laut.de-Kritik

Stuart A. Staples ehrt das Bataclan. Und Neil Young.

Review von

Kaum zu glauben, welche Umwandlung die Band um Stuart A. Staples 2019 auf "No Treasure But Hope" vollzog. Jahrzehntelang boten die Tindersticks atmosphärischen, vertrackten Indie-Jazz-Rock, der um das Thema Tod kreiste. Der Titel eines Liedes aus dem Jahr 2001, "Dying Slowly", war Programm. Dann ließ Staples seiner Band zur Abwechslung freien Lauf und heraus kam ein Album, das fast schon fröhlich klang.

Auf "Distractions" hat Staples zwei Jahre später wieder das Sagen, die geänderte Stimmung ist aber geblieben. Der krautrockende Opener "Man Alone (Can Stop The Fadin')" ist mit 11 Minuten zu lang, doch bald denkt man beim Basslauf an "Under Pressure" von Queen mit David Bowie und an "Kiss" von Prince. Künstler, die man nicht unbedingt mit den Tindersticks in Verbindung bringt. "Imagine You" dagegen klingt wieder ganz nach den "normalen" Tindersticks, mit Staples, der eher flüsternd als singend von Verlust und Sehnsucht sinniert. Oder doch von einem Gespenst? Die heulende Säge passt jedenfalls wunderbar.

Es folgen drei Coverversionen. Warum Staples aus Neil Youngs Repertoire gerade "A Man Needs A Maid" ausgesucht hat, bleibt sein Geheimnis, Youngs bestes Stück ist es jedenfalls nicht. "The Lady With The Braid" der US-Sängerin Dory Previn ist dagegen eher obskur. Im Original eine folkige Gitarren-Nummer, klingt es hier eher soulig. Beide stammen aus den Jahren 1971/1972. Etwas neuer (1982) fällt "You'll Have to Scream Louder" von Television Personalities in einer funkigen Interpretation aus.

Den Abschluss machen zwei eigene Nummern. Mit "Tue-Moi", französisch für "Töte Mich", ehrt Staples das Bataclan und die erschreckend vielen Opfer des Anschlags im Pariser Kult-Lokal 2015. Passenderweise eine schwere Klavierballade, die schon fast nach Chanson klingt, zumal Staples auf Französisch singt. "Es hat mich damals schwer getroffen. Schon der Geruch des Ortes. Wie es sich anfühlt, dort auf der Bühne zu stehen. Es ging mir sehr nahe", so der Sänger. Dieses Stück, mit dreieinhalb Minuten das kürzeste, ist allein schon das Album wert.

Der Abschluss klingt dann schon fast wieder versöhnlich, mit zwitschernden Vögeln, einer Flöte und Staples, der mit ruhiger Stimme vom Sinn des Lebens erzählt. Vermutlich. Wobei er die zentrale Aussage gleich zu Beginn trifft: "The whole thing / Just a collection of fragments".

Wie so viele mussten die Tindersticks im Frühjahr 2020 wegen Covid-19 ihre Tour unbefristet unterbrechen. Das Album entstand als Idee während des ersten Lockdowns, die Aufnahmen waren dann im September im Kasten. "Ich denke, dass der Lockdown eine Gelegenheit für etwas bot, das bereits im Gange war. Er ist definitiv ein Teil des Albums, aber nicht eine Reaktion darauf", erklärt Staples. Auf jeden Fall eine Platte, die minimalistisch umgesetzt ist, aber viel bietet, auch beim wiederholten Anhören.

Trackliste

  1. 1. Man Alone (Can't Stop The Fadin')
  2. 2. I Imagine You
  3. 3. A Man Needs A Maid
  4. 4. Lady With The Braid
  5. 5. You'll Have To Scream Louder
  6. 6. Tue-Moi
  7. 7. The Bough Bends

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