4. Februar 2016

"Das Schlagzeug stand im gekachelten Marmorraum"

Interview geführt von

Turbostaat veröffentlichen dieser Tage ihre sechste Platte, und mindestens in einer Hinsicht ist alles beim Alten: die Erwartungen sind riesig. Das neue Label PIAS preist "Abalonia" als ambitioniertes Konzeptalbum an, die Band sieht es etwas gelassener. Wir trafen Jan Windmeier und Marten Ebsen bei Caspers "Zurück Zu Hause"-Festival im Bielefelder Ringlokschuppen.

Was sind das wohl für Leute, die sich in den sieben Minuten zwischen Vorverkaufsstart und -ende rund 2.500 Tickets sichern? Vermutlich keine Turbostaat-Fans, so realistisch sind auch die Musiker selbst. Laut Backstage-Flurfunk eher solche, die den ganzen Tag vor der Halle kampieren, um sich schließlich für einen Platz in der ersten Reihe in die Hose zu machen, erzählt Marten auf dem Weg zum Interview.

Für euch ist ein reines Casper-Publikum kein allzu gewöhnliches Setting ...

Marten: Wir haben ja schon Festivals mit gemischtem Line-up gespielt. Oder auch mal als Support für Fettes Brot. Wir wissen das zu nehmen.

Jan: Ich versuch's einfach als ganz normales Konzert zu sehen. Eine dreiviertel Stunde Lärm machen, und dann geht man halt wieder.

Seid ihr Deutschrap-affin? Oder gar nicht?

Jan: Affin würde ich nicht sagen. Aber wenn mir ganz doll langweilig ist, schau ich schon mal auf YouTube, was gerade so aktuell ist. Aber ich kenn mich nicht aus.

Marten: Die Fantastischen Vier kennst du doch.

Jan: Ich guck mir wahnsinnig gerne K.I.Z.-Interviews an. Hin und wieder finde ich auch einen Beef lustig.

Welchen denn?

Jan: Na, da gab's in der Vergangenheit ja einige. Wie hieß das noch mal? Irgendwer hat irgendwen im Video beerdigt. Ich fand's immer lustig, aber eher um Zeit totzuschlagen.

Ihr hattet am Mittwoch und Donnerstag die ersten beiden Interview-Tage zur neuen Platte. Welches war der größte Trugschluss seitens der Journalisten?

Jan: Dass wir aus Mecklenburg-Vorpommern kommen.

Marten: Diesmal war zu beobachten, dass uns ausschließlich Fragen zur aktuellen Situation - also zu den Anschlägen in Paris, der Flüchtlingskrise und dem Rechtsruck in Europa - gestellt wurden. Denn das würde ja alles in der Platte drinstecken. Na ja, ich fand, das hinkte ein bisschen. Aber daraus bestand fast der ganze Tag.

Interessant. Ich gehe eigentlich nicht davon aus, dass jeder Künstler etwas zu den Anschlägen in Paris zu sagen hat.

Marten: Man hat natürlich schon irgendwie Eindrücke und Meinungen. Aber wenn ich das Bedürfnis hätte, mich dahingehend zu äußern, hätte ich das wahrscheinlich auch getan. Klar, das sind die Themen, die im Moment allen auf den Herzen liegen. Dann wirst du eben danach gefragt. Und dann wird die Platte auch nur in der Richtung interpretiert. Gibt Schlimmeres.

Und welches war das schönste Kompliment, das ihr bekommen habt?

Marten: Dass wir Musik für 15-, 16-Jährige machen.

Aha. Okay, heute trifft sogar zu.

Marten: (Lacht) Heute schon, ja.

Jan: Diejenigen, die schon die ganze Platte gehört hatten, waren der Auffassung, dass sie zwar neue Türen aufmacht. Man wisse aber trotzdem vom ersten Gitarrenton an, dass es Turbostaat ist. Das ist, finde ich, ein ziemlich schönes Kompliment.

