das Beste aus beiden Welten. Doch egal ob Produktion, Songwriting oder Live-Performances, die finale, absegnende Instanz war immer noch stets der Frontman. Nach wie vor sei Healy zu jedem Zeitpunkt in vollständiger kreativer Kontrolle gewesen, wie er in einem Interview mit Pitchfork klarstellt.

Dass sich für Healy die neuerdings auf ein gesundes Pensum reduzierte Portion Egozentrik, gepaart mit inzwischen vollständiger Abstinenz von Drogen, jedoch als eine unwiderstehliche Kombination herausstellt, zeigt sich nicht zuletzt in seinen Gesangseinlagen und Schreibertätigkeiten. "Being Funny In A Foreign Language" überzeugt streckenweise mit dem überzeugendsten Songwriting der Bandgeschichte. So offenbart sich vor allem "Oh Caroline" als ein ergreifendes Testament, das Healys Stimme einer emotionalen Explosion gleichstellt, nachdem er inzwischen klaren Blickes auf seine Zeit im Entzug und die vorausgehende Sucht zurückzublicken kann. Während er dabei in Gedanken an Caroline reminisziert, untermalt die Band die Geschichte um die einzige Person, mit der Healy während seines Entzug regelmäßig Kontakt hatte, mit einer Auswahl an Synth-Pop-Elementen, die unweigerlich an die besten Augenblicke von "I like It When You Sleep, For You Are So Beautiful Yet So Unaware Of It" erinnern.

Es gibt jedoch auch die andere Seite des emotionalen Spektrums, auf der diejenigen Songs verweilen, die so schonungslos poppig, so unmissverständlich geradlinig verfasst sind, dass jegliche Interpretationsmöglichkeit verfliegt, und denen vielleicht sogar gerade deshalb ein unwiderstehlicher Charme anhaftet. "Love, loss, addiction. That's what I always do. Every other record has been a bit like, 'Love! And me! And this! And that!' I think Being Funny is the first time where I’m a bit like, 'OK, right, love. Let’s do love.'", beschreibt Healy der New York Times seinen neuen, fast schon kindlich unbekümmerten Ansatz. Nicht zuletzt entwickeln sich "I'm In Love With You", "Happiness", "Looking For Somebody To Love" oder das balladeske "All I Need To Hear" so zu Highlights, die sich wie personifizierte Momentaufnahmen des menschlichsten aller Gefühle entfalten. Genauso wie es im Falle der Liebe oftmals ist, muss es dafür nicht immer sonderlich kompliziert sein. Wenn "Happiness" wie ein fünfminütiges 80er-Synth-Pop-Moodboard ohne markante Variationen vor sich hinschwebt, "Looking For Somebody To Love" glamourös-bombastischen Euphorie-Pop mit einer satirischen Note auffährt oder "I'm In Love With You" als geradliniger Akustik-Pop samt Fleetwood Mac-Instrumentalsektion einschlägt, fühlt es sich stets mehr nach einer ausgiebigen und gefühlsgetriebenen Jam-Session als nach einem kalkulierten und strukturierten Ablauf an.

Das Album besitzt allerdings nicht nur diesen liebeszentrierten Kern, der an verschiedenen Stationen der Tracklist aufblitzt. Während Healys Writing, wie auch schon im Fall von "Oh Caroline", auf dem instrumental reduzierten "Human Too" zum einen unverfälscht verletzlich, zum anderen gewohnt selbstkritisch und nachdenklich zur Geltung kommt, ist "Being Funny In A Foreign Language" an anderer Stelle wiederum auch genau das, was die Prämisse vorgibt: Es lustig und gespickt mit Wortwitz.

Besonders "Wintering", ein leicht verdaulicher Vorweihnachtstrack mit erneut prägnanten Akustik- und Orchester-Stilelementen, ist dabei mit derart viel Wortwitz und trockenem Humor versehen, dass von unterschwellig komödiantischer Selbstreflexion ("He's got a funny way of using the same four chords for every song he makes") bis hin zu spitzzüngigen Kommentaren gegenüber der eigenen Mutter ("Now mum's not a fan of that line about her back / She said it makes her sound frumpy and old / I said 'Woman! You are 64 years old!'") eine ganze Bandbreite an Humorformen abgeklappert wird. Doch auch die "Vaccinista tote bag chic baristas' sitting in east on their communista keisters in "Part Of The Band", genauso wie die Beobachtungscollage "I like socks with sandals, she's more into scented candles / Oh, I'll never get that smell out of my bag / It was poorly handled, the day we both got cancelled because I'm a racist and you're some kind of slag" auf dem Closer "When We Are Together", erschaffen immer wieder erheiternde Momente.

Gerade jener Closer bringt zugleich aber auch die Neuausrichtung eines bisher extravaganten, provozierenden und vielleicht sogar abschreckenden Acts noch einmal in einem würdigen Abschluss auf den Punkt. Unaufgeregt, akustisch, minimalistisch orchestriert, ohne irgendeine Art von Bombast oder Aufreger, kulminiert in "When We Are Together" all das, was sich zuvor über 40 Minuten entfaltet hat. "Being Funny In A Foreign Language" ist das Erzeugnis einer Band, die endgültig festgestellt hat, dass sie als homogene Einheit am besten funktioniert und auch reduziert auf ihre natürlichste Form Wunder wirken kann. Natürlich kann man sich bei Healy und Co. allerdings nie sicher sein, was das nächste Kapitel bereithält. Die Vergangenheit hat schließlich gezeigt, dass die Chance auf ein weiteres "Notes On A Conditional Form" oder eine abermals komplett andere Neuorientierung immer besteht. In ein paar Jahren könnte alles also schon wieder völlig anders aussehen, doch für den Moment sind The 1975, wie es der Name ihrer anstehenden Tour auch anpreist, tatsächlich "at their very best".

Trackliste

  1. 1. The 1975
  2. 2. Happiness
  3. 3. Looking For Somebody To Love
  4. 4. Part Of The Band
  5. 5. Oh Caroline
  6. 6. I'm In Love With You
  7. 7. All I Need To Hear
  8. 8. Wintering
  9. 9. Human Too
  10. 10. About You
  11. 11. When We Are Together

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT The 1975

In Großbritannien als Next Big Thing gehandelt zu werden, muss nicht zwingend ewigen Ruhm nach sich ziehen. The 1975-Sänger Matthew Healy hält deswegen …

5 Kommentare mit 15 Antworten