laut.de-Kritik

Hingebungsvolles Songwriting, beeindruckende Instrumentalisten.

Review von

Tim Neuhaus aus Hagen hat mit dem Prototyp des hiesigen Nachwuchsliedermachers in etwa so viel zu tun, wie mit seinen Jugendidolen, den Guns N' Roses. Viel mehr handelt es sich bei "Now", veröffentlicht über Grand Hotel van Cleef, um ein beeindruckend dynamisches Bandalbum, auf dem die deutsche Popkultur noch nicht einmal in Ansätzen mitschwingt.

Florian Holoubek (Drums), Andi Wisbauer (Keys), Friedrich Störmer (Bass) und Songwriter Tim (Gesang, Gitarre) präsentieren sich auf ihrer zweiten gemeinsamen Platte noch ein Stück weit geschlossener als auf dem zwei Jahre zurückliegenden "The Cabinet" - jedoch mit einer ganz wesentlichen, überraschenden Neuerung.

Die legen gleich die ersten Akkorde des eröffnenden Titeltracks offen: Poppige Achtziger-Synthies laufen der Akustikgitarre an vielen Stellen den Rang ab. So etwa beim elektronisch geprägten "Crashing Through Roofs".

Am ausgefeilten Rhythmusfundament der aufgedrehten Indie-Nummer lässt sich nebenbei deutlich ablesen, dass es sich unter Berücksichtigung von Neuhaus' (einstigem) Hauptberuf als Schlagzeuger bei der halben Band um Profi-Drummer handelt.

Ein wenig irritiert wäre man ob der synthetisch neu gewonnenen Kraft jedoch schon, wenn Tim Neuhaus & The Cabinet nicht immer wieder sanftmütige Verschnaufpausen der Marke "Wonderful Turn" einstreuten. Die zartesten Minuten der Platte beschert wohl "Easy Or Not", ein hinreißendes Duett mit der australischen Wahlberlinerin Kat Frankie. Ähnlich intim gerät der meditative Schlusspunkt "Aerophobia", der laut GHvC tatsächlich unter dem Eindruck beklemmender Flugangst entstand.

Tims einfühlsame Gesangsstimme, die in der Tiefe diese ganz spezielle Zerbrechlichkeit verkörpert und im Falsett richtig zu strahlen beginnt, steht bei weitem nicht immer alleine da. Viel mehr nehmen auch diesmal die lupenrein eingesungenen Cabinet-Chöre die Rolle eines zusätzlichen Harmonieinstruments ein. Um in Entdecker Thees Uhlmanns Worten zu sprechen: "Das sind einfach vier pure Musiker. Die stimmen einen vierstimmigen Gesang aus dem Stand an."

Um seine seit jeher auf Englisch verfassten Lyrics diesmal auch dem 'native-speaker' noch näher zu bringen, arbeitete Neuhaus mit Freund und Singer/Songwriter-Kollege Ian Fisher zusammen. An jeder Textzeile, stellenweise gar an einzelnen Worten, habe er mit dem nach Berlin ausgewanderten US-Amerikaner gefeilt.

Im Studio emanzipierte sich die Band hingegen ganz von der Hilfe eines zusätzlichen Produzenten. Dass sich das vierköpfige Kabinett hierbei wohl entfesselter fühlte denn je, beweist spätestens das gewagte Autotune-Funk-Experiment "Can't Stand The Silence".

Wenn Hingabe und Emotionen eines Songwriters mit dem gebündelten Talent dreier beeindruckender Instrumentalisten kollidieren, garantiert das noch lange kein schlüssiges Album. Wie die dreizehn Stücke auf "Now" den Hörer dennoch ohne Umschweife berühren und zum Tagträumen verleiten: ein wahrer Glücksfall.

Trackliste

  1. 1. Now
  2. 2. Wonderful Turn
  3. 3. Crashing Through Roofs
  4. 4. Easy Or Not
  5. 5. Hindsight
  6. 6. Seconds Later
  7. 7. Can't Stand The Silence
  8. 8. Around
  9. 9. End, Then You Ring
  10. 10. Old Tape Running
  11. 11. Moments
  12. 12. ... Aftermath Stopped
  13. 13. Aerophobia (A Hidden Track)

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