laut.de-Kritik

Spannendes Punk-Märchen über Flucht und Vertreibung.

Review von

Flucht, Verfolgung, Tod. Turbostaat haben sich für ihr Konzept-Album "Abalonia" keine schönen, aber hochaktuelle Themen ausgesucht. "Alles ist besser als der Tod", ruft einer der beiden Protagonisten im Opener "Ruperts Gruen" und gibt damit die Richtung vor: Bloß weg von hier, so weit wie möglich weg von dem Ort, wo der Tod an jeder Ecke lauert. "Abalonia" ist eigentlich eine alte Geschichte und doch ein modernes Märchen. Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, auf der Flucht vor Hunger, Verfolgung und Krieg nach irgendwo in ein fiktives Land Abalonia.

Turbostaat erzählen ihre Geschichte mal mit klaren Worten, dann wieder verschachtelt und metaphorisch. Während der Opener "Ruperts Gruen" sehr erzählerisch daherkommt, bleibt "Eisenmann" kryptisch und verschwurbelt. Songs, wie "Der Wels" oder "Die Arschgesichter" sprechen plötzlich deutliche und aktuelle Worte, streuen Salz in Wunden und reißen Vorhänge herunter. "Im Dunkeln liegt die Oper / Die Stadt doch viel zu nett / Für die hässlichsten Gedanken in euch". Eine mehr als deutliche Anspielung auf Dresden und das, was sich dort Montagabend abspielt. "Diese Stadt hat heimlich Durchfall / Und der sieht fast aus wie du".

"Abalonia" ist aber keine Abhandlung der aktuellen weltpolitischen Lage. Es möchte ein Märchen bleiben, ohne auf Kritik und Anspielungen zu verzichten. Die beiden Protagonisten sind keine Flüchtlinge, die aus einem Kriegsgebiet fliehen und in einem anderen Land Anfeindungen erleben. Sie fliehen eher vor dem politischem System im Heimatland ("Der Zeuge") – und ihrem Todesurteil ("Der Wels").

In "Die Arschgesichter" trennen sich die beiden Protagonisten schließlich. Auch hier gibt es wieder viele Anspielungen: "In Reih und Glied gekämmt und gestriegelt / die Arschgesichter pflanzen sich auch fort / am Ende steht kursiv auf ihren Gräbern / Reichtum ist der Schlüssel zum Erfolg". Der Krieg, der das Land erschüttert, wird in "Wolter" angekündigt und kommt dann mit dem "Eisenmann". Die Flucht geht mit einem neuen Begleiter weiter ("Totmannknopf") und dann kommt der kalte Winter ("Geistschwein"). Diese Geschichte einer Flucht ist sehr dicht und spannend erzählt.

Aber auch musikalisch ist "Abalonia" spannend und ereignisreich, dabei bleiben Turbostaat sich erstmal sehr treu. Wie auf den Alben vorher reizen sie ihre Interpretation von Punkrock aufs Äußerste aus: Cleanes Achtelgeschrammel, angezerrte Akkorde und einzelne Töne, Bassgrooves und Jan Windmeiers Sprechschreigesang. Turbostaat fühlen sich in ihrer Punkwelt hörbar wohl. Indie, Postrock, Pop, New Wave schwingen mit, bleiben aber diffus, werden höchstens mal angeschnitten. Die Songs ufern gerne aus, lassen sich Zeit, entfalten sich nur nach und nach. Das wird am deutlichsten bei "Wolter" oder "Eisenmann".

"Abalonia" wirkt ruhiger und nicht gar so störrisch wie der Vorgänger "Stadt Der Angst". Dennoch merkt man eine unterschwellige Unruhe, ein Grummeln und Rumoren tief drinnen. Manchmal, zum Beispiel in "Ruperts Gruen" oder "Die Toten", bricht diese Unruhe durch, dann zerstört die Wut den Song komplett, nur um dann wieder zu sich selbst zu finden. In "Totmannknopf" stürmen die Drums vor und die Gitarren nehmen sich zurück bis sie im Refrain wieder eine Achtelwand aufbauen. "Abalonia" klingt mal fragil und klein, dann wieder stark, mit breitem Brustkorb, mal kaputt, dann wieder klar.