Euren Fans habt ihr den Einstieg recht leicht gemacht: Die Single "Abalonia" ist im Vergleich zum Rest des Albums ein Trademark-Song. War das so gedacht?

Marten: Genau. Letztendlich hat das die Plattenfirma vorgeschlagen, und wir haben gesagt: Joa, macht mal. Ich schätze schon, dass das dahintersteckte.

Ein Fan-Kommentar lautete: "Bei euch weiß man, woran man ist."

Jan: Vermutlich stimmt das.

Hört man so was gerne? Eher nicht, oder?

Marten: Im Bezug auf Musik klingt das natürlich vernichtend. Aber man weiß ja, wie sie das in dem Moment meinen.

Jan: Ich glaub, sie meinen's nicht negativ.

"Wir hatten keinen Masterplan"

Euer Pressetext bezeichnet "Abalonia" als Konzeptalbum.

Jan: Ich hab's für lange Zeit gar nicht als Konzept wahrgenommen. Sondern als tolle Lieder, die Marten mitgebracht hat. Für mich erschloss sich das erst später, als ein Großteil der Songs schon fertig war. Da konnte man dann sagen: Okay, das ist thematisch schon sehr rund.

Marten: Das ist es auch eher. Dieses Konzeptalbum, wie die Leute es sich vorstellen - dass man sich hinsetzt und einen haargenauen Plan macht ... Das machen bestimmt manche, aber ich könnte das nicht. Ich hab ungefähr im Kopf, wo ich hin will, und am Ende wird es dann auch so. Aber das ist kein Masterplan.

Habt ihr die Stücke wieder mehr im Kollektiv entwickelt als zuletzt bei "Stadt Der Angst"?

Marten: Es gab einige Lieder, die im Zusammenspiel entstanden sind. Es gab aber auch Lieder, die sehr konkret und fertig waren - und alle Schattierungen dazwischen. Aber doch, wir haben schon ziemlich viel zusammengespielt. Ich glaub, die Band war relativ gelassen. Wir haben es uns gut gehen lassen. So hatte man auch als Gruppe Spaß, die Sachen mal ein bisschen länger auszuprobieren. Das war gar nicht so auf Knute, sondern kam irgendwie organisch. Das fand ich schön.

Seid ihr dafür gemeinsam verreist, oder war das nicht nötig?

Marten: Nee, alles im Proberaum. Beim "Island Manöver" war es tatsächlich noch so: Der eine war noch mit dem Kopf bei seinen Kindern zuhause, der andere so nach dem Motto "Ich muss in 10 Minuten wieder los". Dabei ist nichts rumgekommen - in diesem Haus in Fresendelf dann aber total. Für "Stadt der Angst" ist dort wiederum gar nichts passiert. Und diesmal haben wir einfach im Proberaum gespielt.

Dafür habt ihr euch eineinhalb Jahre Zeit genommen – mehr als sonst?

Marten: Nee, der Zeitrahmen ist tatsächlich immer gleich. Wir haben uns nur bei den einzelnen Liedern mehr Spielzeit genommen. Für die letzte Platte haben wir 15, 16 Songs geschrieben. Diesmal nur 12.

Ihr habt euch schließlich ins berühmte Hansa-Studio eingemietet. Ist das vor allem aus technischer Sicht reizvoll, oder ist es doch eher der Mythos des Raums?

Marten: Der Mythos war für uns als Fan von gewissen Platten, die da entstanden sind, natürlich interessant. Aber so wie es damals war, gibt es das Studio ja nicht mehr. Es ist nur noch das B-Studio übrig. Soundmäßig ist es jedoch unantastbar.

Warum wart ihr da nicht schon früher?

Marten: Auf die Idee wären wir nicht gekommen. Das ist einfach zu teuer. Da gehen bekannte Bands hin, die viel Geld haben. Die Voraussetzung war daher, dass wir sehr schnell arbeiten. Wir müssen ja schauen, dass wir klar kommen. Wir können jetzt nicht bei was weiß ich wem in New York aufnehmen, nur weil wir wissen, dass das soundmäßig ganz gut passen würde.

