laut.de-Kritik
Erlaubt ist, was gefällt!
Review von Ulf Kubanke13 Interpretationen berühmter Rock-, Pop-, Klassik- und fluffiger Jazz-Standards von Killers bis Bach geben den bewusst breit gestreuten Rahmen vor: Alles geht; alles ist Pop; erlaubt ist, was gefällt!
Das funktioniert tatsächlich. Aller Skepsis gegenüber dem gefühlt 10000. Coveralbum dieses Jahres zum Trotz, erklimmt der musikalische Wanderer tatsächlich eine neue Entwicklungsstufe in seinem Schaffen.
Der 39-Jährige ist ohnehin nicht gerade bekannt dafür, etwas dem Zufall zu überlassen. Entsprechend durchdacht erweist sich die Sammlung alter und aktueller Lieblingstracks. Jedes der Lieder ist ihm so nah, dass sich der emotionale Ausdruck stimmlich wie instrumental sogar im Vergleich zu "Oceana" in Teilen steigert. Angreifbar war der Gesang Brönners ohnehin nie. Die absolute Ausbalancierung zwischen beeindruckend nuancierter Phrasierung und der cognacfarben transportierten Wärme im Ausdruck ist schlichtweg beeindruckend. Denn genau diese Auslotung misslingt den allermeisten singenden Instrumentalisten aller Genres.
Beispiele? "Everybody's Got To Learn Sometime", die weltweite Hitsingle von The Korgis anno 1980 wurde zigmal gecovert, zuletzt weidete Sharon Corr das wehrlose Lied mit ihrer furchtbar oberflächlichen Interpretation aus. In den Händen Brönners lebt das Stück wieder auf. Gefühlvoll pendelt er dem Text angemessen zwischen überbordend flehentlicher Sehnsucht und aufkeimender Desillusionierung.
Bei Johnny Mercers Evergreen "I Wanna Be Around" dreht Till den Spieß eulenspieglerisch um. Die sarkastischen Racheverse kommen in schlendernder Lässigkeit mit entspanntem Django Swing Touch daher, die die lediglich scheinbare Harmlosigkeit gleichzeitig unterstreicht und ad absurdum führt. Schönes Kabinettstückchen.
Erinnert sich noch jemand an "I'm Only Human" von den New Wave/Synthiepop-PionierenHuman League? Vielen Freunden der avantgardistischeren Tracks, mich eingeschlossen, kam das Lied 1986 als schmalziger Ausverkauf vor. 2010 erhebt der Wahlberliner mit silbrig schlängelnder "Time After Time"-Trompete und vokalistisch erdendem Refrain das ehemals langweilige Liedchen zur Hymne an die Fehlbarkeit allen Seins.
Brönner wäre nicht Brönner, wenn es nicht auch etwas zum milden Aufregen gäbe. Der knuffige Standard "I'm Through With Love" klingt allzu glatt routiniert. Wer nur einmal die einnehmend romantische Interpretation Goldie Hawns dazu gehört hat, weiß, was dem guten Till hier fehlt. Auch "Seals & Crofts" "Summer Breeze" überzeugt lediglich handwerklich. Die leicht Beegees mäßig hochgejazzte Stimme und das recht kitschig anmutende Arrangement vertreiben mich im Nu' gen tödlich giftige "Summer Breeze" des leider inzwischen verstorbenen Pete Steele von Type O Negative.
Auch die Countryfizierung des Killers Hits "Human" ist nicht mein Fall. Warum nur glaubt seit kurzem ganz Deutschland, dass das westernlastige Einbalsamieren für den Hörer spannend sei?
Doch solcherlei kleine Ausrutscher sind verzeihlich in Anbetracht der Höhepunkte dieser Platte. Das ist zum einen Bachs weltberühmtes Air aus der 3. Suite für Orchester (BWV 1068); aller Überzuckerung widerstehend spritzt Brönner dem 300 Jahre alten Meisterwerk genau jenes richtige Quantum leicht federnder Melancholie, nach der es dem Stück seit jeher dürstet. Vergesst Jacques Loussier; hier kommt der ultimative Bach-Blues.
Gipfel und Übersong des Albums aber ist Bowies Science Fiction-Drama "Space Oddity" von 1969. Brönner macht nicht den Fehler, David Bowie sein zu wollen. Er wird stattdessen Major Tom.
Es ist zum Niederknien, mit welch einer Sensibilität und Sensitivität die Trompete das ausweglose Entschwinden des Astronauten in der ewigen Weite zelebriert. Sie bündelt die Trauer der Zurückbleibenden mit der schwebend tiefblauen Sehnsucht des Lebensmüden Weltraumfahrers. Statt des erlösenden Handclappings im Original tupft ein weiches Piano requiemartig den Deckel drauf. Hammer!
Sicherlich Brönners beste Fremdinterpretation überhaupt und das mit Abstand intensivste Bowie-Cover, das ich je hörte. Als nächstes Album dann bitte das hauseigene Bitches Brew.
2 Kommentare
Die schönste Version von "Everybody's gotta learn sometimes" ist eindeutig die von Jon Brion/Beck!
http://www.youtube.com/watch?v=WIVh8Mu1a4Q…
Ich kann die gute Kritik kein bißchen nachvollziehen. Brönner quietscht sich schrecklichst schleimig durch die Diatonik (*gähn*), ohne Ecken, Kanten oder Stil. Und zu allem Überfluss handelt es sich nur um Coverversionen, die schnell rausgeschleimt wurden, um den X-Factor-Hype mitzunehmen.
Für Hausfrauen geeignet welche sich Castingshows ansehen und sich - neben den Top 10 Hits - kein bißchen für Musik interessieren. Gott sei Dank muss sich Miles Davis sowas nicht mehr anhören...