In "Die Toten" bauen Turbostaat sphärische, teilweise elektrische Klänge und Sounds ein, was dem Song einen entrückten Charakter gibt. Der Schlusssong, "Abalonia", ist kein Happy End auch wenn er optimistischer klingt als der Rest. "Und sie ging den selben Weg – nur weiter, nur weiter / Vielleicht trifft man sie in Abalonia". Der Song verrät nun auch den Namen der Protagonistin: Simona. Ein ganz wunderbarer Kunstgriff und ein spannendes offenes Ende. Fast eine Minute lang klingt der Song still und knisternd aus, die Platte ist zu Ende – und die Geschichte?

Trackliste

  1. 1. Ruperts Gruen
  2. 2. Der Zeuge
  3. 3. Der Wels
  4. 4. Die Arschgesichter
  5. 5. Wolter
  6. 6. Eisenmann
  7. 7. Totmannknopf
  8. 8. Geistschwein
  9. 9. Die Toten
  10. 10. Abalonia

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7 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 8 Jahren

    Gute Jungs, tolle Live Band. Mein Interesse an neuen Platten ist aber leider etwas verloren gegangen, ihr Spektrum ist nun mal nicht unglaublich breit...

  • Vor 8 Jahren

    Ich wage zu bezweifeln, dass im Deutschpunk dieses Jahr eine bessere Platte erscheint (okay, vllt. wenn Captain Planet endlich mal wieder ein Album raushauen würden). Turbostaat bleiben zwischen den Stühlen und findne nahc wie vor die balance aus sperrig und trotzdem unfassbar eingänglich. Ihr bestes Album seit Vormann Leiss

  • Vor 8 Jahren

    hatte beim vorgänger schon die befürchtung, dass ihre köpfe langsam in ihren eigenen ärschen verschwinden, aber dem was ich bis jetzt gehört habe nach zu urteilen haben sie sich doch noch gefangen.

  • Vor 8 Jahren

    vielleicht ihr bestes Album überhaupt. bin sehr positiv überrascht.

  • Vor 8 Jahren

    Richtig gutes Teil. Heute erst entdeckt.

  • Vor 8 Jahren

    Punk / Rock / Indie und dann ein Konzeptalbum. Oje, das ist ja schon sehr häufig richtig in die Hose gegangen. Abalonia ist genau das Gegenteil und mir persönlich fällt keine andere Band ein, die sich auch mit dieser Platte wieder zwischen muskalischen Welten bewegt (Die Toten erinnern beispielsweise an Joy Division und die frühen Sisters of Mercy) und doch nie den roten Faden verliert.

    Also mich hat es beim Opener Ruperts Gruen förmlich umgehauen. Der Song ist musikalisch herausragend und setzt den inhaltlichen Rahmen fuer die gesamte Platte und die Geschichte, die im Folgenden erzählt wird.

    Ohne auf die weiteren Songs einzeln einzugehen, mit dieser Platte ist ein unglaubliches Werk gelungen. Und der Abstand auf Bands, die gerne im Zusammenhang mit Turbostaat genannt werden (Love A, Marathonmann etc.) hat sich meiner Meinung nach mit dieser Platte vergrößert. Fuer mich ist Abalonia durchaus eine schlüssige Fortsetzung von Stadt der Angst. Eine Musikmagazine schreiben über etwas komplett Neues, wer selbst lange die Band verfolgt hat wird das vermutlich durchaus anders sehen.

    Ich habe lange keine Platte mehr gehört, die es in dieser Form schafft Musik mit inhaltlichen Texten zu verbinden und neben einer "schweren" Grundstimmung dennoch bewirkt, dass man bei einigen Liedern einfach mitschreien und "abrocken" will. Turbostaat hat nie die Aufmerksamkeit erlangt, die der Band gebühren wuerde. Wahrscheinlich ist das gut so.

    Wer die Band noch nicht live gesehen hat sollte unbedingt hingehen. Ihr werde nicht enttäuscht.

    An Laut.de Redaktion - ein sehr guter und treffender Review.