Jan: Es ist auch Moses Schneider geschuldet. Er hat sich die Lieder im Proberaum angehört, und meinte: Ey, das muss im Hansa-Studio aufgenommen werden. Und das muss Peter Schmidt mischen. Der hat gleich eine Richtung erkannt. Klar hüpft dir dann das Herz. Hansa-Studio ist schon ein Name. Ohne Moses, der da früher gelernt hat, wären wir nie da hingekommen.

Man bildet sich auch ein, den schön klingenden Raum auf der Platte zu hören - oder sind es doch Hallgeräte?

Marten: Genau, das sind eher die analogen Hallgeräte und so. Peter Schmidt hat ebenfalls dazu beigetragen, indem er seinen Kram benutzt hat. Das ist nicht der Raum. Außer beim Schlagzeug, das stand in einem gekachelten Marmorraum. Das hat ganz schön gescheppert.

Jan: Es war zudem das erste Mal, dass wir zusammenspielen konnten, aber doch separiert waren. Somit hatten wir keine Übersprechungen mehr auf den Schlagzeug-Mikrofonen. Nur die Gitarren waren gemeinsam in einem Raum, und der war so groß, dass man sie ordentlich platzieren konnte. Ich nenn's jetzt mal: saubere Signale, die beim Mischen nicht alles so zuscheißen.

Ab wann denkt man über so was nach? Wenn man sich erstmals mit dem Mischer trifft, oder schon viel früher?

Marten: Es gab schon vorher die Überlegung, dass wir gerne mal diese Tiefenstaffelung im Mix hätten. Und die erreichst du nicht, wenn alle in einem Raum stehen und gleich in die Schlagzeugmikros mit reinblasen - und umgekehrt. Solche Gedanken hat man sich schon gemacht.

"Wenn die Band immer lauter wird, kannst du es vergessen"

Wie kam es denn, dass ihr euch den Studioaufenthalt diesmal leisten konntet?

Marten: Wir haben wieder ohne Label angefangen und dachten: Wir machen das jetzt und sehen dann, was passiert. Daher war es letztendlich einfach die kurze Aufnahmezeit. Dass man sagt: Wir gehen nur fünf Tage ins Studio. Und dann ist es das.

Erstmal die Platte einspielen und dann schauen, wer sie rausbringt: Ist das für euch, als Familienväter, ein schöner Weg?

Marten: Nee, das ist kein schöner Weg.

Jan: Nein, aber es ist die einzige Möglichkeit, um den selbst gesteckten Zeitplan einzuhalten. Da geht es bei uns auch um Touren, die gebucht werden müssen. Danach muss man sich richten. Für uns als Band ist es das Sicherste, zu sagen: Da nehmen wir die Platte auf. Und bis dahin haben wir sie fertig. Ganz egal, was danach passiert, und unter welchen Umständen. Solche Prozesse dauern ja auch extrem lange. Wenn du dann im Proberaum sitzt, und darauf wartest, dass irgendeine Entscheidung an dich rangetragen wird ... Da fängst du lieber an und hast zumindest das fertig, was du selber machen kannst.

Aber ihr habt schon ein Management, das euch die Label-Suche abnimmt, oder?

Jan: Ein Management haben wir nicht. Aber bei solchen Dingen haben wir Unterstützung. Zum Glück! Leute, die Leute kennen. Leute, die uns gut finden, uns verstehen, und sich angeboten haben.

Marten: Sonst wäre es auch nervig. Aber es ist wie es ist. So lange wir fünf einen Plan haben und den auch durchziehen können, ist alles gut.

Denkt ihr nach über 15 Jahren noch darüber nach, ob und wie man kommerziell noch mal einen Schritt nach vorne machen könnte? Oder ist euch das egal?

