laut.de-Kritik

Leader dieser Welt, hört mehr Musik!

Review von

Jede Band hat diesen einen Song, der einfach alle anderen in den Schatten stellt. Diesen einen Song, der ein Album fast schon im Alleingang zu einem Meisterwerk macht. Nüchtern betrachtet gibt es naheliegendere Kandidaten für einen Doobie Brothers-Meilenstein als "Toulouse Street". Viele Experten sehen den Nachfolger "The Captain And Me" von 1973 als das Höchste der Gefühle. Mit Abstand am besten verkauft hat sich "Minute By Minute" von 1978. Persönlich finde ich "What Were Once Vices Are Now Habits" von 1974 sogar die kompletteste Platte. Aber all diese grandiosen Alben haben eine Sache nicht, die "Toulouse Street" hat. Sie haben nicht diesen einen Song: "Listen To The Music".

Mein erster Berührungspunkt mit den Doobie Brothers war tatsächlich erst vor knapp fünf Jahren, als ich die Playing For Change-Version von "Listen To The Music" zum ersten Mal gehört habe. Ich weiß nicht, was mich damals mehr beeindruckt hat: Tom Johnstons monströser Schnauzer, wie gut sich die Stimme des heute 75-Jährigens gehalten hat oder wie gut sie immer noch mit Pat Simmons harmoniert. Am meisten fasziniert hat mich vermutlich, wie der Song Menschen zusammenbringt.

Johnston hatte die Idee dazu, als er eines Nachts in seinem Schlafzimmer in San Jose stundenlang auf seiner Gitarre herumklimperte. Irgendwann kam ihm das Riff zu "Listen To The Music", er rief voller Enthusiasmus Produzent Ted Templeman an und spielte ihm die Idee am Telefon vor. Der soll nur schlecht gelaunt (weil mitten in der Nacht aufgeweckt) gemeint haben: "Well, yeah, it might be pretty good." Der Rest ist Geschichte.

Eigentlich ist es ein simples Lied. Fröhliche Akkorde, eine groovige Bassline, ein paar Percussions. Aber es sind bekanntlich ja meistens die simplen Lieder, die die besten Botschaften transportieren: "What the people need is a way to make 'em smile / It ain't so hard to do if you know how/ Gotta get a message, get it on through."

Neben dem unangefochtenen Highlight direkt zu Beginn der Platte enthält die Tracklist von "Toulouse Street" noch viele versteckte Schätze, die es in die wenigsten Doobie Brothers-Best Of-Listen schaffen, es aber allemal verdient hätten. "Rockin' Down The Highway" etwa, zu dem man nichts lieber tun würde, als in einem Pick Up-Truck durch die Wüste zu brettern. Oder das ebenso energetische "Jesus Is Just Alright With Me", dessen wilden Rock-Vibe nur noch "Disciple" übertrumpft. Im dem über sechs Minuten langen Kunstwerk rücken die kratzigen Gitarren so sehr in den Vordergrund, es hätte nicht einmal Vocals gebraucht.

Allgemein ist "Toulouse Street" ein Album für Gitarren-Liebhaber. Von Akustik-Gitarre über Western-Gitarre bis hin zu E-Gitarre, Banjo und Co. findet hier alles, was Saiten hat, seinen Weg in Perfektion. Gelebt hat der Sound der Doobie Brothers (außer von den stets beispiellosen Background Vocals) von Anfang an von der Harmonie zwischen Tom Johnstons Strumming-Style und Pat Simmons Fingerstyle-Skills. Auf keinem ihrer Alben kann man das so gut heraushören wie auf "Toulouse Street".

Der Titeltrack gehört übrigens zur Fraktion der ruhigeren, sanften Liedern, die den eben genannten lauten Rock-Songs gegenüberstehen. Den Höhepunkt dieser Fraktion markiert "White Sun". Es ist ein wahres Meisterwerk, so harmonisch, so sanft und friedlich, dass es mir glatt egal ist, dass ich aus den Lyrics so überhaupt nicht schlau werde. Hängengeblieben ist nur der wichtige Part: "Take love and give love / It's got to be free."

Im Endeffekt könnte man noch ewig weiter philosophieren über die vielen Facetten der Platte, über "Mamaloi", das in Fan-Kreisen hohes Ansehen genießt. Oder über "Cotton Mouth", das mit den vielen Percussions und dem Einfluss der Bläser stark an Steely Dan erinnert, zu denen die Doobie Brothers ja durchaus einige Parallelen aufweisen. Man kann es aber auch einfach auf den Punkt bringen: "Toulouse Street" lebt trotz des durchgängig vorherrschenden Signature-Sounds von seiner Diversität.

Es ist Roadtrip-Musik und Musik für verregnete Sonntage auf der Couch. Feelgood-Musik für heiße Sommertage und melancholische Musik fürs Lagerfeuer. Musik die man analysieren, zerdenken, bis auf den letzten Power Chord sezieren kann, aber auch Musik, die man nebenher laufen lassen und trotzdem genießen kann. Einfach Musik, die Freude macht. Und was, wenn nicht das, ist der Sinn von Musik?

Man kann es wahrscheinlich nicht besser zusammenfassen als Tom Johnston in seinen Worten über "Listen To The Music": "Es wurde von der Idee beeinflusst, dass Musik eine Sprache für sich und für die Anführer der Welt sein könnte, wenn man so will. Vom Vietnamkrieg über die Sowjetunion bis hin zu Freundinnen oder Menschen in den Bergen – ich dachte, wenn sie Musik verwenden würden statt zu reden, wären sie viel besser dran."

Manchmal wünschte ich, die Welt wäre wirklich so einfach. Dann denke ich mir: hört doch einfach auf, euch ständig zu streiten, die Köpfe einzuschlagen, Angriffskriege zu starten. Hört doch einfach alle lieber ein bisschen mehr Musik.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Listen To The Music
  2. 2. Rockin' Down The Highway
  3. 3. Mamaloi
  4. 4. Toulouse Street
  5. 5. Cotton Mouth
  6. 6. Don't Start Me To Talkin'
  7. 7. Jesus Is Just Alright With Me
  8. 8. White Sun
  9. 9. Disciple
  10. 10. Snake Man

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