laut.de-Kritik

Dreckige Soli und staubtrockene Riffs.

Review von

Das Rolling Stones-Unternehmen braucht kein neues Album. Es läuft auch so wie geschmiert. In den letzten zwanzig Jahren erschienen mit "Bridges To Babylon" und "A Bigger Bang" gerade einmal zwei Studio-Longplayer. Doch vier Kompilations, fünfzehn Live-Alben, sechs Box-Sets, einundzwanzig DVDs und diverse Wiederveröffentlichungen sorgten dafür, dass die Gelddruckmaschine munter weiter ratterte. Melkt den Kunden, so lange er noch auf eigenen Beinen steht.

Live verkamen die Stones in dieser Zeit zu ihrer eigenen Cover-Band, die sich für nichts zu schade war. Die zum 50. Jubiläum als vermeidlich letzten Auftritte angekündigten Konzerte in der O2-Arena in London, ließen sie sich mit 500 Euro pro Ticket vergolden. Der Schelm Jagger kommentierte dies mit einem: "Wie geht es euch auf den billigen Plätzen?". Ein halbes Jahr später standen sie im Hyde Park schon wieder auf der Matte. Die Rolling Stones hören nicht auf, ihren eigenen Fans die lange Nase zu zeigen und diese bedanken sich auch noch höflich dafür.

Jagger, Richards, Wood und Watts wissen genau, dass es vollkommen egal ist, was für ein Album sie nach elfjähriger Pause auf den Markt werfen. Es wird sich wie blöd verkaufen. Selbst wenn sie es in drei Tagen rausrotzen und sich nicht mal die Mühe geben, auch nur einen einzigen Song selbst zu schreiben. Und das ist die gute Nachricht an "Blue & Lonesome": Genau das haben sie getan.

Nichts an dieser Platte klingt nach Anbiederung. Den Rolling Stones geht es nur um die eigene Lust am rauen Blues. Um diese eine Platte, die sie im Grunde schon ihre ganze Karriere lang aufnehmen wollten. Kein Ton dieses Werks dürfte sich je in ein Stadion verirren. Nie wird sich eine metergroße Figur zu "Just Your Fool" aufblasen. Nie werden Fans freudetrunken zu "Little Rain" mitsingen. Nie im Leben laufen jemals Filme zu "Ride 'Em On Down" auf einer überdimensionalen Leinwand. "Blue & Lonesome" wirkt klein und stinkt nach modrigem Kellergewölbe.

Ein in sich so radikales Werk konnte man von den Briten nicht erwarten, da es dieses von ihnen bisher schlichtweg nie gab. Zwar galt der Blues schon immer als Keimzelle der Stones, doch höchstens auf den ersten Alben ("Little Red Rooster", "Confessin' The Blues", "The Spider And The Fly") stand er so im Mittelpunkt. Auf "Exile On Main Street" sollte er in "Shake Your Hips" noch einmal kurz aufblitzen, bevor er zunehmend den Stadion-Hymnen weichen musste. Mit dem Cover-Album, auf dem sie Howlin' Wolf, Eddie Taylor, Willie Dixon, Little Walter, Memphis Slim und anderen huldigen, kehrt er mit einer brachialen Gewalt zurück.

Eine heimliche Hauptrolle nimmt das am meisten unterschätzte Instrument, die Bluesharp, und dessen am meisten unterschätzter Spieler, Mick Jagger, ein. Sobald er einen Moment nicht ins Mikro keucht, geifert und spuckt, hängen seine Lippen an der Richter-Harmonika. In ihr manifestiert sich all der Dreck, all die Pein, die diesen Longplayer zusammen halten. Das über Jahrzehnte eingespielte Paar Richards und Woods passt sich ebenso ausdrucksstarke wie staubtrockene Riffs zu, während Charlie Watts eben Charlie Watts ist. Doch für keinen Ort scheint sein oft kritisierter Stil besser geeignet, als für diese grobkörnige Umgebung.

Stones-Edelfan Eric Clapton, der mit dem in jeder Ecke fein säuberlich aufgeräumten "Me And Mr. Johnson" gezeigt hat, wie ein Blues-Album NICHT sein sollte, schaut für zwei Tracks ("Everybody Knows About My Good Thing", "I Can't Quit You Baby") vorbei und zerstört dabei nichts. Produzent Don Was setzt all dies zusammen mit den Glimmer Twins Jagger/Richards gekonnt spröde in Szene.

