laut.de-Kritik
Hut ab vor diesen wahnsinnig begabten Schotten.
Review von Jasmin LützFran, Andy, Dougie und Neil erkennt man ja fast gar nicht mehr auf dem Cover der neuen Platte "The Invisible Band". Schade eigentlich! Ich sehe doch so gerne das Lausbubenlächeln von Frontmann Fran Healy. Aber die Schotten haben schon Recht. Die Personen einer Band sind gar nicht so wichtig. Die Leute sollen auf die Musik achten und nicht auf die neuen Schuhe des Drummers oder das liebliche Grinsen des Sängers.
Nach dem Millionenseller "The Man Who" ist es schwierig, mit einem weiteren Album an dem Erfolg anzuknüpfen. Travis ist es mit "The Invisible Band" zu 100% gelungen. Die neuen Songs fließen in jeden einzelnen Gehörgang und zergehen auf der Zunge. Zart, süß und schmelzend wie Carameleis.
Zu Beginn wird erst einmal mächtig geritten. Andy lässt das Banjo tanzen. "Sing" bleibt einem den ganzen Tag fröhlich zuckend im Ohr hängen. Überhaupt ist Fran Healy davon überzeugt, dass jeder Mensch an jedem Ort und zu jeder Gelegenheit die Stimme klingen lassen soll. Nicht umsonst hat er diesen Song seiner Freundin Nora gewidmet. Die hatte schon so ihre Probleme, neben ihrem Göttergatten mit der Goldkehle, unter der Dusche laut mitzusummen: "But if you sing ... for the love you bring won't mean a thing"!
Da scheint ja wirklich jemand verknallt zu sein. Nicht nur "Sing" hat der smarte Popstar seiner Freundin gewidmet. Auch bei "Flowers in the Window" dachte er beim Komponieren und Texten nur an SIE: "You are one in a million, and I love you so, let's watch the flowers grow." Immer wieder bemerkenswert, das Songwriting von Mr. Healy. Scheinbare simple Wortkombinationen, die sofort zu verstehen sind, erfüllt von so viel Intensität. "The grass is always greener on the other side", so beamt mich "Side" in die schottischen Highlands. Egal, ob die Sonne scheint, oder wie schon beim letzten Album ständig der Regen fällt, die Lieder beglücken mich zu jeder Jahreszeit.
Außer Fran Healys Frisur hat sich bei Travis nicht viel geändert. Der Ruhm hat sie keinesfalls beschädigt. Im Gegenteil. Die Schotten werden immer besser und sympathischer. Keinerlei Allüren. Das merkt man, wenn man ihre Interviews liest, oder sie live auf ihren Konzertreisen trifft. Travis sind Popstars, die süchtig sind nach guten Songs, dazu Fran H.: "Songwriting ist wie eine Sucht für mich, es ist Inspiration, Technik und jede Menge harte Arbeit." Den Goldenen Schuss gibt es dann bei Songs wie "Safe" oder "Last Train". Sicher und geborgen fühlt man sich da schon, wenn man in seinem Sessel sitzt, mit einer guten Tasse Tee, die Augen schließt, den Lautstärkeregler zum Anschlag dreht und sich bis hin zum Tinitus von den zartschmelzenden Ergüssen berieseln lässt.
Bei "Indefinitely" sinkt man immer tiefer in die weichen Polster: "Everyday in every way I'm falling." Am Ende des Tracks schreckt Piepsen des Weckers aus der schönen Ruhe auf. Tatsächlich bin ich zweimal hintereinander an mein Bett gegangen, um meine Uhr abzustellen. Die intravenöse Dosis wirkt! Viel zu schnell lässt der Rausch nach. Doch zum Glück kickt "The Humpty Dumpty Love Song" am Ende der Platte nochmals mit einer melancholisch medikamentösen Orchesterbegleitung.
Travis strahlen mit ihrer Musik eine gewisse Traurigkeit aus, zu der man sich permanent hingezogen fühlt. Ich bekenne mich zu meiner Abhängigkeit und bin süchtig nach diesen schönen Melodien mit den großartigen Texten. Hut ab vor diesen wahnsinnig begabten Schotten, die zwar Popstars, aber dennoch Menschen geblieben sind: "Yeah, we're alright now!"
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