18. Juni 2020
"Es ist nie so aussichtslos, wie es scheint"
Interview geführt von Jan HassenpflugZwei Tage vor der Veröffentlichung ihres Comeback-Albums haben wir mit The Ghost Inside-Gitarrist Zach Johnson über die Rückkehr in den Proberaum und die Erkenntnisse aus ihrer Leidensgeschichte gesprochen.
Als ihr Tourbus 2015 im texanischen El Paso mit einem Lastwagen kollidiert, beide Fahrer ums Leben kommen, Band und Crew teilweise schwer verletzt zurückbleiben, rückt eine Zukunft als Hardcore-Band in weite Ferne. Und doch haben The Ghost Inside nun wieder ein neues Album veröffentlicht.
Von Turbulenzen bleibt die Band aber auch weiterhin nicht verschont: Nur einen Tag nach dem Release fliegt Bassist Jim Riley aus der Band, nachdem Vorwürfe laut werden, er habe vor fünf Jahren einen dunkelhäutigen Busfahrer während einer Tour rassistisch beleidigt. Riley bestätigte das Fehlverhalten und erklärte sich öffentlich. Wenngleich der Rausschmiss konsequent erscheint, wirft er Jahre später doch die Frage auf, ob der öffentliche Druck oder die persönliche Überzeugung der Band die Trennung begründen? Mit dem folgenden Interview springen wir zurück zu einem Zeitpunkt, an dem Aufbruchsstimmung und Vorfreude noch ungetrübt sind.
Eine verrückte Zeit, in der ihr mit eurem Comeback-Album aufschlagt. Wie geht es euch mit der Corona-Krise? Probt ihr weiter zusammen oder tauscht euch aktuell nur via Telefon oder Mail aus?
Jim, Jonathan und ich leben in Las Vegas. Aufgrund der geringen Entfernung haben wir inzwischen wieder die Möglichkeit, uns unter Einhaltung der Regeln zu treffen und abzuhängen. Das Wichtigste ist, dass wir weiter gesund bleiben. Mit dem Rest der Band versuchen wir, so oft es geht über Nachrichten oder Facetime in Kontakt zu bleiben. Alle Shows sind erstmal aufs nächste Jahr verschoben. Unser Album kommt trotzdem am Freitag und das ist großartig. Ich bin sehr gespannt. Was gibt es Schöneres als in diesen Zeiten ein bisschen neue Musik mit den Menschen zu teilen?
Es ist schon absurd. Ihr könnt dieses für euch sehr emotionale Release gar nicht so erleben, wie ihr es euch sicher lange vorgestellt habt.
Leider nicht, aber wir sind es nach den letzten Ereignissen fast schon gewohnt, dass Dinge nicht ganz so glatt laufen (lacht). Vor diesem Hintergrund sind wir einfach nur froh, wieder gemeinsam Musik machen zu können. Vielleicht können wir den Menschen in der aktuellen Lage mit dem Album sogar noch eine kleine Freude machen und etwas Abwechslung reinbringen.
Bevor Corona die Welt auf den Kopf gestellt hat, wart ihr schon in den Startlöchern, um endlich wieder nach Europa zu kommen und unter anderem auf dem Full Force zu spielen. Könnt ihr euch die Vorfreude bis zum nächsten Jahr erhalten?
Ich glaube das kriegen wir hin. Das lerne ich gerade auch noch in anderer Hinsicht. Ich wollte eigentlich diese Woche heiraten (lacht). Die Woche darauf wären wir dann rüber nach Berlin geflogen. So einiges läuft aktuell nicht nach Plan, aber wir versuchen das Gute darin zu sehen. Wir können die Zeit nutzen, um uns weiter zu regenerieren und körperlich noch fitter zu werden. Außerdem kennen die Leute im nächsten Jahr schon die neuen Songs. Dann macht es live noch mehr Spaß.
Hey, dann erstmal Glückwunsch zur Hochzeit! "What do you stand for?" – diese Frage aus "Between The Lines" werde ich wahrscheinlich immer mit euch verbinden. Ihr habt mehrfach betont, dass ihr nicht auf ewig die "Unfall-Band" sein wollt. Wofür sollen The Ghost Inside stattdessen in Zukunft stehen?