Ligthnin' Slims reduziertes "Hoo Doo Blues" bauen die Stones mit der Hilfe von Jim Keltners Percussions zu einer Beschwörung aus. Ein beharrlich vormarschierender Chicago Blues mit bissigen Gitarren, zu dem Jagger seine Stimme brodeln lässt. Magic Sams "All Of Your Love" hält sich größtenteils an die Vorlage, gewinnt aber vor allem durch Chuck Leavells brillantem Pianosolo hinzu.

"You put poison in my coffee, instead of milk or cream", singt Jagger nach einem klassischem Watts Einstieg in Howlin' Wolfs grimmigem "Commit A Crime". Wie so oft auf "Blue & Lonesome" entfernen sich die Briten nur marginal von der Vorlage. Die Veränderungen liegen im Detail, in den giftigen Soli. Den Titeltrack hingegen, im Original von Memphis Slim, bauen sie zu einer ebenso zerrissenen wie beeindruckenden Version mit "Harlem Shuffle"-Beginn um.

Das bereits in Jimmy Reeds Ursprungsfassung zurückhaltende "Little Rain" beginnt nur mit Gitarre und hallendem Gesang, bis nach einer Minute zaghaft Watts einsetzt. Ein weiteres Mal durchschneidet ein messerscharfes Mundharmonika-Solo Richards und Woods-Gitarrenarbeit.

Willie Dixons Blues-Standard "I Can't Quit You Baby" reichten sich bereits ein paar der größten Musiker von Hand zu Hand. Das markante Stück wanderte vom ersten Interpreten Otis Rush zu John Lee Hooker zu John Mayall & the Bluesbreakers zu Gary Moore. Nun erhält es von den Stones eine weitere, tadellose Fassung, die jedoch hinter dem prägenden Led Zeppelin-Cover und vor allem hinter Dixons eigener Version zurück fällt.

Mit "Blue & Lonesome" gelingt den Rolling Stones eine faustdicke Überraschung. Hier verwaltet niemand gelangweilt seine eigene Legende. Stattdessen entsteht aus einer bloßen Fingerübung einer der besten Longplayer der Band in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten. Die Platte, die sich mancher Fan insgeheim schon immer wünschte. Bezeichnend, dass dieses Kunststück ausgerechnet mit einem Cover-Album glückt.

Trackliste

  1. 1. Just Your Fool
  2. 2. Commit A Crime
  3. 3. Blue And Lonesome
  4. 4. All Of Your Love
  5. 5. I Gotta Go
  6. 6. Everybody Knows About My Good Thing
  7. 7. Ride 'Em On Down
  8. 8. Hate To See You Go
  9. 9. Hoo Doo Blues
  10. 10. Little Rain
  11. 11. Just Like I Treat You
  12. 12. I Can't Quit You Baby

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18 Kommentare mit 21 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    erinnert mich an chuck berry

  • Vor 7 Jahren

    Hab die CD gekauft. Coole Songs, aber irgendwas stimmt mit dem Klang nicht. Die Aufnahmen haben keine Dynamik und klingen so lasch. woran liegt das? Kennt sich da jemand aus? wie klingt die Vinyl-Pressung?

    • Vor 7 Jahren

      Soll auf alt gemacht klingen. Sowas in 2016! Einen echten Vintage Sound hätten sie mit analogen Geräten und Röhrenmicros hinbekommen. Das hier ist wie Knistern am Anfang einer CD. Bullshit.

  • Vor 7 Jahren

    Der Sound ist wohl Absicht und soll authentisch sein, nehme ich an.

    Ich habe die LP und würde mal behaupten, es war ein Fehlkauf.
    Jede "Best of Blues" mit Willie Dixon Titeln oder ähnlich hat mehr Pfeffer im Hintern als dieses müde Rentner Geklimpere.

    Ja, sie können es, aber sollen sie es auch? Zurück zu den Wurzeln nach Jahrzehnten in der Unterhaltungsmusikbranche, das hätten sie sich sparen können.

    Das letzte, richtig gute Album liegt 44 Jahre zurück (Exile on Main St.) und wer glaubt, mit Blue & Lonesome irgendwas wiederbeleben zu können, der irrt.

    Langweilig!