laut.de-Kritik

Alles umarmende Störmichnicht-Musik.

Review von

Kein Warten mehr, kein Zaudern mehr! Raus an den See, ab in die große Stadt, bei offenem Autofenster und mit Tonbandgerät im Player! Die Single "Irgendwie Anders" kündigte Großes an, aber dass die vier sympathischen Hamburger mit "Heute Ist Für Immer" die perfekte Sommerplatte abliefern, hätte wohl keiner gedacht. Das Quartett hat ihr Debüt-Album mit zwölf lupenreinen Indiepop-Hymnen vollgepackt, hin- und hergerissen zwischen Tatendrang und Herzschmerz, zwischen Aufbruchstimmung und Melancholie!

Das würden die von Berufs wegen permanent euphorisierten Moderatoren und Schreiber bei Radio Energy, bei Viva oder beim Piranha-Magazin jetzt wohl erzählen. Aber das wäre natürlich ein ziemlicher Quatsch. Tonbandgerät machen Befindlichkeitspop, der nichts will, außer ein paar kleine Gefühle ausdrücken, mit möglichst großen Worten und möglichst hymnischen Refrains. Die Prise Melancholie nicht zu vergessen.

Mustergültig umgesetzt fand sich das schon bei der Vorab-Single "Irgendwie Anders" aus dem vergangenen Jahr. Synthie-Klänge, schneidiger Bass, Offbeat-Gitarren und flottes Schlagzeug, dazu emotionalisiert eingesungene Sehnsuchts-Zeilen. Könnte ja ganz gut klingen, diese Mischung. Aber so glattgebügelt und ausgelutscht, wie das Endergebnis dann doch tönt, reicht es leider nur zum Mittelmaß-Radiosong. Dessen herausragendste Eigenschaft: Bloß nicht den gefürchteten Wegschaltimpuls der geneigten Hörerschaft wecken.

Diese zweifelhafte Qualität zeichnet im Grunde alle hier versammelten zwölf Songs aus. Die zweite Single "Halbmond" mit einer netten Glockenspiel-Melodie genau so, wie die wehmütige Ballade "Hirngespenster" mit sparsamen Akustik-Gitarrenakkorden. Den Titelsong mit seinem knackigen Basslauf genau so, wie das letzte Stück "Raus Hier" mit seiner verträumt-verhallten Gitarre.

Die Stücke bieten zwar alle ihre kleinen Überraschungen, die unterkühlten Synthie Pop-Handclaps bei "Auf Drei" etwa, oder die "Strawberry Fields Forever"-Flöten bei "Mal Mich". Aber spätestens im Refrain befindet man sich wieder mitten im Brei deutscher handgemachter Chart-Musik. Eine perfekte, aber auch kantenlose Produktion, die Stimme stets nach ganz vorne gemischt, ein striktes Strophe-Bridge-Refrain-Korsett und Melodien aus der Weichspül-Abteilung von Aldi, fertig ist der Stadthallen-Hit.

Wann kehrt sich der Trend dieser ehrlichen, gefühlstriefenden, alles umarmenden Störmichnicht-Musik eigentlich wieder um? Selbst verglichen mit den kommerziellsten NDW-Auswüchsen klingt diese Neuste Deutsche Welle, die Silbermond und Juli kurz nach der Jahrtausendwende ausgelöst haben, unglaublich eintönig.

Sicher scheiden sich auch an der Stimme von Ole Specht, Sänger, aber nicht Texter der Band, (das erledigt Gitarristin Sophia Poppensieker) die Geister. Einen besonderen Klang kann man der sicher nicht absprechen, der Gesangsstil aber erinnert doch sehr stark an eine Mischung aus Tim Bendzko und Eva Briegel von Juli. So nah können Unverwechselbarkeit und 08/15 also beieinander liegen.

Und ähnlich wie bei Tim Bendzko und Juli, wie bei Philipp Poisel und Silbermond beklagen die Lieder auf "Heute Ist Für Immer" den grauen Alltag und das einst so ganz anders erträumte Jungerwachsenen-Leben, fühlen sich überfordert von den Anforderungen der Zeit, wünschen sich ans Meer und schwelgen abwechselnd in der Vergangenheit und im Selbstmitleid. Im Kitsch badende Zeilen wie "Bei mir ist seit Monaten Halbmond/ Die andere Hälfte hast du mitgenommen" ("Halbmond") wünschen sich zurück ins Poesiealbum.

Auch wenn das Quartett seine eigenen Lieder schreibt, selbst Gitarre, Bass und Schlagzeug spielt, sich seit 2007 in unzähligen Auftritten, darunter immer wieder Wohnzimmerkonzerte, landesweit eine kleine Fanbase erspielt hat und damit das seltsame Verlangen nach echten Bands und handgemachten Tönen mehr als erfüllt: Die vier Mittzwanziger machen nicht mehr als braven, ideenarmen und gefälligen Formatradio-Pop, der genauso gut aus der Konserve kommen könnte. Entsprechend gilt: Man sieht sich bei Radio Energy, bei Viva und im Piranha-Magazin.

Trackliste

  1. 1. Irgendwie Anders
  2. 2. Halbmond
  3. 3. Auf Drei
  4. 4. Hirngespenster
  5. 5. Mit Dieser Welt Allein
  6. 6. Leerstand
  7. 7. Heute Ist Für Immer
  8. 8. Mal Mich
  9. 9. Landebahn
  10. 10. Fremde Städte
  11. 11. Wir Bauen
  12. 12. Raus Hier

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