laut.de-Kritik

Ein wahres Gitarren-Orchester in epochalem Soundgewand.

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"Into The Great Wide Open" ist nicht der Umsatzkrösus im Fundus von Tom Petty. Der Vorgänger "Full Moon Fever" gespickt mit den Hitsingles "Free Fallin" und "I Won't Back Down" verkaufte bedeutend mehr Einheiten. Musikalisch fällt die 1994er Kollaboration mit Star-Produzent Rick Rubin in Form von "Wildflowers" roher und stärker auf Pettys Wurzeln fokussiert aus. Und doch stellt "Into The Great Wide Open" das definitive Meisterwerk des blonden Singer/Songwriters mit Cherokee-Blut dar.

Dies hat mehrere Gründe. Berauscht vom Vorgänger nimmt Petty bewusst Druck heraus. Er muss sich und niemandem mehr etwas beweisen. Als Ausgleich musiziert er mit den Traveling Wilburys an der Seite seiner großen Vorbilder Bob Dylan, George Harrison und Roy Orbison, mit denen er im Vorbeigehen 1990 noch einen Grammy für die beste Rock-Performance einheimst.

Mit von der Partie bei der Supergroup ist ELO-Mastermind Jeff Lynne. Dieser fungiert schon auf "Full Moon Fever" als Produzent und tritt auf dem Nachfolger als Co-Songwriter noch stärker in den Fokus. Zudem trägt er mit einigen Produktions-Kniffen zum Erscheinungsbild der 1991-Großtat bei. Pettys typischer Gesang zwischen Byrds-Sänger Roger McGuinn und Chef-Näsler Bob Dylan klingt direkt und unbearbeitet. Das unaufgeregt, fast gelangweilt klingende Moment der Vocals sticht um so markanter hervor. Dies unterstreicht seine Ambitionen, neben der einprägsamen Musik Geschichten aus dem Alltag zu erzählen. Für Prägnanz sorgt auch die höhenlastige Lead-Gitarre, die wie durch einen kaputten Verstärker gejagt klingt.

Auch die Heartbreakers geben sich wieder komplett die Ehre, nachdem Petty die Platte von 1989 als Solo-Album veröffentlichte. Dieses Bandgefüge als dessen klangliches Wohnzimmer zu bezeichnen, scheint nicht untertrieben. Vertraut und ambitioniert sogleich spielt das Kollektiv auf. Der pulsierende Rhythmus von Drummer Stan Lynch und Basser Howie Epstein grundiert das Fundament. Letzterer zeichnet gemeinsam mit Produzent Lynne für die kongenialen Satzgesänge im Backround verantwortlich. Tastenmann Benmont Tench hält sich wohltuend im Hintergrund auf und tritt nur für vereinzelte Spots wie im Titeltrack in den Vordergrund. Als unbestrittener Chef im Ring galoppiert die sechs Saiten-Riege bestehend aus Petty, Lynn und Mike Campbell durch das sauber produzierte Dutzend. Ein wahres Gitarren-Orchester in epochalem Soundgewand ergießt sich über den Hörer.

Petty schreibt mit dem Titelstück seine ultimative Version des Außenseiter-Songs. Der fiktive Protagonist Eddie Rebel stürzt sich voller Ambitionen in den von Petty häufig zynisch besungen Sündenpfuhl Los Angeles. Dem jähen Aufstieg folgt der Fall, worauf auch vortrefflich die Zeile aus dem fluffigen Opener "Learning To Fly" passt ("Coming down is the hardest thing"). Kompositorisch bemerkenswert gelingen die Unheil verkündenden Harmonien im Bass, die das niederschmetternde Urteil des A&R-Manns untermalen. Petty singt "I don't hear a single" und die Stimmung kippt merklich. Dieser Text steht symptomatisch für den Kampf des charismatischen Rock-Helden um die musikalische Deutungshoheit. Auf dem Album landet schließlich auch nicht ohne einen gehörigen Druck der Company die kürzere Radio-Fassung. Dieser unbedingt vorzuziehen ist die Extended-Version und das dazugehörige Video, das einen gewissen Johnny Depp in seiner Paraderolle als Querkopf und "Rebel without a clue" zeigt und nebenbei mit Matt LeBlanc, Faye Dunaway und Terence Trent D'Arby eine ganze Riege an Hollywood-Stars auffährt.

Petty versucht sich Mitte der Achtziger an einem Konzeptalbum über die Südstaaten ("Southern Accents"). Doch der auf Albumlänge gesponnene rote Faden zählt nicht zu seinen Stärken. Vielmehr schürft er mit kleinen Begebenheiten im Songformat tief in der amerikanischen Seele. Wie die zwei Revolverhelden in "Two Gunslingers", die des Kämpfens müde geworden, erschöpft die Waffen strecken. Starker Tobak für ein Land, in dem Schusswaffengebrauch so selbstverständlich ist wie der Gang zum Supermarkt. Musikalisch gibt der Track in seiner Mixtur aus Country, Blues, Folk und Rock eine Americana-Visitenkarte in Reinkultur ab, textlich nährt er die Zweifel am American Way Of Life. Klangkonzept und Melodien wirken stilprägend für die folgenden Generationen an Musikern so unterschiedlicher Art wie The War On Drugs oder Coldplay.