Wir werden wohl ein Leben lang immer mal wieder damit in Verbindung gebracht. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Unser Wunsch ist es, so gut es eben geht wieder als gewöhnliche Band wahrgenommen und bewertet zu werden. Wenn wir unsere Fans enttäuschen, weil wir beispielsweise eine Live-Show vergeigen, wollen wir nicht nach dem Motto "Oh, die haben so viel durchgemacht" in Watte gepackt werden. Darüber hinaus können wir vielleicht eine Art lebender Beweis dafür sein, dass du aus jeder noch so beschissenen Situation rauskommen kannst. Anfangs war es unvorstellbar für uns jemals wieder eine Show zu spielen. Wir wären überglücklich gewesen, hätte man uns nur eine einzige weitere Show in Aussicht gestellt. Und sieh nur, was jetzt möglich ist! Wenn wir irgendwann dafür bekannt wären, dass es sich immer lohnt für Träume zu kämpfen – das würde mich glücklich machen.
"Wieder Breakdowns zu spielen, war noch cooler als wieder laufen zu können"
Lass uns noch mal in der Geschichte zurückgehen. Bevor ihr durch diesen schrecklichen Unfall ausgebremst wurdet: An welchem Punkt wart ihr als Band?
Die Entwicklung war sehr verheißungsvoll. Zu diesem Zeitpunkt haben wir schon an unserem Song "Aftermath" gearbeitet, Album Nummer fünf war also bereits auf dem Weg. Demos aufzunehmen, wäre der nächste Schritt gewesen. Die größte Tour unseres Lebens mit A Day To Remember und The Amity Affliction durch Australien stand kurz bevor. Es ist schwer zu sagen, wo es hingegangen wäre. Wir versuchen lieber im Hier und Jetzt zu leben.
Du sagst, "Aftermath" habt ihr schon damals geschrieben. Habt ihr den Song nach den Erlebnissen verändert?
Er hat sich seitdem ziemlich verändert, aber es gibt einige Gitarrenparts und Lyrics, die geblieben sind. Wir haben unsere Erfahrungen natürlich miteinbezogen. So haben wir den Song nach und nach adaptiert in den letzten fünf Jahren. Paradoxerweise heißt er "Aftermath", obwohl sein Ursprung viel weiter zurückliegt. Welche Zeilen damals schon da waren, bleibt unser Geheimnis (lacht).
Das Cover des neuen Albums setzt sich aus unzähligen Bildern von Fan-Tattoos zusammen. Wie habt ihr den Support eurer Fans in der harten Zeit erlebt?
Es war unglaublich, wie viel Anteilnahme wir von Menschen auf der ganzen Welt erfahren haben. Viele davon hatten zuvor noch nie von uns gehört. Das ist Wahnsinn. Sie waren für uns ein sehr großer Antrieb, zurückzukommen. Dennoch konnten wir nicht absehen, wie gut unser Comeback angenommen wird. Dass es so viele Vorbestellungen für unser Album gab, dass die ersten Shows so schnell ausverkauft waren, hat uns umgehauen.
Ihr hattet nun sehr viel Zeit, eure Art Musik zu machen und die Botschaft dahinter nochmal komplett zu reflektieren. Gibt es irgendetwas, das ihr grundlegend verändern wollt?
Ich denke wir waren schon immer eine sehr positive Band. Wir haben uns immer über Botschaften wie "Only the strong will survive" oder "What do you stand for?" definiert. Die letzten Jahre haben uns selbst aufs Neue mit diesen Statements konfrontiert. Es war irgendwie heilsam, nochmal gemeinsam als Band all das zu durchleben, was wir in unseren Lyrics predigen. Wir werden uns wohl nicht wesentlich verändern, aber alles, was wir ausdrücken, selbst noch mehr fühlen.
Gab es einen konkreten Moment, in dem ihr sicher wart, dass es wieder auf die Bühne gehen kann?
