laut.de-Kritik

Der erwachsene Skinner hat ein wenig an Drive verloren.

Review von

Könnte es sein, dass Mike Skinner gerade in einer verfrühten Midlife-Crisis steckt? Die offensichtliche Differenz zwischen "Everything Is Borrowed" und seinem Vorgängeralbum wäre dadurch zumindest zu erklären. Diese schlägt sich schon im Artwork nieder. Gegen das Cover von "The Hardest Way ...", auf dem Skinner sich in Star-Manier mit seinem Rolls Royce präsentiert und von dem einem die trotzige Proll-Attitüde regelrecht ins Gesicht springt, macht das Äußere seines neuesten Streiches einen fast schon esoterischen Eindruck.

Dieser Eindruck setzt sich beim ersten Hören der Platte nahtlos fort. "I came to this world with nothing, and I leave with nothing but love. Everything else is just borrowed," heißt es auf dem Titelsong. Klingt als wäre der Londoner Straßenjunge endgültig unter die Philosophen gegangen, um etwas Wichtigeres zu vermitteln als seine persönlichen Eskapaden. Dabei stecken in simplen Erfahrungsberichten oft viel mehr Gehalt und Authentizität als in kalkulierten Lehrsätzen.

In diesem Sinne hätte er sich auch "The Way Of The Dodo" sparen können, auf dem er uns mit zaghaft angehobenem Zeigefinger unsere Vergänglichkeit bewusst macht. Der jenseits von Gut und Böse angesiedelte Mitgröhl-Hook "I wanna go to heaven for the weather, hell for the company" weckt da schon wesentlich mehr Sympathie. Mit solch angenehmer Leichtigkeit steht der Song auf dem ziemlich schwermütigen Album allerdings eher alleine da.

Die stetig im Hintergrund mitschwingende Melancholie, die teilweise schon mal in Sentimentalität abrutscht, wird lediglich noch einmal von "The Sherry Ends" abgelöst, dessen quietschender Funksound einen mehr als tanzbaren Höhepunkt des Albums markiert.

Was die Qualität der musikalischen Umsetzung angeht, hat sich bei Mike Skinner so gut wie nichts geändert. Die Vielseitigkeit und die Fähigkeit zur Umsetzung scheinbar unzähliger Einflüsse suchen ihresgleichen. Alles ist erlaubt, nichts ist verboten. Das Einzige, was bei "The Streets" keinen Platz zu haben scheint, ist das Gewöhnliche, das Eintönige, das Berechenbare.

Um diese Vielseitigkeit zu genießen, muss man die Platte allerdings erst mal in Fahrt kommen lassen. Ausgerechnet der Titelsong, mit dem diese eröffnet wird, entpuppt sich nämlich als ziemlich eintönige Schlaftablette, deren Melodie auch von einem Sechsjährigen stammen könnte. Zum Glück schmettert Skinner mit dem schon erwähnten "Heaven For The Weather" einen echten Partyknaller hinterher.

Das Jazz-lastige "I Love You More (Than You Like Me)" versetzt in angenehm entspannte Loungestimmung, die mit den wehmütigen Streichern und der spärlich eingesetzten E-Gitarre auf "On The Flip Of A Coin" in die erwähnte Melancholie übergeht. Mit "Edge Of A Cliff" ist man dann bei einem weiteren Höhepunkt des Albums angekommen, dessen Kombination aus Piano und Trompete an das musikalische Genie eines Jan Delay erinnert.

Leider sackt das Album mit "Alleged Legends" kurz vor Schluss, inhaltlich wie musikalisch, erneut in die anfängliche Flachheit ab. Das rosarote Harfengeklimper auf "The Strongest Person" reißt das Ruder auch nicht mehr rum – im Gegenteil. "The Escapist" verhindert mit seinem vollen Sound dann glücklicherweise noch, dass man das Album mit einem schlechten Nachgeschmack aus dem Player nimmt.

Trackliste

  1. 1. Everything Is Borrowed
  2. 2. Heaven For The Weather
  3. 3. I Love You More (Than You Like Me)
  4. 4. The Way Of The Dodo
  5. 5. On The Flip Of A Coin
  6. 6. On The Edge Of A Cliff
  7. 7. Never Give In
  8. 8. The Sherry End
  9. 9. Alleged Legends
  10. 10. The Strongest Person I Know
  11. 11. The Escapist

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