laut.de-Kritik

Kurzweilige Rückkehr in die Trilogy-Ära mit Hochkarätern am Beat.

Review von

Abel Tesfaye scheint den Popstar ablegen zu wollen. Nachdem seiner ursprünglichen Durchbruchs-Trilogie eine Trilogie des massiven Erfolg unter zunehmender Identitäts-Verwirrung folgte, liefert "My Dear Melancholy" nun zwanzig Minuten anthrazitschwarze Slow Jams ab. Vorbei ist der "Starboy", vorbei sind die Michael Jackson-Coversongs, die neue EP von The Weeknd widmet sich wieder über sechs Titel dem Gefühl von emotional erkaltetem Sex in Torontos Afterhour.

Natürlich ändert sich an den Lyrics fürs Erste wenig. Trennungen, Sex, Drogen und ekstatisches Nachtleben dominieren einmal mehr die unkonkreten Ausschweifungen über verflossene Liebschaften, die je nach Stimmung des Augenblicks zurückgewonnen werden sollen ("Try Me") oder sogar relativ deutlich an realen Ereignissen festgemacht werden. "Wasted Times" zum Beispiel scheint deutlich auf öffentlich bekannte Exfreundinnen wie Selena Gomez oder Bella Hadid anzuspielen.

Nichts Herausragendes an dieser Front also, mancher Text fühlt sich entsprechend düster und melancholisch an, auch wenn besonders pointierte Formulierungen weder im Stile von "House Of Balloons" oder "Beauty Behind The Madness" zu finden sind. Am ehesten behält man wohl fragwürdige Momente wie "I hope you know this dick is still an option/ I'll take my time to learn how your body functions/" in Erinnerung.

Aber wer sagt, dass es bei einem alternativen R'n'B-Dude wie Abel um die Lyrics geht, der hat vermutlich sowieso nie vorgehabt, eines seiner Projekte zu mögen. Die eigentliche Stärke dieser kurzen EP liegt nämlich in der musikalischen Komponente, in der The Weeknd sich wieder deutlicher an "Trilogy"-Zeiten annähert, ohne die frisch gewonnene Produktions-Großmacht ungenutzt zu lassen.

Wenn auch keine Portishead-Samples mehr, kommt "My Dear Melancholy" zumindest wieder gut ohne Max Martin-Songwriting aus. Zwar setzen sich Frank Dukes und Skrillex für ein paar der polierteren Momente der Platte wie "Call Out My Name" oder "Privilege" an die Regler, während Mike Will Made It und Starrah für Trap-induzierte Percussions auf "Try Me" verantwortlich sind. Dennoch gerät der Grundton nie steril oder kommerziell.

Besonders dreckig wird es, wenn sich Gesaffelstein, seines Zeichens ein Green Velvet-inspirierter französischer Produzent, der auch an "Yeezus" von Kanye West mitarbeiten durfte, mit dringenden Sirenen und schwerhufigen Bässen ein paar der rohesten und eindringlichsten Momente der EP liefert. Auch wenn das Produktions-Feature "Hurt You" mit Guy-Manuel de Homem-Christo von Daft Punk auf dem Papier spannender klingt, ist es besonders sein Soloflug "I Was Never There", der The Weeknd die größte Freiheit lässt, in pechschwarze menschliche Abgründe abzutauchen.

"My Dear Melancholy" ist das Frühwerk von The Weeknd in 2018, ohne ausufernde Nostalgie, dafür mit ein paar erfrischenden Produktionskniffen. Und auch, wenn die ganz markanten Textzeilen und Produktionsexperimente ausbleiben, besticht das kurze Projekt mit einer Dunkelheit und Schwere, die nicht nur erdrückend glaubhaft, sondern auch unvermeidbar anziehend gerät. Für sechs Tracks wirft Abel hier all den Popstar-Schnickschnack über Bord und liefert Tracks, die vor allem für Fans erster Stunde eine erfrischende Rückkehr zu seiner deutlichsten Identität und Form darstellen dürften.

Trackliste

  1. 1. Call Out My Name
  2. 2. Try Me
  3. 3. Wasted Times
  4. 4. I Was Never There (feat. Gesaffelstein)
  5. 5. Hurt You (feat. Gesaffelstein)
  6. 6. Privilege

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