laut.de-Kritik
Damals, heute, Zukunft, egal wann: 3MP at their best.
Review von Franz Mauerer"The Inevitable Past Is the Future Forgotten" war ein Meilenstein für den seltsamen Moloch von Grunge-Pop, den Three Mile Pilot aus den 90ern nicht nur hinüberretteten, sondern so aktuell wie nie klingen ließen. Das Album war eben ein kaum nachvollziehbarer Kraftakt und die Essenz gleich dreier Bands: Three Mile Pilot, Pinback und The Black Heart Procession. Wer die Band 3MP verstehen will, ist hier an der richtigen Stelle, und bei jedem Durchlauf blutet das Herz, da die Band sich nach diesem Wahnsinn bei all ihrem Potenzial nach der interessanten EP "Maps" zwei Jahre später selbst den Stecker zog. Zumal die Bandmitglieder seitdem ihre vormaligen Nebenprojekte mit minimalem Aufwand bei gelegentlichem Touren melken, ohne neues Material zu produzieren.
Manche Leser meiner Jahresrückblick-Beiträge wissen, dass ich mit "Difficult Music For Difficult People" seit einiger Zeit eine Playlist mit aller Musik befülle, die ich mag. "The Inevitable Past Is The Future Forgotten" ist eines von vielleicht drei Alben, das ich in Gänze dort aufnahm. So gut und vor allem einzigartig ist das Ding. Das zeigt schon der Opener "Battle", der eine kaum zu greifende Coolness kombiniert mit dem schmissigsten, poppigen Song überhaupt. 3MP hören sich hier so dermaßen zwingend und völlig angstfrei an, es ist eine reine Freude. Tobias Nathanael, bekannt von Pinback, ist am Piano/ Keyboard ist nicht nur hier faktisch als viertes Bandmitglied inkorporiert.
"Still Alive" vereint den eher kühlen Stil von Pinback mit dem Leiden und der Sehnsucht von Black Heart, nicht ohne dem Resultat durch blindes Verständnis etwas hinzuzufügen, was den beiden Nebenprojekten fehlt. Es ist der perfekte Sturm aus verschiedenen Posen, die sich nicht nur scheinbar widersprechen, und die hier durch viel mehr als Jenkins charakteristische, ziehend-zähe Stimme zusammengehalten werden.
"Grey Clouds" ist gar nicht wirklich melancholischer als das treibend beginnende "Same Mistake"; es beginnt nur so, aber alle Songs winden sich grundsätzlich mindestens ein Mal um sich selbst. Deshalb endet "Grey Clouds", ohne sich je selbst zu verlieren, mit druckvollen Chören, während man Jenkins bei "Same Mistake" und "Left In Vain" in den immer gleichen repetitiven Beschwörungen förmlich dabei zuhören kann, wie ihn die Kraft verlässt - ohne, dass der Spannungsbogen des Hörers litte. Im Gegenteil liegt "The Inevitable ..."s große Stärke wie schon auf den Vorgängern darin, Spannung aufzubauen und sie nur sehr dosiert abzulassen.
Überhaupt sind es eben nicht nur die catchy Melodien, die diese Scheibe auszeichnen, sondern das Anlaufen, das Festfahren ist wie auf "The Threshold" mindestens genauso wichtig und im Ergebnis genauso schön. 3MP sind 2010 eine spürbar mechanische Band, die auch auf "What I Lose" sowohl im Gitarren- wie auch im Bassspiel haptisch greifbar bleibt, dass man die Saiten zu vibrieren hören meint und nicht nur den durch sie entstehenden Ton. Überhaupt ist Jenkins Rolle fast noch prominenter als auf "Another Desert, Another Sea", da die Gitarre meist eine mindestens gleichberechtigte Rolle zum Bass einnimmt. Das war früher nicht so und nimmt 3MP ein Stück Galligkeit und Bedrohlichkeit, das ist die Öffnung zum Pop aber wert, weil sie so vorzüglich gelingt. Wo ein "Days Of Wrath" mit seiner enorm tanzbaren Bassline unterkühlt und dunkel geblieben wäre, schafft der Kontrast zum hellen Refrain mit einem hohen Jenkins und versöhnlicher Gitarre ein neues Spannungsverhältnis, das sich gar nicht auflösen muss, um seine volle Wirkung zu entfalten.
"The Inevitable ..." malt schwarz in schwarz, eine gewisse Weinerlichkeit kann man der Band nicht abstreiten. Sie passt jedoch ansatzlos großartig ins Bild; denn Jenkins und Smith ziehen das Topos gnadenlos durch, es geht immer um Verlust, verlorene Menschen, verlorene Zeit, halb sinnloses Aufbäumen; man kauft es ihnen schlicht ab, wie sie abstrakt und anklagend traurigen Gedanken nachgehen. Dazu kommt, dass "One Falls Away", ein Schwarzes-Emo-Loch mit Matt Resovich an der Geige, klugerweise Smith besonders eng mit einbezieht und so Jenkins besonders brilliert. Der Song ist klar unter den Top 3 dieser großartigen Band.
Ins obere Regal gehört auch "Planets", das mit einem catchy Gitarrenriff beginnt, direkt zu einem Dialog zwischen Gitarre und Bass wird, als Nathaniels Keyboard übernimmt und aus der anfangs vermuteten Popnummer eine bittere Beziehungsanklage wird, die vor lauter Komplexität und jugendlich wirkender Spielfreude in alle Richtungen sprudelt. "The Inevitable ..." hört sich eben nicht nur an wie ein Kulminieren aller Stärken dieser zu diesem Zeitpunkt in den richtigen Kreisen und in San Diego schon legendären Band, sondern wie der natürliche Startpunkt weiterer Zusammenarbeit, als hätten alle Beteiligten ein Jucken in den Fingern, das noch für fünf solche Alben reichte. Da reicht der Platz gar für neue Experimente im Sound wie das tolle "What's In The Air", mit einer Bassline aus der 80er-Killing Joke-Fundgrube, die nur die Basis bildet für ein beeindruckendes Wogen, das wie so oft eine Beziehungsdynamik darstellt.
Aber es sollte scheinbar nicht sein; wie Jenkins auf dem tieftraurigen, zwar in der Athmo, aber in seiner trüben Klavier-Drone-Anmutung nicht im Sound zum Rest des Albums passenden Closer "The Premonition" singt: "It's something that I [holt Luft, statt etwas zu sagen] / And I can't seem to forget / The last words that were said". Ich auch nicht, Pall, ich auch nicht.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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