Marten: Ich kann jetzt nicht für alle sprechen. Aber ich mach mir darüber keine Gedanken mehr. Egal ist es mir nicht. Aber es ist nicht der Grund, warum ich das tue. Und ich hab aufgehört, die Dinge danach zu bemessen. Denn ich hab ganz tolle Bands und vor allem glückliche Musiker gesehen, die ihr Ding machen und noch vor viel weniger Leuten spielen als wir. Und ich hab totale Spackos gesehen, die vor vielen tausend Leuten spielen, null interessant sind und auch nicht sehr glücklich wirken. Das ist es nicht. Wir freuen uns natürlich über jeden der kommt. Und auch über jeden, der neu dazukommt. Aber das ist nicht die Grundvoraussetzung. Nicht der Grund, warum ich morgens aufstehe.

Jan: Sonst hätten wir's auch nicht schon 16 Jahre gemacht. Wenn es irgendjemand von uns auf Krampf wollen würde, wäre der Punkt schon viel früher erreicht gewesen, an dem man gesagt hätte: Nee, komm. Ich bin jetzt raus. Der Riesenerfolg bleibt aus. Ich bau jetzt Häuser.

Marten: Na, komm. Jetzt aber. Im 17. Jahr knacken wir sie!

Die Platte klingt jedenfalls nicht danach, als wolle eine Band noch mal im Radio angreifen.

Jan: Nee. Damit wären wir - wenn man überlegt, wie das Radio heute funktioniert - auch nicht glücklich. Das spielt keine große Rolle.

Hat es das während eurer Zeit beim Major?

Marten: Nee, die waren super zu uns.

Jan: Die haben uns tatsächlich machen lassen. Die fanden das gut, wie wir es machen. Die wollten uns nicht belehren oder in irgendeine völlig andere Richtung drücken. Im Gegenteil, die wollten uns, weil wir so sind wie wir sind.

Im Intro von "Die Toten" erklingt ein kurzes Sample, das mit der Frage endet: "What on earth are you talking about?" Ein selbstironisches Statement zu euren Texten?

Marten: Nee, das ist eigentlich viel banaler. Die erste Chameleons-Platte fängt mit diesem Sample an. Und wir haben es von Freunden nachsprechen lassen. Das ist aus einem Film, dessen Namen ich gerade vergessen habe. In der Sequenz sitzt ein Typ mit seiner Mutter rum. Sie reden über den Vater, der gerade wild durch die Gemeinde zieht. Dann sagt der Sohn sinngemäß: Im Winter seines Lebens dreht er noch mal richtig durch. Und die Mutter: Worüber redest du eigentlich? (lacht) Sehr witzig.

Es folgt der wahrscheinlich Post-Punk-lastigste Song, den ihr je geschrieben habt. Ein langjähriger Wunsch - oder einfach den Hörgewohnheiten der letzten Jahre geschuldet?

Marten: Wir sind mit der Musik aufgewachsen, das spielt natürlich schon eine Rolle. Aber ich wollte so ein Lied eigentlich schon immer mal machen. Am Anfang nicht, aber die letzten Jahre schon.

Jan: Das ist aber auch ein Lied, bei dem ich durchaus zwei, drei Proben gebraucht hab, um zu verstehen, worum es geht und was dabei wichtig ist. Nicht inhaltlich, sondern musikalisch. In Zeiten, wo Marten schon gesagt hat, das wird der Oberhammer, war ich noch skeptisch. Bis es sich dann erschlossen hat. Es ist für mich schon irgendwie was Neues.

Marten: Es kommt jedoch immer drauf an, wie eine Band zusammenspielt. Da kannst du noch so eine tolle Idee haben. Wenn die Band zum Beispiel automatisch immer schneller wird, mehr Lautstärke produziert oder sonst was, kannst du es direkt vergessen.

Womöglich seid ihr gute Musiker geworden.

Marten: Ja, wir sind total derbe Musiker geworden.

Jan: Die sind total derbe Musiker geworden.

Marten: Fast Free-Jazz.

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