laut.de-Kritik

Musikfernsehen, das in seinen Bann zieht.

Review von

Sie verstehen sich seit ihrer Gründung Mitte der 70er Jahre als die Sandkörner im gutgeschmierten Getriebe der Popkultur-Industrie. Unbeirrt verfolgen The Residents seither ihren Weg und haben trotz der mächtigen Augäpfel auf ihren Köpfen nie den klaren Blick verloren. Der befähigte sie, 1980 einen Longplayer aufzunehmen, der seine eigentliche Absicht für jedermann leicht ersichtlich im Titel mit sich führte.

"Commercial Album" überschrieben The Residents ihre 40 Pop-Tunes, die das Verhältnis zwischen künstlerischem Produkt und formatgerechter Werbung in Form einer ironischen Gratwanderung zum Thema machten. Werbemusik und doch gleichzeitig auch Popmusik wollten die Kalifornier also aufnehmen. Aber wodurch zeichnen sich Songs aus, die Jingles im Fernsehen untermalen oder aus dem Hintergrund sachte auf den kauffreudigen Supermarktbesucher niederrieseln?

Für The Residents kann der typische Werbe-Pop-Song auf seine beiden Charakteristika Strophe und Refrain reduziert werden. Das bringt ihn auf eine maximale Spielzeit von einer Minute. So wird aus einem Popsong en miniature ein vollwertiger Werbe-Jingle. Das Salz in der Suppe des modernen Amerika, wie The Residents meinen. Also haben sie sich hingesetzt, 40 bekannte Werbesongs zuerst zurecht gestutzt und diese sodann in bester Residents-Manier mit einem guten Schuss Surrealismus verfremdet.

Für die jetzt veröffentlichte "Commercial Album"-DVD beauftragten The Residents Video-Künstler aus allen Erdteilen damit, die 40 Songs des Albums zu bebildern und so den geschichtlichen Nachschlag zu den vier seinerzeit von den Residents selbst produzierten Videoclips zu liefern. Die liegen heute in irgendeinem Archiv des Museum of Modern Art in New York, schließlich waren Musikvideos 1980 noch eine Sache der Avantgarde und somit Kunst per definitionem.

Wie nah The Residents damit dem Puls der Zeit kamen, sollte sich schon im Jahr darauf zeigen, als in den USA der Fernsehsender M-TV seinen Betrieb aufnahm und 24 Stunden am Tag Musik-"Commercials" in den Rang eines eigenständigen Sendeinhalts erhob. Kunst war das nur noch in Ausnahmefällen zu nennen, was M-TV über die Mattscheibe schickte. Aber für Kunst sind nun mal The Residents zuständig, und die erforschen auf "Commercial Album" die modernen visuellen Künste zwischen Animation, Film, Zeichentrick und Collage.

Wer sich für Verstörendes ("Picnic Boy"), Schräges ("Medicine Man"), Unterhaltsames ("When We Were Young"), Lustiges ("Love Leakes Out"), Neues ("Easter Woman"), Interessantes ("The Talk Of Creatures"), Emotionales ("Phantom"), Schönes ("Phantom"), oder schlicht Lebendiges ("In Between Dreams") interessiert, der wird sich gerne in die interaktive, Benutzeroberfläche des "Commercial Album" begeben. Dort wird er von Raum zu Raum schlendern, sich von den verschiedenartigen Bildwelten in den Bann ziehen lassen und danach mit anderen Augen auf M-TV schauen.

Trackliste

  1. 1. Easter Woman
  2. 2. Perfect Love
  3. 3. Picnic Boy
  4. 4. End Of Home
  5. 5. Amber
  6. 6. Japanese Watercolor
  7. 7. Secrets
  8. 8. Die In Terror
  9. 9. Red Rider
  10. 10. My Second Wife
  11. 11. Floyd
  12. 12. Suburban Bathers
  13. 13. Dimples And Toes
  14. 14. The Nameless Souls
  15. 15. Love Leaks Out
  16. 16. The Act Of Being Polite
  17. 17. Medicine Man
  18. 18. Tragic Bells
  19. 19. Loss Of Innocence
  20. 20. Simple Song
  21. 21. Ups And Downs
  22. 22. Possessions
  23. 23. Give It To Somebody Else
  24. 24. Phantom
  25. 25. Less Not More
  26. 26. My Work Is So Behind
  27. 27. Birds In The Trees
  28. 28. Handful Of Desire
  29. 29. Moisture
  30. 30. Love Is...
  31. 31. Troubled Man
  32. 32. La La
  33. 33. Loneliness
  34. 34. Nice Old Man
  35. 35. The Talk Of Creatures
  36. 36. Fingertips
  37. 37. In Between Dreams
  38. 38. Margaret Freeman
  39. 39. The Coming Of The Crow
  40. 40. When We Were Young

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