laut.de-Kritik

Meet. Fuck. Cheat. Repeat.

Review von

Es wirkt wahrhaftig wie eine Heimkehr. Als läge sein letztes Album nicht acht Jahre zurück, betritt Usher wieder die Szenerie, mit großem Selbstvertrauen, ganz großer Geste, noch größerer Bühne und haargenau dem Sound und den Themen, die man von ihm erwartet hat. "Coming Home" bietet makellos und absolut auf der Höhe der Zeit produzierten R'n'B der schlüpfrigsten Sorte. Die Art von Hochglanz-Schlafzimmer-Musik, der ihre allesamt männlichen Interpreten gerne das Schleifchen "for the ladies" umbinden.

Doch stimmt das denn? Bedienen diese vertonten Tutorials zum Matratzensport, gebettet auf basslastige, trotzdem watteweich wabernde Beats, nicht viel mehr erzkonservative männliche Vorstellungen davon, wie der zwischenmenschliche Hase angeblich läuft, als dass sie tatsächlich eine weibliche Zielgruppe adressieren? Als Vertreterin letzterer liegt mir ein erheblich zweifelndes Ich-weiß-ja-nicht auf den Lippen.

Nehmen wir zum Beispiel die Szenerie von "Stone Kold Freak": "Love when you lay on my lips like this", schmachtet Usher da, "perfect reason for me to stay over and make love to you." So weit, so kitschig. Aber was zum Teufel haben die im Hintergrund "Hey! Hey!" skandierenden Typen in diesem Setting verloren? Stehen da seine Homies im Kreis ums Bett herum und feuern ihn an? Braucht er das, um nicht aus dem Takt zu kommen? Ist DAS wirklich, was die Ladys wollen? Wie gesagt: Ich weiß ja nicht.

Oder betrachten wir "Good Good". Die Story hier (immerhin gibt es eine, die über "Die Laken sind mir viel zu trocken, lass' mal einsudeln, Baby" hinausreicht): Es geht um Verflossene, die einander nach der Trennung noch gut verstehen und sich gegenseitig nur das Allerbeste wünschen. Guten Schlaf, guten Sex ... ja, hier taumelt die Logik bereits: Kein Plan, wie euch das geht, aber ich kenne, niemanden, der oder die sich, egal, wie freundschaftlich das Verhältnis geblieben ist, mit der oder dem Ex explizit über die Beischlafqualitäten eventueller Nachfolger*innen ausgetauscht hätte ... aber seis drum, die Menschen sind ja verschieden.

In "Good Good" widmet Usher jedenfalls seiner früheren Partnerin die erste Strophe. Die zweite übernimmt Summer Walker, und man denkt sich: Ah, das ist dann die weibliche Perspektive. So weit, so sinnig. Warum DANN für einen dritten Vers noch 21 Savage auftaucht, verstehe, wer will. Nicht, dass ich irgendetwas gegen ihn oder einen Rap-Part einzuwenden hätte, aber inhaltlich ergibt das einfach gar keinen Sinn. Hatten die ein Dreiecksverhältnis und haben sich jetzt alle immer noch lieb? Kam 21 zufällig vorbei, als sich diese beiden ehemaligen Liebenden über ihr tolles Post-Beziehungs-Verhältnis ausgetauscht haben, dachte sich: "Oh, 'ne Trennung hatte ich auch schon mal, da kann ich mitreden", und hat dann halt auch irgendwas zum Thema gesagt? Ich versteh es nicht.

"Lie on me, Baby, die on me." Äh. Bitte?! Zugegeben, ich komme mir schon ein bisschen dämlich dabei vor, die Texte auf einem Usher-Album zu zerpflücken. Wir haben es immer noch mit dem Mann zu tun, der einst für eine künstlerisch wertvolle Entscheidung (oder doch wenigstens für verführerisch wirkend) hielt, in einem Video so zu tun, als rammele er einen Baum. Habe ich wirklich erzählerische Stringenz erwartet, oder lyrischen Tiefgang, der über die durchschnittliche Gliedlänge hinausreicht? Eigentlich nicht. Hoffentlich nicht! Aber sobald man nur mit halben Ohr zuhört, möchte man sich unentwegt die Haare raufen.

Songs über die angeblich ewige Liebe stehen da einträchtig neben Anbandeleien per zweideutiger Textnachrichten mit dem Girl "On The Side", natürlich hinter dem Rücken der Partnerin. Kein Wunder also, dass es schon bald wieder bröselt, Heartbreak in der Luft liegt oder der dann eben auch eintritt. Meet, fuck, cheat, repeat: Klingt für mich doch eher nach einem Blockbuster, den sich Männer reinziehen würden. Bevorzugt wahrscheinlich die Sorte, die "I don't care" tatsächlich für einen synonym zu "I Love U" gebräuchlichen Ausdruck hält. Oookay.

