laut.de-Kritik
Introvertierte in bester Gesellschaft.
Review von Christian Kollasch"Alte Säcke", so beschreiben sich Turbostaat mittlerweile selbst. Mit 21 Jahren Bandgeschichte im Rücken haben die fünf Punks aus Flensburg tatsächlich einen Veteranenstatus erreicht, doch Altersmilde macht sich auf ihrem siebten Studioalbum "Uthlande" keinesfalls breit. Im Gegenteil: Wo der Vorgänger "Abalonia" noch deutlich mehr schwebende Post-Rock-Momente zuließ, rumpelt die neue Platte ruppig und ungefedert über die Dreiviertelstunde Laufzeit.
Kernig waren Turbostaat schon immer, aber die wiederentdeckte Härte aus den Zeiten der ersten Werke "Flamingo" und "Schwan" lässt sich gut mit dem Albumtitel erklären: ein niederdeutscher Begriff für den Landbereich und die Halligen vor der nordfriesischen Küste. Die steife Brise der Landschaft, wo Uhren und Menschen noch anders ticken als in gentrifizierten Großstädten, weht stets mit aus den Boxen.
Turbostaat feiern aber keine romantisierte Landpartie, sie blicken mit "Uthlande" vielmehr auf die Sonderlinge, Übriggebliebenen und Einzelgänger, die in ihrer Heimat zwischen Ebbe und Flut einzigartige Leben lebten. Wie etwa Anneline Petersen, die bis zu ihrem Tod im Jahr 1994 den letzten Bauernhof in Husum ohne Hilfe betrieben hatte. "Und du machst das ganz alleine / Weil Helmut besoffen ist / Die Nachbarn nennen dich Hexe / Im Damenbart hängt Mist", besingen Turbostaat die verschrobene Bäuerin auf "Stine" und finden mit dem direkten, aber ausgefeilten Text des Gitarristen und Songschreibers Marten Ebsen doch einen würdevollen Ton: "Warum kannst du nicht wie alle sein?"
Liebevoll ehrt das Quintett auch "Luzi", einem Urenkel Theodor Storms, der als stadtbekannter Hippie mit "komischem Kraut" für gerümpfte Nasen sorgte. Im Refrain dieser Ode an das Schrägsein heben Turbostaat alternative Lebensentwürfe wie diesen feierlich auf ein Podest, bis sie im Finale einen Konfettiregen aus klirrenden Gitarren fallen lassen. Die Band wärmt auf eindrucksvolle Art mit scharfen Beobachtungen aus dem Alltag und filigranem Saitenspiel das Herz.
Die Andersartigkeit umarmen Turbostaat außerdem mit dem krachenden Song "Meisengeige", dem ein Zitat des Schweizer Art-Brut-Künstlers Louis Soutter zugrunde liegt: "Mich ziehen nicht die Häuser und Dächer an, sondern die Leere zwischen ihnen." Rohe Punk-Kunst, angetrieben von ewiger Melancholie, findet sich hier wieder, wenn Turbostaat mit hoher Schlagzahl auf die Muse eindreschen: "Wenn die Sonne zu mir zurückkäme / Doch sie kommt nicht mehr zurück."
So gestaltet sich "Uthlande" als beste Gesellschaft fernab derselben. Turbostaat verbinden wie keine zweite deutschsprachige Band brüllende Kraft mit zerbrechlicher Introvertiertheit, auf die "Schwienholt" eine Decke aus wundervollen Gitarrenmelodien legt. Die Nordfriesen suchen Frieden in der Einsamkeit und finden immerhin Trost: "Immer, wenn sie sangen, ging er hoch in den Zwischenraum / Ich bleibe allein / Ich bleibe alles", heißt es im geisterhaften Refrain. In den Strophen funkt die Rhythmusgitarre ein verzweifeltes Notsignal ins Nichts.
Verträumt geben sich Turbostaat auf "Uthlande" nur selten. Eher lassen sie in Punk-Abrissbirnen wie dem furiosen "Hemmingstedt" die ländliche Idylle ihrer Heimat im giftigen Rauch der Industrie verschwinden. Am Ende des dystopischen Szenarios schreit sich Sänger Jan Windmeier dermaßen die Seele aus dem Leib, als wolle er im Alleingang den technischen Fortschritt niederbrüllen.
Ebenso wutentbrannt ertappen Turbostaat Rechtsradikale auf der "Rattenlinie Nord", der Schleichroute, auf der hochrangige Nazis vor Kriegsende 1945 nach Flensburg flüchteten. Die Single darf als Mahnmal für die dunkle Vergangenheit Deutschlands, aber auch als Warnung für die Gegenwart gelten: "Und so langsam sterben die Opas / Und die Wohnungen werden frei / Und es bleiben reine Pflichten / Und neue Henker ziehen ein." Die Thematik schnüren unruhige Rhythmen und bitterböse Riffs so fest zu, dass ein Kloß im Hals stecken bleibt.
Nordfriesische Tourismusinformationen würden "Uthlande" wohl kaum als musikalisches Aushängeschild in die Regale stellen. Zu grimmig blicken Turbostaat auf ihre Heimat. Dafür fangen sie eine Stimmung ein, die kein Reiseführer vermitteln, sondern die nur selbst erlebt werden kann. Die ungeschönte Tristesse, die die Lieder durchdringt, mag zuweilen bedrückend sein, lässt einen mit ihrer großen Leere und dem Abstand zum Rest der Welt aber auch durchatmen und Kraft schöpfen. "Wer den Schnee umarmt, wird die Kälte akzeptieren." Diese "Uthlande" sind doch ein zauberhafter Ort.
3 Kommentare mit 5 Antworten
5/5 nur Captain Planet ist in der Nische besser als Turbostaat.
CP sind auch famos. Aber musikalisch dann doch nicht so weit wie TS. Live allerdings auch immer ein Leckerbissen. Love A ebenfalls. Haben eigentlich tolle Bands und im weiteren Genre ist Fjort seit Jahren eine echte Bereicherung.
Komm bei Lova A leider nicht auf dne Gesang klar. Und Fjort klingt für mich nur wie Touché Amoré auf detusch (und deutlich schlechter).
Love A live ist schon geil. Aber der Gesang / Stimme spaltet natürlich.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Finde Lester noch geil in dem Genre. Da soll dieses Jahr auch ne neue Platte kommen. Und Matula natürlich!
5/5 Ein Brett im Januar. So kann das Musikjahr 2020 losgehen. Ob eine bessere Genrescheibe rauskommt wage ich zu bezweifeln. Freue mich auf die Konzerte.
Unfickbar! 5/5