laut.de-Kritik

Die Sommerplatte für den Herbst.

Review von

Fantastisch produzierter Heartland-Rock mit reichlich Americana-Gefühl und Achtziger-Anleihen versehen präsentiert Vordenker Adam Granduciel auch auf Album Nr. 5 seiner The War On Drugs. "I Don't Live Here Anymore" gelingt noch ein wenig verfänglicher und direkter als die beiden Vorgänger.

Das Albumartwork ziert natürlich wieder eine Gitarre. Allerdings befindet sich Granduciel dieses Mal in Bewegung mit einem frisch aufgebrühten Heißgetränk in der rechten Hand und die Gitarre wie ein Gewehr geschultert. Somit spiegelt das Artwork den Licht durchwirkten Charakter der Platte wider, die bei allen melancholischen Momenten Aufbruchstimmung versprüht.

Die Macht der zwei Akkorde schreibt man gerne der Urwüchsigkeit des Punk zu. Dies trifft auch auf die Harmonik des Titeltracks zu, einem Lehrstück in Sachen simples Songwriting bei gleichzeitig hoher emotionaler Wirkung. Die Don Henley-Gedächtnis Dängel-Gitarre und die pointiert gesetzten Tom-Fills von Schnauzbartträger Charlie Hall wecken Sehnsucht und Hoffnung an eine Zeit, die früher vielleicht einfacher, aber genauso so trist und beschissen war.

Die Krönung ist der perfekt gesetzte Refrain. Das von der New Yorker Indie-Band Lucius entlehnte Gesangs-Duo intoniert eine Hook, die so auch auf Arcade Fires "Reflektor" hätte stehen können, den Song auf das Level 'überlebensgroß' hievt und von der Textzeile "We're all just walkin' through this darkness on our own" ihre Krönung erfährt. Richtig cool ist auch die als Call And Response gesetzte Lead-Gitarre, die den Gesang umspielt, ergänzt und weiterführt. Im dazugehörigen Video spielt Granduciel Gitarren am Strand wie in der Wüste und füttert Hühner und Alpacas. Truer gehts nicht.

Die Gruppe verfügt über einen festen Kern, hat einige Shows gespielt und weiß, was funktioniert. Granduciel und Co. kennen sich On The Road aus. Aber auch auf dem "Highway 61", der E Street und der "Telegraph Road" fühlt sich die Gruppe zu Hause. Natürlich stehen die Amis auf den Schultern der Giganten Springsteen, Petty, Dylan, Knopfler und wie die Beatles bei ihrem legendären letzten Gig auf dem Dach eines Hauses, wie das Video zum Titeltrack zeigt.

Das Songwriting und die Produktions-Odyssee erstreckte sich über zwölf Sessions in sieben Studios, unter anderem schlug die Gruppe ihre Zelte im Electric Lady in New York und im Sound City in Los Angeles auf. Die jahrelange Tüftelei und Tingelei durch renommierte Studios trägt anders als die Foo Fighters bei ihrem missglückten Versuch "Sonic Highways" Früchte.

Bestechend klingt die Komplexität, die aus dem Zusammenspiel einfacher Dinge entsteht. Trotz turmhoher Layer bleibt jeder Tastendruck, jedes Fingerrutschen hörbar. The War On Drugs legen Wert auf analoge Erfahrungswelten, auch wenn die Synthesizer mit Eighties-Bezug ähnlich exzessiv eingesetzt sind wie auf dem ikonischen "Drive"-Score.

Flirrend gerät "Victim" mit seinem nervösen Drumming und den Synthie-Sequencern. "Living Proof" ist ein bedächtiger Opener mit Knarzebass und Knopfler-Licks. "Harmonias Dream" ist ein typisch-traditioneller Rocker mit einigen Synthie-Spitzen. "Waves" trägt die Stil-Referenz bereits im Namen und lädt ein zu Carpe Diem unter Discokugeln.

Granduciels Stimme kommt vielschichtig zur Geltung. Er singt weiterhin bewusst mit limitiertem Ambitus. Mal klingt der Storyteller-Gestus knirschend wie der gute Bob, mal verschwimmt der Gesang in einem Meer aus Hall. Die kontrastierende Anlage ist vielen Songs zu Eigen. Einen traditionellen Track wie "Harmonias Dream" versieht die Band mit spitzen Synths. Eine moderne Dreampop-Nummer wie "Victim" mit einem Harp-Solo.

"Change" mit seinen textlichen Twists und Turns spielt sich auch auf Ebene der Akkordwechsel und deren metrischer Struktur ab. Besonders prägnant gerät das cleane Picking über dem Single Coil-Tonabnehmer, das in der zweiten Hälfte von einem Grand Piano ergänzt wird. Schön auch das sphärische Abdriften in überirdische Klangwelten im letzten Songdrittel.

Ein Vergleich mit einem anderen nerdigen Rock- und Klangperfektionisten bietet sich an. Wie Steven Wilson ist Granduciel ein begnadeter Tüftler. Beide trennt je die eigene Vorstellung, was das Neue angeht. Während Wilson andere Stile und Genres ausproduziert, verfeinert Granduciel den Sound der War On Drugs mit jedem Mal aufs Neue, ohne von der Stilistik abzuweichen.

Der Beat von "I Don't Wanna Wait" erinnert an die Genesis der Spätachtziger und Frühneunziger zu "I Can't Dance"-Zeiten. Herrlich, wie sich die himmlische Hook in der zweiten Songhälfte herausschält. In der Tat findet sich der Drang nach Kompaktheit und Struktur von Phil Collins und Co. auch vermehrt auf dem neuen Werk von The War On Drugs. Die Songs klingen zwar episch, aber ufern nicht mehr so aus wie auf "A Deeper Understanding" oder "Lost In The Dream". Man kann ja auf Repeat drücken, wenn einem die Songs zu kurz geraten.

In Zeiten, in der 99% der Musik gefühlsecht wie der Beischlaf mit einer Gummipuppe wirken, setzen The War On Drugs einen wohltuenden Kontrapunkt mit zeitloser Musik, die kompositorische Klang-Kathedralen entwirft, die den Gestaltungswillen von ehrlicher Kunst in sich tragen. Die Mucke der Band um Granduciel vermittelt das Gefühl, dass alles gut wird. Wenn am Ende dann doch die Hölle über einen hereinbricht, kann man ihr zumindest mit einem Lächeln begegnen.

Trackliste

  1. 1. Living Proof
  2. 2. Harmonia's Dream
  3. 3. Change
  4. 4. I Don't Wanna Wait
  5. 5. Victim
  6. 6. I Don't Live Here Anymore
  7. 7. Old Skin
  8. 8. Wasted
  9. 9. Rings Around My Father's Eyes
  10. 10. Occasional Rain

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