Ich rate dringend davon ab, aus dem Genuss von "Coming Home" ein Trinkspiel zu machen. Ein Shot bei jedem "Baby" (oder "Body" oder "Uuuh" oder "Oooh"), und der Weg führt geradewegs in die Alkoholvergiftung. Probiert das nicht aus. Auch wenn die Vorstellung vielleicht verlockend erscheint: Mit zwanzig sehr, sehr ähnlich instrumentierten Tracks und dem doch arg eingeschränkten Themenspektrum zieht sich dieses Album eben doch gewaltig. Weniger wäre weitaus mehr gewesen.

Wenn es schon unbedingt zwanzig Tracks sein müssen, wäre ein wenig musikalische Abwechslung schön gewesen, ein bisschen was für den Dancefloor, auf dem es sich doch bekanntlich auch ganz gut hätte anbandeln lassen. Dafür taugt einzig der Usher-Remix von "Standing Next To You" mit BTS-Idol Jung Kook, allerdings musste man auf diesen fetten Disco-Banger bis ganz zum Schuss warten. Vorher sorgten lediglich "A-Town Girl" und "BIG" für ein wenig Bandbreite. Bezeichnenderweise sind diese etwas aus dem Rahmen fallenden Tracks auch die einzigen, in denen es nicht, oder zumindest nicht in erster Linie, um Beziehungsgedöns geht:

Ersteres reitet über Billy Joels Evergreen "Uptown Girl" zwar wahrscheinlich jedes Klischee, das über die Stadt kursiert, wächst sich aber gerade im Zusammenspiel mit der hierfür eingeflogenen Latto zu einer spaßigen Hymne für und Liebeserklärung an Atlanta aus. "BIG" dagegen zitiert (nicht nur im Titel) den gleichnamigen Kinofilm mit Tom Hanks und gönnt den beinahe schon gerappten Zeilen über kindliche Den-Hals-nicht-vollbekommen-Mentalität coolen Groove und funky Bläser. Michael Jacksons "Wanna Be Startin' Somethin'" lässt grüßen.

Ein bisschen Wucht und Tanzbarkeit über einen Stehblues hinaus hätte ich mir von einem Track namens "I Am The Party" erwartet. Die Fete entpuppt sich dann aber doch recht öde, sobald dem gospeligen gesprochenen Intro dann doch wieder nur der immer gleiche R'n'B mit den Standard-Versatzstücken Synthies, Klavier und dicker Bass folgt. "Tell me if it's time to go faster", verlangt Usher da. Einfach mal das Tempo hochdrehen wäre vielleicht eine Idee gewesen. Noch nicht einmal "Risk It All" riskiert irgendetwas, das über die übliche Pianoballade hinausginge.

Trotzdem, nach all diesem Gemeckere sollte ich es vielleicht noch einmal explizit sagen: Nichts auf "Coming Home" klingt schlecht. Usher ist ein charmanter Hund, dem man seine Anzüglichkeiten nur schwer übelnehmen kann, zumal er sie mit irre angenehmer Stimme in die Gehörgänge schmiert. Seine inzwischen jahrzehntelange Routine führte bei ihm nicht zu Verschleißerscheinungen, sondern dazu, dass er sein Organ mittlerweile mit absoluter Perfektion bedient. Er trifft und hält jeden Ton. So lange man nicht zu genau darauf achtet, was er singt, und auch beim Sound mehr Wert auf hochwertige Zeitlosigkeit als auf Innovation oder Experimente legt, hört man ihm wirklich gerne zu.

P.S.: Falls jemand fragen sollte: Nein. Das Coverartwork kommentiere ich nicht. Nein. Wirklich nicht.

Trackliste

  1. 1. Coming Home feat. Burna Boy
  2. 2. Good Good feat. Summer Walker & 21 Savage
  3. 3. A-Town Girl feat. Latto
  4. 4. Cold Blooded feat. The-Dream
  5. 5. Kissing Strangers
  6. 6. Keep On Dancin'
  7. 7. Risk It All feat. H.E.R.
  8. 8. Bop
  9. 9. Stone Kold Freak
  10. 10. Ruin feat. Pheelz
  11. 11. BIG
  12. 12. On The Side
  13. 13. I Am The Party
  14. 14. I Love U
  15. 15. Please U
  16. 16. Luckiest Man
  17. 17. Margiela
  18. 18. Room In A Room
  19. 19. One Of Them Ones
  20. 20. Standing Next To You (Remix) feat. Jung Kook

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