Ein weiteres Markenzeichen Pettys ist der Hang, triste Inhalte mit Momenten voller Harmonie zu vertonen. Quasi das Pfeifen im Walde des gescheiterten amerikanischen Traumes. Diese Melancholie scheint in "The Dark Of The Sun" am meisten durch. Die Musik führt den Hörer durch dunkle Zeiten, ein Thema das den zeitlebens an Depressionen leidenden Musiker besonders berührte.

Mit "All Or Nothin" oder "Out In The Cold" fährt die Band vergleichsweise harte Klänge auf und schmettert Riffs, die mit ein wenig mehr Zerrsound auch auf Metallicas "Black Album" für Furore gesorgt hätten. Der Schunkler "Built To Last" ist so etwas wie Pettys Antwort auf "Stand By Me" und zugleich der musikalisch ungewöhnlichste Song der Platte.

"Into The Great Wide Open" zementiert Pettys Status als einsamer Cowboy und Nationalheiliger des Heartland Rock. "There's a crack in everything, that's how the light get's in". Was Leonard Cohen mit diesen Zeilen meisterlich auf den Punkt bringt, übersetzt Petty in Musik, oder um es in der Beschreibung der hier verewigten zwölf Seelenstreichler auf den Punkt zu bringen: er gibt den textlichen Wolf im musikalischen Schafspelz.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Learning to Fly
  2. 2. Kings Highway
  3. 3. Into the Great Wide Open
  4. 4. Two Gunslingers
  5. 5. The Dark of the Sun
  6. 6. All or Nothin'
  7. 7. All the Wrong Reasons
  8. 8. Too Good to Be True
  9. 9. Out in the Cold
  10. 10. You And I Will Meet Again
  11. 11. Makin Some Noise
  12. 12. Built to Last

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5 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Sorry ich lese in der Kritik nichts was dieses Album zum Meilenstein macht sondern nur dass es komisch klingt und Amerika kritisiert. Das konntet ihr schon besser.

    • Vor 4 Jahren

      du meldest dich auch nur zum pöbeln an, was? ist auf der straße vor deinem fenster nichts los?

    • Vor 4 Jahren

      Oh Gott bewahre, dass jemand mal seine Meinung kund tut. Bist du so armselig, dass du Leute deswegen angehst? Und was verstehst du an dem Satz "das konntet ihr schon besser" nicht? Dann sag mal, was ist deine Meinung zu dieser Kritik?

    • Vor 4 Jahren

      im kontext deiner bisherigen kommentare, muss man halt feststellen, dass du ausschließlich kritisierst und heulst.

    • Vor 4 Jahren

      Sancho, habe eine verrückte Idee für dich: Versuch die letzte Message mal mit einem unauffälligen Zweit-(bzw. Fünft-)Account rüberzubringen, eventuell ist das erfolgreicher.

    • Vor 4 Jahren

      Ich empfehle "Der_Ironiker".

    • Vor 4 Jahren

      Wow, ihr seid ja wirklich ganz harte Jungs. Habt ihr denn wirklich nichts anderes zu tun, als rumzupöbeln, nur weil hier mal jemand sagt, was er denkt? Naja, mir soll es egal sein wie ihr hier euer trauriges Leben verplempert. Wenn ihrs nötig habt..

    • Vor 4 Jahren

      und ruck zuck ist er da. der nächste account um mit sich selbst zu reden.

      :wurst:

    • Vor 4 Jahren

      glaube eher das ist ein anderer scherzkeks.

    • Vor 4 Jahren

      Bin ein großer Petty- und Traveling Wilburys-Fan. Ich finde den Beitrag wirklich schön getextet, lerne Neues. Und sehe Petty jetzt doch nochmal neu. Wenn es nur Meilenstein-würdig ist, wenn jeder Song analysiert wird, dann ist das ein bisschen wie Schulaufsatz, findest du nicht, Aqualung? Ich weiß, was du meinst. Das ist halt mehr auf einer Meta-Ebene und hat etwas mehr Feature-Anteile. Der Text gibt ja zu, dass Petty eigtl das (Konzept-)Album als Format nicht so lag. Deswegen ist es schon ein Verdienst überhaupt einen Meilenstein zu formulieren. Das ist bei Petty echt nicht einfach, denke ich. Und es steht als III. Argument drin
      _______
      >> Ein weiteres Markenzeichen Pettys ist der Hang, triste Inhalte mit Momenten voller Harmonie zu vertonen. Quasi das Pfeifen im Walde des gescheiterten amerikanischen Traumes.

  • Vor 4 Jahren

    Megaseller mit einem seiner größten Songs ("Learning to Fly"), aber Petty hat vorher ("Full Moon Fever") und nachher ("Wildflowers") bessere Alben abgeliefert. Von der Frühphase ("Damn the Torpedos") ganz zu schweigen.

  • Vor 4 Jahren

    Als Beginn und Türöffner der Phase II muss ganz klar Full Moon Fever herhalten als Meilenstein. Auch weil da der bräsige Sound von Jeff Lynne nicht so dominant den Grundsound des Albums bestimmt. Auch hat es die besseren Songs.

  • Vor 4 Jahren

    Eine absolute Gute-Laune-Platte. Fetteste fünf Sterne!

  • Vor 4 Jahren

    Hat schon ein paar Hits. Ist mir andererseits spätestens im zweiten Abschnitt selbst dann zu flach und konventionell, wenn ich eigentlich Bock auf solchen Glücksritter-Kitsch habe. Schätze, es wird auch zukünftig im Zweifel dann eher Springsteen werden.

    Nette Platte aber (und sehr hübsches Cover, wie ich finde).