Im April 2018 kamen wir zum ersten Mal wieder zusammen, um zu proben. Jeder von uns hatte seine Bedenken, ob das klappen oder uns frustriert zurücklassen würde. Es war wie ein Auto, das man erst mal nur anschmeißt, ohne groß herumzufahren. So standen wir alle in einem Zimmer und starrten uns an. Ich habe irgendwann gesagt: "Ok, lasst uns 'Between the Lines' spielen!". Und es lief sehr viel besser als wir erwartet hatten. Zwei Stunden später hatten wir wahrscheinlich 15 Songs gespielt und von dort an wussten wir, dass ein Comeback keine Spinnerei bleiben muss. Wieder Breakdowns spielen zu können, war wahrscheinlich noch cooler als wieder laufen zu können (lacht).
"Das ganze Album war für uns eine Art Therapie."
Nach einem solch traumatischen Erlebnis kann Musik das perfekte Ventil sein, um Dinge auszudrücken und zu verarbeiten. Darum geht es auf eurem neuen Album, stimmt's?
Genau. Musik hat grundsätzlich diese heilende Wirkung. Egal, ob du sie selbst machst oder nur zuhörst. Wenn ich einen richtig beschissenen Tag in der Reha hatte, hab ich mir Hatebreed angehört und es so kompensiert. Musik macht einfach alles besser. Manchmal ist es verrückt, wie sehr unsere Songs andere Menschen berühren. Für mich ist das cooler als jedes andere Gefühl auf dieser Welt.
In diesem Kontext ist "Aftermath" sicher das stärkste Statement. Als letzter Song der Platte vielleicht der finale Flashback, um Dinge abzuschließen?
Ja, definitiv. Wir haben es zum einen als erste Single gewählt, weil es einen relativ guten Einblick gibt, in welche Richtung das Album geht. Er deckt so ziemlich alle Facetten ab. Zum anderen war es uns wichtig, uns diese Botschaft so schnell wie möglich frei zu lassen. "Aftermath" fasst am besten zusammen, wie wir uns mit all dem fühlen. Das ganze Album war für uns eine Art Therapie. In diesem Song ist das ganze Wechselbad der Gefühle abgebildet. Deswegen war schnell klar, dass er, zuerst rausgeht.
Und es ist ja nun wirklich nicht üblich, den letzten Song eines Albums zuerst zu veröffentlichen.
Nicht wirklich, aber bei uns ist ja so einiges unüblich gelaufen. Von daher passt das doch ganz gut (lacht).
Beim ersten Anhören des Albums fallen sofort die vielen Clean Vocals auf. Dafür wart ihr bisher nie bekannt. War es schon vor dem Songwriting geplant, mehr mit Klargesang zu arbeiten?
Diese Idee gab es tatsächliche vorab für einige Songs, aber es war noch nicht sehr ausgereift. Als wir uns dann mit Will Putney (Fit for an Autopsy) und Jeremy McKinnon (A Day To Remember) für die Produktion im Studio ausgetauscht haben, nahm das Ganze Gestalt an. Ich glaube, es ist eine sehr ausgewogene Mischung zwischen harten, angepissten und den eher melodischen Passagen dabei rausgekommen.
Ihr habt die Metal- und Hardcore-Szene jetzt lange von außen beobachtet. Hat sich euer Blick darauf verändert?
Wir haben viele befreundete Bands wachsen sehen. Es hat sich sehr komisch angefühlt, so abgekapselt von all dem zu sein. Wenn du gegen deinen Willen gezwungen bist, dich von dem Musiker-Leben zu distanzieren, fühlt man sich ein wenig zurückgelassen. Umso schöner ist es, dass wir wieder mit offenen Armen begrüßt wurden. Ehrlicherweise war ich in all der Zeit allerdings auch so damit beschäftigt, mental und physisch wieder auf die Beine zu kommen, dass doch viele Entwicklungen an mir vorbeigegangen sind.
Zum Abschluss: Nehmt ihr etwas mit von all dem, was euch widerfahren ist? Gibt es die eine Erkenntnis?
Um es so knapp wie möglich zu halten: Egal wie beschissen das Leben für dich läuft – es gibt immer einen Weg, es wieder besser zu gestalten. Ich denke, das verkörpert unsere Geschichte. Überleg dir mal: Ich persönlich war vor zwei Jahren gerade so in der Lage, alleine aus dem Bett aufzustehen. Nun kann ich wieder wandern gehen oder mit meinem Hund im Garten spielen. Die eine Erkenntnis: Es ist nie so aussichtslos wie es scheint.
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